Es ertönt, wie in Bayern üblich, zum Einzug der bayerische Defiliermarsch für Holzvorderhüttenbläser, gehacktes Brettl und die Posaunen des Jüngsten Gerichts, eingespielt von Marianne, Michael und ACDC
Das, Exzellenzen, Hochwürden, liebe Bayern, und auch Sie, die Mitleserinnen und Mitleser dieses Blogs aus dem Ausland, das ist Bayern: Auf den Jurahöhen stehen wir und blicken hinab ins Donaubecken, in dem sich unsere World Market Leader in der Global Champions League committen, weiter über die Hügel Holledau, von wo da Hopfn für unsa guts Bier herkommen tut nicht wahr, dahinter wieder die Munich Area, die gloabl mit den heissesten Wachstumsregionen konkurriert, wenn der TV-Konzern nicht gerade pleite oder die Landesbank kriminellen Kärntnern auf dem Leim geht, und gonz hindn san de Beag, die Kiah und ois wos ma sonst vo de voikstiamlichn Schloga kennt. Und noch weiter hinten ist der Papst, und der gehört uns auch.
Und weil dergleichen Weisheiten hierzulande gern wiederholt werden, und weil Medien Wiederholungen mögen, die sie von der elenden Pflicht der Differenzierung entbinden, sieht dieses wirklich schöne, reiche gesegnete Land in etwa so aus:
Oder zumindest sollte es so aussehen: Knallschwarz mit höchstens ein paar roten Resten in München und Nürnberg. Was der Autonome in Berlin am 1. Mai für die Darstellung des Chaotentums ist, ist Bayern für die Sicherheit des Gegenteils. Solange es Bayern in dieser Knallschwärze gibt, muss man sich um die Bedeutung der Konservativen in Deutschland keine Sorgen machen. Bayern ist das, was man hierzulande als “gmahde Wiesn”, als gemähte Wiese bezeichnet: Etwas, um das man sich keine weiteren Gedanken machen muss. Ohne die stabilen Wahlergebnisse in Bayern und die Grundüberzeugungen seiner Bewohner wäre Deutschland zumeist wie ein grosses Nordrhein-Westfalen. Bayern ist die konservative Ordnungszelle und das Zünglein an der Waage, das den Ausschlag gibt. Auf Bayern ist Verlass.
Zumindest war es früher so. Heute gibt es zwar noch den von über 50-Jährigen ausgetragenen Wettkampf um das üppigste Grabgesteck und das laubreinste Grab an Allerheiligen, aber nur noch in wenigen Dörfern steht man in Clanstärke wirklich tagsüber an den Gräbern und besucht reihum die anderen Familien. Es gibt noch das Tanzverbot an diesen Tagen, aber am nächsten Morgen machen die Konditoren auf, und verkaufen dicke Sahneträume. Dann geht man gut angezogen durch den Park oder den See und selten in die Kirche, aber man redet nicht mehr vom Tod und der Vergänglichkeit des Lebens und den verstorbenen Leuten aus dem Viertel, sondern nur noch vom Absterben der Liebe bei den Nachbarskindern, ihrer Scheidung und möglichen Neukonstellationen. Alles hat sich verändert, auch die höchsten Feiertage in den finsteren Jahreszeiten.
Und weil das alles zwar immer noch “konservativ” ist, im Sinne von “nicht so fertig wie Berlin und nicht so beliebig wie das Frankfurter Westend”, aber nicht mehr im Sinne von “bankerlrutschend und verbohrt”, weil es nicht mehr nur die eine, allein selig machende Staatspartei gibt, sondern einige Alternativen, und deren grüne Vertreter sich ungemeinen Zuspruchs erfreuen, mag mancher, der nicht von hier kommt und niemanden kennt und den auch keiner kennen lernen will, vielleicht denken, das Konservative sei in der Krise. Und nicht nur in der nicht immer eleganten, aber durchaus bemühten Wandlung. In diesen Kreisen gilt weiterhin die seufzend akzeptierte Devise: “Es is, wias is”. Aussenrum rotieren Journalisten, deren Interesse kaum anders als die exotische Faszination ihrer Vorgänger im 19. Jahrhundert für die Hottentotten erscheint.
Und natürlich wissen diese Leute von Ausserhalb auch sofort, was die Menschen hier brauchen, damit doch wieder alles so bleibt, wie es ist, die Staatspartei gewählt wird und das Land der zuverlässige Partner wird, den man in Berlin so schätzt: Einen gewissen Modeminister namens zu Guttenberg als Parteichef, Ministerpräsident, Landesvater, einen Operettenbaron für den südlichen Operettenstaat, dem alle Herzen zufliegen, einen gewählten König, ein Blaublut für Weiss-Blau, einen feschen Mann mit einer feschen Frau an seiner Seite, dahinter dann bitte wieder de Beag, die Kiah und ois wos ma sonst vo de voikstiamlichn Schloga kennt. So kann man sich das in norddeutschen PR- und Werbe-Agenturen, bei Springer oder Spiegel durchaus vorstellen: Endlich Ruhe im konservativen Süden. Keine lästige Politik mit unübersichtlichem Klein-Klein mehr, sondern knackige Bilder für die Promiseite: “Bitte nicht lange fragen, liebe Bayern, jetzt zugreifen, das ist Euer Mann, weil es unser Mann ist.” So einfach. Morgen München, übermorgen dann Berlin. Die Lösung aller Probleme der deutschen Konservativen. Schon bald wird man wieder vom natürlichen Führungsanspruch des Adels – hinter vorgehaltener Hand – dunkel flüstern dürfen.
Hier in Bayern, inmitten der restkonservativen Restbevölkerung jedoch kommt man nicht um die Mühe herum, sich über das, was denn noch konservativ ist, das zu machen, was beim Schreiben einer schnellen, runden Story eher hinderlich ist: Gedanken. Wie etwa den, ob das Abfeiern so einer schnell hochgeschriebene Posterfigur nicht eher die Bankrotterklärung dieser konservativen Haltung wäre. Was ein Wertsystem noch wert ist, wenn es nicht mehr für sich selbst bestehen und sich entwickeln kann, sondern zur Absicherung einen Medienpopanz braucht, hinter dem man sich versammelt. Ein Anführer, der die Brüche und Konflikte im moralischen Gefüge mit dem von den Medien verordneten, nachdenkfreien Feschismus der ideologischen Indifferenz und mit Scharm zubetoniert: Der Zementsarg um den in Auflösung befindlichen, instabilen Kern, der dem System der Bundesrepublik um die Ohren zu fliegen droht. Die neue Tünche auf der brockelnden Fassade eines runtergekommenen Hauses, damit sich die Bewohner nicht mehr über den Schwamm im Dach und die Risse in den Mauern beschweren.
Nicht von ungefähr ähneln solche Gedankenspiele den alten Ritualen der konservativen Selbstversicherung, wo man in ein Bierzelt lud, allen alles versprach, die eigene Identität über alles stellte, und die letzten Differenzen mit Freibier wegrauschte. Nicht reden, nicht denken, trinken, johlen, gut finden. Das hat jahrzehntelang die konservativen Eliten an der Macht gehalten, und unter dem Baron würde, glaubt man seinen Förderern, diese Epoche des Wohlfühlens weitergehen können. Immer weiter, unter anderen, weniger ideoligisch verhafteten Voraussetzungen, die aus einem Wertekanon einen schicken, für heutige Medien kompatiblen Lifestyle machen. Sie wissen ja nicht um das Elend der Bauern, die in den letzten 50 Jahren von Entscheidern im Dorf zu Nebenerwerbslandwirten herabgestiegen sind, und deren Kinder das Land verkaufen werden. Sie schreiben nicht über die Mütter im Westviertel, die ihre Kinder auch am Wochenende in die Nachhilfe schicken müssen, weil sie sonst das achtstufige Gymnasium nicht durchstehen. Sie wissen nichts vom Bedeutungsverlust der Kirchen und der örtlichen Eliten, wenn die Globalisierung zuschlägt, oder auch nur ein Gast eines Discobesitzers mit guten Kontakten zur Stadtverwaltung. Und dass in der hiesigen Elite die Scheidung nicht so leicht genommen wird, wie in ihren gschlamperten Verhältnissen in Berlin und Hamburg – das wollen sie vermutlich gar nicht wissen.
Sie wollen einen Baron. Vielleicht bekommen sie ihn, vielleicht schreiben sie ihn dann auch wieder runter, wenn er nicht den Erwartungen entspricht. Ungeachtet dessen werden sich hier die Risse weiter auftun zwischen den niedrigen Bauernhäusern und den Toskanabunkern im Neubaugebiet, zwischen den Betschwestern und den Alleinerziehenden, zwischen den Ökofundamentalisten und den Wirtschaftsfreunden, zwischen den Trachtlern und den Modetrachtlern, zwischen Stadt und Land, zwischen Alteingesessenen und Neuzuzüglern, und zwischen den Regierungsbezirken, und alle werden sie konservativ sein, auf die eine oder andere Art. Vielleicht hilft es ja, wenn der Baron dereinst den Nebel über Isar und Donau verboten haben wird, und das Bier per Dekret auf den Volksfesten höchsten 85 Pfennig kostet, aber bis dahin wird man kaum umhin kommen, sich mit ein paar Entwicklungen der konservativen Welt zu beschäftigen, die nicht wirklich zu einem Wohlfühlkonservativismus und den Anforderungen der Medien nach einfachen Lösungen passen.
Es folgt, wie in Bayern üblich, der Auszug mit Kriegervereinsfahnen und Brauereigäulen, tiefergelegten 5er-BMWs und Gensaatguttransportern, gefolgt vom Triumpfwagen der Medien mit Neuberliner Dackelbespannung, von dem aus Guttis in die staunende Menge geworfen werden. Humpda Humpda Tätärä.