The losses that we are incurring continue to reduce our capital.
Aus einem Statement der Allied Irish Bank
Ich weiss ja nicht, ob Sie sich besonders gut informiert fühlen – ich bin immer etwas angefressen, wenn ich erst mal die Zeitungen anderer Länder konsultieren muss, um zu erfahren., dass es im Euroland Irland in diesen Wochen einen veritablen Bank Run gegeben hat:
Irish bank customers have withdrawn an estimated 11% of deposits over just a few weeks.
Eine hübsche, umfassende Analyse in zwei Teilen finden Sie übrigens hier – ja, es ist nicht ganz einfach zu verstehen, aber der Bank Run des 21. Jahrhunderts hat keine Schlangen mehr, wenn er beginnt, sondern nur noch, wenn die letzten Dummen es merken, und vor denen haben Sie nach dem Lesen einen Wissensvorsprung.
Ich möchte an dieser Stelle vielleicht einmal das Prinzip vereinfacht erklären: Obwohl die irischen Banken eine Bad Bank haben, in die sie ihre riskanten Papiere ausgelagerten, trauen weder die Iren noch die institutionellen Investoren diesen Banken über den Weg. Vermutlich, weil sie alle nicht glauben, dass weder die Banken selbst noch der irische Staat die verbliebenen Restrisiken und Finanzierungsprobleme dieser Banken stemmen können. Also fliesst Geld ab, die Banken sollten inzwischen ziemlich wenige Reste an Eigenkapital haben, und müssen Besitztümer verkaufen, was das Vertrauen nicht gerade verstärkt – und andere möchten dann auch an ihr Geld. Es bleiben jene, die Schulden haben, und jene, die einspringen – die Europäer, die mit der Gemeinschaftswährung des Euros das Vertrauen in Irland haben müssen, das Iren und Investoren nicht mehr haben. Wem nun würde man mehr Wissen um Irland unterstellen? Den Iren und den Investoren oder europäischen Politikern, die Panik wegen ihrer Währung und ihren eigenen, in Irland tief verstrickten Banken haben?
Glaubte man also bisher, dass die Iren mit ihrer Bad Bank ein Fass mit Boden gezimmert haben, sind sie als Staat ohne Vertrauen das nächste Fass ohne Boden. Kleinigkeiten wie möglicherweise hochgehende Kreditausfallversicherungen – das sind diese weitgehend unregulierten Zockerpapiere, von denen man vor zwei Jahren aus den USA viel gehört hat – lassen wir mal beiseite. Nur die englischen Banken, scheint es, sind in so einem Fall noch übler dran als deutsche Banken. Kurz, die EU muss zahlen, will sie den nächsten unkontrollierbaren Flächenbrand verhindern, auch wenn die Iren angesichts solcher Aussichten das Geld lieber daheim haben. Schauen wir den Tatsachen ins Auge: Zuerst wollten die irischen Banken für die Verluste selbst haften – das hat nicht funktioniert. Dann wollte der irische Staat für die Verluste haften – das hat auch nicht funktioniert. Jetzt will die EU für den irischen Staat haften – das hat…
Das hat zur Folge, dass wir uns vielleicht auch mal umschauen sollten, wie sich das irische Banksystem nach dem irischen Staat und der irische Staat nach Rettern umschaut, nur für den Fall, dass es weniger gut funktioniert, als es die Währungsunion glaubt. Vielleicht steht ja auch hinter uns jemand, der, wenn uns das Problem über den Kopf wächst, für uns einen Rettungsfonds auflegt und sagt, dass er wegen unserer Bedeutung, dem Euro oder einfach nur wegen unserer regionalen Spezialitäten gerne hilft. Wir schauen uns um, und sehen – niemanden. Da ist keiner. Hinter uns ist nichts und niemand. Wir sind, wenn man so will, der letzte Verteidigungsring. Forderungen, die die irischen Banken und Irland nicht erfüllen können, werden zwar an uns weitergereicht, aber wir selbst können das nicht. So gesehen ist es auch ein Bank Run gegen uns – diese letzte Bank, das sind wir. Und aufgrund der Reichtumsverteilung in diesem Land vor allem wir, die Bessergestellten, denen diese Kolumne gewidmet ist.
Einerseits hat das eine innere Logik, denn die Reicheren wären auch diejenigen, die mit ihren mit Eurozahlen bedrucktem Papiervorräten am Härtesten von massiven Problemen des Euro betroffen wären. Andererseits muss man sich natürlich fragen, wozu man zu den Privilegierten gehört, wenn man sich am Ende dennoch wie jeder andere reichlich schutzlos an der letzten Verteidigungslinie des eigenen Geldes wiederfindet. Privilegiert hiess bislang immer, dass man jemanden findet, der das Unerfreuliche übernimmt: Eine Putzfrau für das Haus, eine Polin als Altenpflegerin, eine Sekretärin als Ersatz für die ungeliebte Ehefrau, einen Politiker zur Wahrung der Interessen, ein Konzertverein als Kulturnachweis anstelle der musikunwilligen Kinder. Das gesellschaftliche Leben würde leiden, müsste man das wirklich alles selbst besorgen. Beim Rest hatte man sich daran gewöhnt, dass der Staat sich als Ausgleich für die Steuerlasten irgendwie drum kümmert: Mit Schulden, Sparprogrammen bei anderen, was auch immer. Ja, man konnte den Eindruck haben, dass der Staat diese Aufgabe auch halbwegs ernst nimmt. Jetzt jedoch verfällt er auf die Idee, seine Besten als Feuerwehr in die kokelnde Ruine Irlands zu schicken, mit der faden Ausrede, besser dort löschen, als demnächst selbst zu verbrennen. Wozu hat man denn dann Politiker?
Letzthin erzählte mir ein Freund von der veränderten Wahrnehmung der Arbeitslosen in der Öffentlichkeit. In den 70er und 80er Jahren galten Arbeitslose noch als Opfer der Systems, denen man helfen müsste, eine Arbeit zu finden. Und obwohl es in Zeiten der Globalisierung und der Verschiebung von Arbeit eine Illusion ist, obwohl einfach nicht genug Arbeit da ist, wurden aus dem Opfern in der Darstellung die Täter gegen das System. Anerkennung und Privilegien wurden Stück für Stück nach oben verschoben, Zurückbleibende durften mehr und mehr angegriffen und unter Druck gesetzt werden. Aufstieg in Deutschland bedeutete, immer vor der Grenze der Benachteiligten auf dem Areal der Bevorzugten zu bleiben. Elite zeichnete sich dadurch aus, stets die Schafe in Trockenen zu haben. Die anderen müssen, aber man selbst kann, die anderen haben Pech, man selbst eine Alternative. Und nun steht man zusammen mit denen an der Frontlinie zum irischen Debakel und ist gleichermassen betroffen. Die Verschiebung der sozialen Grenzen zwischen Können und Müssen hat sich, so eine denkbare Interpretation, in Zeiten der Krise massiv beschleunigt, und uns eingeholt.
Der Prozess des Verstehens setzt hier vielleicht gerade erst ein, und welche Folgen er haben wird – wer weiss. Ich vermute, dass das Ausweichen auf Gold, Immobilien und Silber als Ersatzwährung damit genauso zu tun hat, wie die mit der Krise einsetzende Sucht nach Geschichten vom heilen Leben auf dem Land – beides sind im Übrigen klassische Krisenreaktionen des Bürgertums, die früher gar nicht so schlecht funktioniert haben. Es bleibt eine Absetzbewegung, man könnte auch sagen Fahnenflcht; die Hoffnung, dass es irgendetwas geben möge, über das der Sturm der Zeit achtlos hinweg geht, weil er andernorts mehr Opfer findet. Die ebenso bestechende wie simple Logik lautet, dass die anderen auch nichts davon haben, wenn man selbst alles verliert.
Vielleicht würde man hier gerne klare Antworten lesen und nicht düsteres Geraune, eine Umfrage vielleicht mit Prozenten und eine Expertenmeinung. Ich weiss nur, dass jenes “bitte ohne uns”, das man allenthalben zu hören bekommt, ein “macht das mit den anderen” ist, was nicht eben für Solidarität spricht. Wenn diese minimale Solidarität noch nicht mal, angefeuert durch die Veränderungen der Globalisierung und Umverteilung, in einem Land durchzusetzen ist, sollte man sich vielleicht wirklich überlegen, ob der erheblich grössere Kontext innerhalb eines Staatenbundes funktionieren kann, gerade, wenn neue Umverteilungen als “alternativlos” angepriesen werden. Eliten, die keine Alternativen haben, sind keine Eliten mehr. Es mag in Wirklichkeit jetzt schon so sein, aber man tut gut daran, sie es nur soweit merken zu lassen, dass sie wenigstens die ersten beim Bank Run sind, bevor es das Wort Währnungsschnitt in die Hauptnachrichten schafft.
Denn, wie gesagt: Hinter uns steht niemand. Wir sind das letzte Aufgebot.