By the pricking of my thumbs, something wicked this way comes.
Shakespeare, Macbeth
Ist es nicht eine feine Zeit, dieser weisse Winter? Jeden Tag neue, seichte Politikunterhaltung aus dem Kommödienstadl des State Department, ein wenig wilde Hatz alter, keuchender Politiker hinter schnellen Wikileaks her, Jagdszenen aus Washington und den Einkaufszentren, dazu die üblichen Weihnachtsschlager und der neueste Hit. Der lautet:
Alles ist sicher, wir haben alles unter Kontrolle,
macht Euch keine Sorgen, der Euro ist ne tolle
Sache und die Probleme bekommen wir geregelt,
die paar Milliarden werden in Irlands Schlund gesegelt,
und dass deren Banken vor ein paar Monaten
noch den Stresstest bestanden und faule Tomaten
auf unfassbare Weise trotzdem geworden sind,
sagt nichts über Spanien, mein liebes Kind,
oder den Euro, zu dem es keine Alternative gibt,
auch wenn das Bankstertum damit Billionen einschiebt.
Alles ist sicher, wir haben alles unter Kontrolle…”
Ausser den Quellen, die berichten, dass unsere Kanzlerin Ende Oktober, als man gerade nicht mehr alles unter Kontrolle hatte und sich mit Griechenland um die Stabilität der Währung zoffte, etwas Bemerkenswertes bemerkte:
“If this is the sort of club the euro is becoming, perhaps Germany should leave,” Merkel replied, according to non-German government figures at the dinner.
Nun ja, kann man sagen, der Wunsch, den Euro zu verlassen, wurde bereits in Berlin dahingehend dementiert, dass der Regierungssprecher dazu erst nichts sagen könnte, und dann alles für erfunden erklärte. Ausserdem schreibt das eine britische Zeitung, die für ihre eurofeindlichen Lesern auch die Flöhe das Lied vom Gemeinschaftswährungstod keuchhusten hört. Wenn es doch so war, war Merkel vielleicht einfach wütend, es ist ihr so rausgerutscht, irgendwie muss man den undankbaren Griechen zeigen, wo ihre Bartel im Zweifelsfall den Most nicht mehr holen, und ausserdem gibt es Wichtigeres für deutsche Medien: Ein Unfall bei einer TV-Show und die Beteuerung, dass alles im Griff ist, zum Beispiel. Nur jene vielleicht, die aus schmerzvoller Familientradition auch dazu neigen, Finanzmarktflöhe räuspern und zum Ausgang streben zu hören – die könnten neben der Frage, ob es zu, freundlich gesagt, grösseren Turbulenzen kommt, auch mal die Frage stellen, wann es denn so weit sein könnte.
Das ist natürlich ein Paradigmenwechsel, denn wer bei uns in den begüterten Regionen schon über derartige Zeitpunkte nachdenkt, setzt stillschweigend voraus, dass etwas passiert. So, wie man nach einer Weile über das Aufgebot für länger liierte Kinder nachdenkt, und das passende Studienfach der danach folgenden Enkel, genauso kann man jetzt auch trefflich spekulieren, wann diese Regierung nicht umhin kann, unerfreulichen Tatsachen der Finanzmärkte unerfreuliche Massnahmen folgen zu lassen. Ein Zusammenbruch der spanischen Banken etwa, die die Stresstests so mühelos wie ihre irischen Kollegen bestanden haben, ist beispielsweise nicht ganz absolut ausgeschlossen, wie auch Probleme des spanischen Staates, seine Schulden an Investoren zu verkaufen. Und was tun, wenn Schutzschirme dann nicht ausreichen, keine Garantien aller für alle abgegeben werden können, und zudem viele Partnerländer auch keine Lust haben, sich nach deutschen Vorgaben zu verhalten?
Dann müsste etwas geschehen. Etwas, das reinen Tisch macht und die übliche, dem Markt untertänige präsentierte Systemrettung am Wochenende ablöst, bis die Börsen wieder öffnen und unzufrieden rummaulen. Man könnte auch fragen, ob es nicht gerade diese hastig zusammengebastelten Hilfskonstrukte sind, die immer neue Krisen nach sich ziehen, weil sie immer nur kleine Brandherde – wie die ein oder andere Staatspleite- verhindern. Und nicht den grossen Schnitt wagen, der die Währungskrise dort beendet, worin sie begründet liegt: In besagter Währung. Auf der, und hier sind wir als Wohlbesitzende natürlich hart betroffen, so ziemlich alles basiert. Die Anlagen, die Mieteinnahmen, die Altersvorsorge, die Finanzierung des Studiums der Enkel – wer immer an der Währung herumbaut, baut auch an der Zukunft der Besitzenden herum. Und als Besitzender würde man es eigentlich präferieren, diesem Eingriff in die eigene Welt zu entgehen. Nichts wäre in diesen Tagen normalerweise wichtiger, als die genaue Kenntnis der Anreise der Kinder, damit der Braten zum richtigen Zeitpunkt in den Ofen kann – aber noch lieber wüsste man 2010, wann dieser grosse Knall droht. Um sich davor rechtzeitig aus der Affaire der dann hoffentlich anderen ziehen zu können. Seien wir ehrlich: Wer nichts hat, merkt doch gar nicht, wenn ihm davon die Hälfte genommen wird. Dem Nachbarn, der sein Vermögen verliert, hilft es nichts, wenn man selbst sein Vermögen verliert.
Man kann sich ja mal überlegen, was man als Vollstrecker so einer Zwangsmassnahme braucht:
1. die Behauptung, dass es keine Alternative gäbe, und jede andere Option noch viel schlimmer wäre, und man so wenigstens sicher sein könnte, dass damit alles ausgestanden ist. Das sollte zu machen sein.
2. Ein wirklich schlimmer Schreckensszenario. Ein Blick nach Spanien, Portugal, Belgien: Das passt.
3. Einiges an Zeit, damit man eine durchgreifende Lösung auch halbwegs sicher machen kann, die Gremien mit einbezieht, die Folgen durchrechnet, notfalls mit Hilfe externer Spezialisten von Banken – also schon mehr als ein Wochenende. Zwei Wochen wären fein.
4. Idealerweise eine Zeit, da niemand so genau hinschaut, die Märkte mehr oder weniger geschlossen sind, die Menschen andere Interessen als Nachrichten haben, und damit die Reaktionen allenfalls gedämpft ausfallen.
5. Wirklich wunderbar wäre es, wenn sich dabei auch der Protest in Grenzen hielte – sei es, weil es draussen für das Demonstrieren zu scheusslich ist, oder in den Redaktionen eine unerfahrene Notbesetzung reines Unterhaltungsprogramm macht.
6. Und das alles am besten EU-weit, so dass sich die äusseren Störungen in Grenzen halten.
Oha, mag sich der geneigte Leser denken, das gibt es tatsächlich, diese Zeit: Feiertagsdurchtränkt und voll mit Ablenkung, Festessen und Familie, geschlossenen Märkten und Bankstern in St. Moritz, die Reichen in ihren Ferienwohnungen oder weit weg, wo es warm ist, mit unterbesetzten Banken und anderen wichtigen Aufgaben, wie etwa das Einkaufen gegen die Hungersnot am 24. und den folgenden Feiertagen, und das Umtauschen danach, das alles zwischen dem 23. Dezember und 9 Januar des kommenden Jahres, da es kalt ist, und an eisigen Laternenpfählen jeder Strick abrutschen muss. Oha, wird sich der geneigte Leser aber auch denken, das ist aber bald, und natürlich sehe ich das auch so, das ist sehr bald, keine Frage. Aber selbst eine kleinen Lösung, wie die von der Europäischen Zentralbank gewünschte Garantie der Schulden aller EU-Länder mit dem gemeinsamen Geld seiner Einwohner oder ein billionenschwerer Schutzschirm – und hier besonders mit dem Geld derer, die es haben – kann man es ja an den Tagen nach Weihnachten in kleinen Zirkeln durchdenken, danach beschliessen und am Rande des Neujahrskonzerts einfliessen lassen. Es ist einfach nicht die Zeit, in der man davon hören will. Auch wir am Tegernsee möchten eingentlich mal eine Weile nicht an die Sorgen wegen der Aktien denken, oder weiter zu all den Staatsanleihen, die in den Portfolios unserer Zusatzrentenversicherungen hektisch umhergeschüttelt werden.
Danach würden die Märkte kommen und irgendwie reagieren, und am Ende würd es so sein, dass jemand bezahlen muss. Aber wer am Ende wieviel verliert, in welcher Währung es sein wird, und ob man dafür nicht auch eine elegante Lösung findet, bei der die einen froh sind, dass sie die anderen endlich los sind, und die anderen sich freuen, endlich ihre Zweitwährung abwerten zu können, während das gute Geld in Scheinen unter dem Teppich gehortet wird, so, wie man das in der schlechten Zeit mit dem Schweizer Franken machte – wie das am Ende aussieht, weiss natürlich keiner. Noch nicht. Erfahrungsgemäss hat jeder endgültige Schnitt dann auch noch so ein paar nicht endgültige Folgen, aber wichtig ist es im ersten Moment, dass nicht alle zur Bank rennen und Kurs auf Lausanne, St. Gallen, Müstair und Lugano nehmen. Stille Nacht sollte über dem Vorgehen sein, alles sollte schlafen, einsam wacht die Task Force, wenn es denn so weit kommen sollte. Aber vielleicht sind die Märkte auch gnädig, vertrauen Spanien und dem Willen zur Gemeinschaftswährung, und es wird ein angenehmes, krisenfreies Fest – solange die Bratzen nicht zu spät kommen und der Braten zu trocken wird, denn das sind dann die echten Katastrophen, die auch beste Familien schlimmer zur Explosion bringen, als so eine Währungsreförmchen, das gar nicht weh tut. So glühweinnarkotisiert, wie man in jenen Tagen ist.
Begleitmusik: Hören Sie besser gar nicht auf mich, ich bin ein schlechterer Sohn aus bessserem Hause und habe keine Ahnung von Wirtschaft; hören Sie lieber den Gassenhauer, dass alles unter Kontrolle ist, oder noch besser, auf Fra’ Diavolo, “something wicked” für beschauliche Tage, Strassenmusik des Barock aus Neapel, eingespielt von Accordone und gesungen von Marco Beasle – erschienen bei Arcana. (Und wenn Sie mir einen Gefallen tun würden – kaufen Sie bei einem mutigen Plattenhändler. Und nicht zwingend bei feigen Versendern, die auf politischen Druck hin Plattformen der Wahrheit von den Servern schmeissen)