Was, Bordelle? Da brauche ich über ganz Wien nur ein großes Dach machen z lassen.
Kaiser Joseph II zur Frage, ob man die Einrichtung von Bordellen erlauben sollte
Bankdirektorentöchter gab solche und solche. Es gab die wirklich zahmen und für gute Ehen gezüchteten Kinder des einen Institutsvorstehers. Und dann gab es den nicht weniger abgerichteten, aber sich zäh widersetzenden Nachwuchs eines Mannes, dem es nicht gegeben war zu verstehen, wieso gerade er bei seinem Kinde so versagte. Das tat der Beliebtheit all dieser Kinder keinen Abbruch; die einen heirateten sehr bald und wurden gute Mütter, die andere schickte dereinst ihren Freund los, um einen komplizierten Cocktail zu holen, griff sich einen Bekannten und tat mit ihm, bis ihr Freund wiederkam, erstaunliche Dinge. Jeder, der es sah, war zu feige zu fragen, warum sie das tat, obwohl es uns durchaus interessiert hätte. Und genauso zu feige waren alle, es ihrem Freund zu berichten. Das gab ihr dann ein paar Wochen später die Gelegenheit, ihn nach Lust und Laune abzuservieren. Das jedoch, zu ihrer Ehrenrettung, nicht öffentlich.
Das alles ist ein Viertel Jahrhundert her, aus der ungebändigten Bankdirektorentochter wurde eine Münchner Vorzeigeanwältin mit Vorzeigebeziehung. Angesichts sonstiger gesellschaftlicher Veränderungen sollte man eigentlich meinen, dass sie sich gegen den Konsens unserer Tage entwickelt hat: Frauenzeitungen besprechen Sexaulpraktiken, die damals vielleicht in Schmuddelmagazinen aufgetaucht wären, das Internet lädt ein zur Dauerbespassung mit Pornographie, Scheidungen sind vollkommen normal, und von den Oligarchen lernen heisst in gewisser Weise auch, die Frau als Trophäe zu besitzen. Es gibt aufreizende Wäschewerbung an jeder Strassenbahnhaltestelle, und sogar in der kleinen, dummen Stadt an der Donau fahren Taxis Werbung für Orte der Prostitution umher – vor 25 Jahren wäre das unvorstellbar gewesen, und wenn ich ehrlich bin, finde ich auch heute keinen besonderen Gefallen daran.
Wenn früher halbnackte Frauen allenfalls einen Katalog für Kfz-Zubehör aufwerteten, war das eben eine Sache für Leute, die sich beim Fahrzeugkauf keine Freuden der Zubehörlisten leisten konnten. Wenn in der Zeitung mit übergrossen Buchstaben für unterkleine Leserhirne nackte Frauen waren, wusste man davon nur aus Berichten. Und wenn heute ein Geschäft für erstklassige Tonmöbel oder ein italienischer Seidenhersteller mit Anleihen bei Fesselungskünsten hausieren gehen, wirft das ganz andere Fragen in die Richtung meines Umfeldes auf: Warum, liebe vermögende Kundschaft, sollt ihr euch davon angesprochen fühlen? Und: Warum macht ihr euch nicht mal etwas locker, das ist doch alles ganz normal, ihr Spiesser.
Tasächlich könnte man meinen, dass inzwischen die Freiheiten grösser wurden; schliesslich finden solche Themen auch Eingang in Rederunden des TV-Geräts, und wie man anhand der veröffentlichten Neigungen eines bekannten Wettermannes erfahren darf, scheinen diese Praktiken gar nicht mal so selten zu sein. Eine ganze Reihe von Frauen lässt sich dafür bezahlen, damit sie ihre entsprechenden Erfahrungen ausplaudern, und auch im Fall von Julian Assange und seinen schwedischen Liebschaften war deren zweiter Weg nach dem Gang zur Polizei gleich zu einer Zeitung, die nicht davon Abstand nahm, dergleichen Informationen in die Öffentlichkeit zu tragen. Inzwischen haben sich in der Sache auch noch zwei andere Personen, sagen wir mal, geäussert, wenngleich nicht ganz so negativ, aber mit unbändigem Mitteilungsbedürfnis. Und es scheint, als käme auf ein paar Schock der unehelichen Tätigkeit “überführten” Politiker höchstens ein Journalist, der wegen Erpressung eines Schauspielers abgeurteilt wird.
Warum also machen wir uns nicht locker, um die mitschwingenden Fragen der Produktwerbung zu beantworten. Es ist genau diese geteilte Wahrnehmung der falschen Lockerheit: Einerseits wird uns vermittelt, alles sei ganz normal und vollkommen üblich. Andererseits sieht man recht schön, wie es ausgeht, wenn man sich tatsächlich mal nicht so hat: Allein schon die vergleichsweise unschuldige und nun wirklich nicht besonders spannende Angelegenheit eines marktüblichen Ehebruchs ist, wenn man nur ein wenig bekannt genug ist, eine Geschichte wert. Schaurige Details, nach denen das Publikum dürstet, sind da noch nicht mal zu berichten. Ich denke, ich wikileake keinerlei Geheimnis, wenn ich berichte, dass an den Haken der Decken unserer Häusern in erster Linie Kronleuchter hängen. Da ist gar kein Platz für gefesselte Menschen, die mit jeder Bewegung nur die zarten Drähte unserer bevorzugten Beleuchtung beschädigen würden; eher wird das Licht einfach aus Gründen der Diskretion ausgemacht. Die klassische Nebenbeziehung läuft nach meiner Beobachtung weniger auf Promiskuität oder lose Sitten hinaus, sondern vielmehr auf ein Ende der alten Ehe zur Etablierung einer neuen Beziehung, die wieder nur den gleichen Vorstellungen huldigt. Da ist wenig zu holen, für die Herrschaften von der Presse. Was für sie dann vermutlich auch die Attraktivität des eher lockeren Wettermannes ausmacht.
Im Vergleich zu früher kann man da nur verlieren: Jegliche Frivolität, jeder kecke Spruch eines Libertins über die Nichtigkeit der Liebe wird entwertet, wenn es einem, ein paar Stufen geistloser, inhaltlich identisch aus den Massenmedien entgegenschallt. Man ist kein Rebell gegen eine verkrustete Sexualmoral, sondern das, was alle sein wollen, vulgo nachgerade normal. Aber auch nur so lange, bis man auf die Idee kommt, dergleichen auszuleben: Die Moral, die dann zurückschlägt, hat sich in den letzten Dekaden kaum geändert. Sie ist vermutlich sensationslüsterner und offener, sie hat weniger Hemmungen und ist überhaupt sehr doppelmoralisch. Aber danach fragt keiner; man will nur wissen, wie locker sich der Gegenstand der Berichterstattung gemacht hat, oder wie fest die Knoten waren. Eine absurde Situation für bessere Kreise: Man soll sich nach den Regeln einer enthemmten Gesellschaft verhalten, um dann nach den Regeln der alten Gesellschaft verurteilt zu werden.
Womit wir wieder bei der Bankdirektorentochter sind: Was damals faszinierend anders und mutig war, wäre heute eher banal, vielleicht sogar etwas geschmacklos. Und bei aller Sexualisierung gibt es in den grossen Städten genug Kinder besserer Familien, die erst gar keine Beziehung mehr haben, in der sie den Partner betrügen könnten. Wo immer das enthemmte Dasein auch sein mag – es ist nicht bei all jenen, die sich morgen bei ihren Eltern fragen lassen müssen, wann es denn endlich mal klappt, wann der Nachwuchs sich endlich mal locker macht und einen Partner anbringt. Gar nicht so leicht, wenn der Zeitgeist für diese Lockerheit gleichzeitig die Laszivität der Erotikprodukte und das geziemende Wohlverhalten der Grosselterngeneration anmahnt.
Gern würde man hier natürlich Abgründe sehen, schreckliche Schlünder des Sündenpfuhls, doch steht zu befürchten, dass letztlich nur die Fassade bleibt: Man tut viel, um attraktiv zu bleiben, man kleidet sich gut und genügt sich im Wissen, dass man gefallen mag. Der Rest der Angelegenheit, der so stressig, aufreibend und risikobehaftet erscheint, ist vielleicht gar nicht so wichtig. Und so werden danach Opern besucht, Bücher gelesen, oder wenigstens Männer- und Frauenzeitschriften konsumiert, die Verführungen verheissen, die man lieber anderen überlässt. Es gibt keine Abgründe. Nur Desinteresse und Kronleuchter an den Haken. Wer noch keinen hat, bekommt ihn vielleicht morgen geschenkt, und schläft bald darunter ein. Allein, ungebunden, aber immerhin unter Kronleuchtern.