In den See! In den See mit einem Gewicht an den Füssen!
Asterix bei den Schweizern
Wissen Sie, manchmal ärgere ich mich über neoliberale Beiträge in den Medien, wenn sie von gesellschaftlich nicht akzeptierten Hungerleidern verfasst werden: Keine gute Herkunft, irgendeine halbscharige Journalistenschule, zwischenzeitlich auch mal Hilfspressesprecher in einem Industrieverband, und dann wollen sie plötzlich mit den Erwachsenen spielen, und biedern sich an. Sie unterwerfen sich lustvoll den vermuteten Wünschen einer angeblich um Abgrenzung bemühten Leistungselite, und behaupten zur Rechtfertigung der Bereicherung, nie seien die Unterschiede zwischen Arm und Reich kleiner als heute gewesen. Jeder könne sich satt essen, niemand ausser den Kotzbrechsuchtlern müsste verhungern, medizinische Versorgung sei für alle da, das TV kommt aus der Antenne und Schulgebühren müsse auch keiner mehr zahlen. Ausserdem dürften alle frei und gleich wählen. Also soll man sich nicht so haben. Sagen sie, und ich muss an den See, um auf andere Gedanken zu kommen. Ich hasse es, so beschleimt zu werden. Denn natürlich sind die Lebensunterschiede gigantisch. Mitunter auch zum Glück – oder warum meinen diese Leute, dass sie in Berlin an Resopaltischen Kantinenfrass oder Pappnudelschleim im B****** erdulden müssen? Nur diese Vorstellung macht ihre Existenz ohne Wunsch nach der Berliner Mitterepubliksmauer erträglich.
Manchmal muss ich aber auch erkennen: Die haben gar nicht so unrecht. Das heisst jetzt nicht, dass ich einen von diesen Vollgasdenkern einladen würde, oder es ihm nicht gönnen würde, wenn seine Kreditkarte mal versagt, wenn er weit weg von daheim ganz dringend Geld braucht, und er diese angeglichenen Lebensumstände der besitzlosen 30% der Bevölkerung am eigenen Transferleistungsempfängerleib empfindet. Der soll ruhig mal daran erinnert werden, woher er kommt und was er immer bleiben wird. Aber nehmen wir nur mal das Wohnen am Wasser. Da haben diese Leute nämlich recht.
Das Wohnen am Wasser gilt seit dem 19. Jahrhundert als irgendwie schicklich. Das hat mit der aufkommenden Badekultur zu tun, und bei uns in Bayern mit den Königen, die sich hier am Tegernsee ihr Privatschloss gleich am Wasser einrichteten. Adlige und Bürger zogen im Sommer nach, brachten diese Idee mit in ihre Heimat, und so ergab es sich, dass bessere Viertel sich dem Wasser zuneigten, statt es, wie früher, den Handwerkern für Abwasser zu überlassen und irgendwohin zu ziehen, wo es trocken war. Sie sehen das in meiner Heimatstadt, ich wohne in der Altstadt oben, wo die Strahlenkranzmadonnen von den Dächern lachen, und die anderen wohnen unten, wo man in Bachnähe auch heute noch ab und zu den Boden entgiften muss. Das war einmal, heute will man am Wasser wohnen.
Und was soll ich sagen: Gestern war ich im Vorfrühling radeln, und im Kern der Sache bin ich als Seebewohner gar nicht so allein in splendid isolation mit den 20.000 anderen, die in Fussnähe zum Tegernsee wohnen. Die Ironie an der Sache ist übrigens, dass ich mit Wasser sehr wenig anfangen kann; ich schwimme nicht gern und sehe Gewässer eher als dekorative Ergänzung an. Mit dieser meiner Haltung und einem gewissen Hang zu einer düsteren Romantik kann man auch dem oben abgebildeten Gewässer beim schlechtesten Viertel der Stadt etwas abgewinnen. Mit etwas gutem Willen ist auch diese Region nahe der Fabrik inzwischen zur Seelage geworden.
Zyniker werden jetzt behaupten, dass dies überhaupt kein See ist, sondern nur eine geschickt abgelichtete Baugrube des hiesigen Weltkonzerns, der hier bald eine neue Halle bauen wird; dass man darin nicht schwimmen kann und nur Morast aussenrum ist. Ich darf aber sagen, dass man im Moment auch nicht im Tegernsee schwimmen kann, und unsere Uferwege sind nicht mindern nass und matschig. Und ich bin mir sicher, wenn die besagten Schreiberlinge einen Blick zu den Füssen ihrer billigen Bürostühle werfen, werden sie einen schmutzfarbenen Bodenbelag aus synthetischem Stoff erblicken: Teppichboden! Werden sie sagen, und das gleiche habe ich auch. Nur halt in Persien vor 100 Jahren handgeknüpft. Genau so ist das auch mit dem Wohnen am Wasser. Ufer, Wasser, See. Immer das gleiche Prinzip, und so sind wir auch alle gleich.
Wir fahren hinaus aus dem innerstädtischen schlechten Viertel zu den ausserstädtischen schlechten Vierteln. Gut, die Immobilienmakler der Region werden Ihnen, so sie hier im Neubaugebiet einen Toskanabastard beziehen wollten, weiss Gott etwas über die gute Wohnlage auf den Jurahöhen berichten. Fakt ist aber: Wer hier wohnt, wohnt hier, weil woanders schon andere wohnen. “Mittelschicht”, könnte man sagen. Und auch hier ist gerade aus dem Neubaugebiet ein veritables Seegrundstück geworden! Wie es gleisst und blitzt, wenn die Sonne hinter den brandneuen Reihenexklusivhäusern untergeht! Wie sich der Himmel spiegelt!
Und Sie, liebe Leser, wären schon hundsgemein, wenn Sie nun bemerken würden, dass dieser See ein überschwemmtes Feld ist. Noch unfreundlicher wäre es, wenn Sie nun Rückschlüsse auf die Bodenbeschaffenheit zögen und überlegten, ob derartig hochstehendes Grundwasser, als das sie diesen See verkennen, schlecht für die Keller der Neuanwohner wäre. Was, möchte ich fragen, haben Ihnen die stolzen Seeanrainer denn getan, dass Sie so grob sind? Ich habe sicher alles Recht, neoliberalen Schreiberlingen den kostenoptimierten Cateringmüll, den sie beim Berliner Politikbetrieb als “Essen” wirklich schätzen, zu vermiesen, da darf, nein, muss man klar stellen, welchen Frass diese Unterschicht bekommt, und was im Gegensatz dazu bei uns Essen ist – aber was haben Ihnen die stolzen Hausbauer der Mittelschicht getan? Das ist kein schlechter Baugrund. Das ist der See, an dem man wohnen möchte, von der Schneeschmelze bis Mai und dann wieder im November.
Diesen See hier, den dürfen Sie gern als das bezeichnen, was er ist: Kein See. Nur ein Altwasser der Donau, das bis vor 40 Jahren ausgebaggert wurde und danach durch eine Renaturierung zur Freizeitregion wurde. Dafür sieht dieses Areal gar nicht mal schlecht aus. Es ist nur ein Baggersee, aber wer über die liebevoll gereinigten Wege am Ufer durch Eichenauwälder geht, könnte mitunter fast an einen englischen Landschaftsgarten denken. Hier kann jeder gerne sein, die einen müssen sich ins Auto setzen und hierher fahren.
Die anderen wohnen daneben. Nicht so nah wie die Blockbewohner oder die Mittelschicht, denn das hier ist immer noch Überschwemmungsgebiet, aber zu Fuss braucht man keine fünf Minuten. Unnötig zu erwähnen, dass jene Wohnlage das Westviertel der Stadt ist, in dem jene wohnen, die nicht andernorts wohnen müssen. Aber dafür haben sie es erheblich weiter zum nächsten Wasser. Als Kind habe ich hier mit dem Rad mein Surfbrett herübergefahren, im Winter waren wir Eislaufen, es ist wirklich nett, so nah am See zu wohnen. Aber am Ende ist es auch nur eine vollgelaufene Industriebrache wie bei den anderen auch. Trotzdem sehe ich nicht, warum ich die ähnlich argumentierenden Neoliberalalas mögen sollte – ich weiss us Erfahrung, dass es so ist, aber die argumentieren mit Zahlen aus Pressemitteilungen und Studien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Und was nun den Tegernsee angeht – nun, Motorbootfahren ist hier ebenso verboten wie auf den anderen Seen. Er ist erheblich kälter, wegen der Berge geht die Sonne früher unter, und bei unseren Kurpfuschern ist der Horror der Schönheitsmenschenversuche Realität, den man an anderen Orten nur aus dem TV-Gerät kennt. Manche von den hier ihre Erstfrauen abladenden Politikern, die in Berlin billige Neoliberalisten vom Catering vergiften lassen, stellen sogar eine Brücke zu jener Welt des Regierungsviertels her, in der es die Seegrundstücke überhaupt nicht mehr gibt. Mir fallen, wenn ich mir das Bild noch eine Weile anschaue, sicher noch andere Gründe ein, wieso das hier auch nicht besser als eine Baugrube oder der Bundespressestrand ist: Im Süden beginnt der österreichische Balkan. Die Berge muss man hinauflaufen. Es gibt keinen Minengürtel gegen Münchner. Wie auch immer: Wir alle haben Seegrundstücke, auf die ein oder andere Art, solange wir nicht an die giftige Spree ziehen, wir werden alle letztendlich gleichgemacht, und dieser Politik ist das vollkommen egal: Seit der letzten Eiszeit haben wir nur diesen einen Tegernsee, die anderen dafür haben in schneller Folge Baugruben zum Suhlen, Überschwemmungen für lustige Pumperein im Keller, keine Probleme mit Stauungen von der Autobahn bis zum See. Ich finde, die in Berlin könnten ruhig auch mal wieder was für uns tun. Denn die Gleichmacherei durch Seegrundstücke für alle, das weiss jeder, dessen Leistung sich lohnt, ist leistungsfeindlich, bürgerfeindlich, verhindert Steuersenkungen und bevorzugt Muslime, vernichtet Arbeitsplätze und ist deshalb unsozial und kommunistisch.
So, Arbeit fertig, welche Torte hole ich mir jetzt, und wo? Oder fahre ich doch schnell nach Sterzing zum Häusler? Am besten über den Reschenpass, ich muss mal schnell nach Graubünden.