Reich mir die Hand mein Leben, komm auf mein Schloss mit mir
Lorenzo da Ponte, Don Giovanni
Wäre es einem 1720 als gewöhnlicher Bürger vergönnt gewesen, hier zu stehen, und hätte man zum Schloss hinübergeschaut
hätte man viele Gründe gehabt, Klage zu führen. Heute sieht die unvollendet gebliebene Anlage alles ganz hübsch aus, aber 1720 baute dort ein bayerischer Kurfürst namens Max Emanuel den üppigen Palast für eine Kaiserwürde, nach der er vergeblich trachtete. Unter allen Massstäben, selbst denen des verschwendungsfreudigen Barocks, war dieses Schloss eine gigantische Fehlinvestition, und wurde wegen fehlender Mittel allenfalls halbfertig. Als normaler Bürger, der bis vor ein paar Jahren aufgrund der Ambitionen dieses Herrschers unter Krieg und Besatzung leiden musste, hätte man innerlich vielleicht über den Bauherrn geflucht. Der baute, man selbst hatte zu zahlen. Geholfen hätte das Fluchen wenig: Die Besitz- und Machtlosen wussten, dass sie von den Besitzenden und Mächtigen keinerlei Wohltaten, oder auch nur kostenloses Verständnis zu erwarten hatten.
Fast drei Jahrhunderte später, in einer Demokratie, die den Adel abgeschafft hat, ist das alles wieder vergessen.
So muss ich mir immer wieder in durchaus gebildeten und sicherlich nicht armen Kreisen einen speziellen Spruch anhören, der vielleicht für den Betreffenden kein Lob, aber durchaus eine Anerkennung ist: Der XY sei so reich, dem könne man vertrauen, der habe es gar nicht nötig, einen über das Ohr zu hauen. Das sagt man über Lokal- und Überregionalpolitiker, die finanziell ausgesorgt haben, und in der Rolle des wichtigen Entscheiders gefallen. Man sagt es aber auch über jene Herrschaften, denen man sein Geld anvertraut in der Hoffnung, sie würden es mehren.
Jedem halbwegs vernünftig denkenden Menschen müsste eigentlich klar sein, dass diese reichen Geldverwalter ihren Reichtum nur auf drei Arten anhäufen konnten: Entweder, sie entwickeln mit dem Geld etwas, mit dem sie anderen viel Geld abnehmen können. Oder die entwickeln etwas, das so aussieht, als könnten sie anderen das Geld abnehmen, aber in Wirklichkeit nehmen sie es den Investoren. Oder aber sie nehmen es von beiden Seiten. Dass beide Seiten gut fahren, die Investoren und die Käufer der Produkte, ist undenkbar – der Mittelmann wäre dann logischerweise nicht reich, sondern pleite. Dieser reiche Mensch, dem man also angeblich wegen seines Reichtums vertrauen kann, kann gar nicht anders, als jemandes Geld in seine eigenen Taschen zu leiten. Die Frage ist nur: Ist man auf der richtigen Seite, so es sie denn gibt.
Womit wir bei Heiligendamm wären, dem ehemals mondänen Seebad von Westsibirien am kleinen, baltischen Eismeer. Heiligendamm wurde in jenen Zeiten mondän, als die Bewohner von Berlin noch nicht aus Geldmangel, sondern wegen fehlender alternativer Transportmöglichkeiten die nächstbeste Brühe ansteuerten, die ungestraft man als “Meer” bezeichnen konnte – die Engländer reisten nach Italien und Südfrankreich und hatten somit gar keine Gelegenheit, die Berliner auszulachen. Kaum hatte man das Bad zu Heiligendamm mit ein paar Zwischeninsolvenzen einigermassen fertig, nutzte man die neuen Reisemöglichkeiten, um Soldaten in Kriege zu transportieren, die man mit Pauken und Trompeten verlor, und weil die Zeiten danach stets mieser als die frühere Epoche waren, kam man zum Schluss, dass diese pickelgehaubte Zeit der Ganzkörperbadekondome, relativ betrachtet, viel mondäner war.
Jedenfalls – eine Fondsgesellschaft namens Fundus eines gewissen Herrn Jagdfeld machte sich anheischig, von nicht ganz armen Zeitgenossen Geld einzusammeln, und damit den Glanz von Heiligendamm im Funkeln seiner Kronleuchter wieder entstehen zu lassen. Hand in Hand wollte man die Blumengirlanden des Kapitalismus zusammen mit der Strukturfürderung durch die eisigen Winde der Region flattern lassen, und mit der Legende des mondänen Seebades würden auch bald wieder die neuen Reichen aus Berlin anreisen, und bald schon würde man trefflich verdienen, indem man den Traum der Investoren zum Miet- und Ferientraum der anderen machte. So war der Plan.
Die Ausführung sieht nun aber leider so aus, dass nach vielen Jahren voller Pleiten, Pech und unvermieteter Betten die Altinvestoren zur Gesellschafterversammlung gebeten werden, wo man ihnen mitteilt, dass die ganze Sache am Abgrund steht. Vielleicht geht man bald pleite, vielleicht veräussert man noch schnell Grandhotel und unfertige Projekte. Vielleicht aber verzichten die Investoren auf 90% ihres Kapitals und dadurch auch auf Einflussmöglichkeiten, und helfen, noch ein paar Millionen nachzuschiessen, mit denen man neue Kredite bekommen könnte, um das inzwischen etwas, sagen wir mal, patinierte Grand Hotel um ein paar Attraktionen reicher zu machen. Dann, so sagt es das Konzept einer nicht ganz billigen Beratungsfirma, könnte man schon 2013 mit den ersten Ausschüttungen rechnen. Oder vielleicht auch mit höchstrichterlichen Urteilen, behaupten vermutlich manche Anlageranwälte, die sich anheischig machen, das schöne Geld gegen etwas schönes Geld wieder zurückzuholen, oder es wenigstens zu versuchen. “Frohsinn erwartet dich hier, entsteigst du gesundet dem Bade”, lautet der Wahlspruch des Seebades, aber wohl kaum des Stahlbades, das nun für die Beteiligten mit wenig erbaulichen Optionen unausweichlich scheint. Und ob es trösten mag, dass die Geber der öffentlichen Fördermittel für das Projekt noch weniger mitreden dürfen?
Auch sie Opfer, Opfer des Glaubens, man müsse nur den Reichen vertrauen, die wüssten schon, wie es geht, sie würden einen gerne mitnehmen, zu Glanz und Wohlstand. Je grösser, je phantastischer die Illusion, je opulenter die Versprechung und je ruhmreichere Legenden dem Projekt innewohnen, desto leichter scheint man zu überzeugen, werden Menschen gläubig. Je mehr Geld im Spiel ist, desto sicherer mag erscheinen, dass es auch da bleibt und nicht verschwindet, es ist ja so viel, und so viel besitzt auch der oberste Visionär. Man muss keine Raubzüge mehr machen oder Büttel losschicken, die Untertanen zu plündern. Es ist eine Sache von Glauben und Vertrauen, und der Möglichkeit, Eintritt zu erhalten, dabei zu sein, sich ein klein wenig als Besitzer fühlen zu können, wo andere allenfalls zahlende Gäste sind.
Wäre der Erbauer von Schloss Oberschleissheim kein absolutistischer Fürst gewesen, hätte man ihm seinen Paternalismus nicht abgenommen und wäre er gezwungen gewesen, seine Tage als adliger Promi für das Volk zu fristen, vielleicht hätte er auf die vielen Blumengirlanden im Palast gedeutet, und sie zum Zeichen der Verbundenheit zwischen ihm und seinen neuen Partnern erklärt. Aber wie schon erwähnt, damals war man wegen schlechter Erfahrungen mit den Reichen der Zeit etwas vorsichtiger: Als in etwa zeitgleich August von Sachsen versuchte, die gerade erfundene Porzellanproduktion als Aktiengesellschaft zu teilprivatisieren, gab es zu wenig Vertrauen. Man ahnte zutreffend, dass der Fürst nur Investoren zum Betrieb eines Werkes brauchte, dessen Erzeugnisse er bestellte, aber nicht bezahlte.
Wer hätte dann wegen ein paar Symbolen, einer Vision und Versprechungen in einen übergrossen Palast für ein paar reiche Herrschaften investiert? Keiner. Völlig zurecht, denn schnell zeigte sich, dass Schloss Nymphenburg nahe bei München zwar auch teuer, aber sehr viel beliebter war. Vielleicht sollte man, wenn man es mit Reichen zu tun hat, stets daran denken, dass man formal den Adel abgeschafft hat – nicht aber die Cagliostros, die Max Emanuels, die Arcanisten, die Hofschranzen, die Geldmacher und Schuldscheinausschreiber, die geklauten Denkschriften und Lobreden, die Cretins der Mächtigen, die man durchfüttern muss, den Ämterkauf, die Paläste, Hofnarren, Büttel und Fernsehköche des ganzen Spektakels. Nur die Titel sind weg, die Einrichtung ist billiger, und die Musik ist schlechter geworden. Und man zahlt anders, aber immer noch genauso für die Grillen der reichen Leute, die es nur scheinbar nicht nötig haben, einen über das Ohr, oder bei Bedarf auch über den Schädel zu hauen.
Disclosuratio: Zu dero Zeyt ich den Beitrag begonnen habe, wusste ich sintemalen nichts von den gar hässlichen Makeln kleinen Unachtsamkeiten in der Dissertatio des Herren zu Guttenberg.