I wear Italian shoes
Mink De Ville
Es gab eine Zeit, da konnte man sein Auto einfach vor jedem Geschäft stehen lassen, einkaufen, einsteigen und weiterfahren. Es war eine Zeit der freien Fahrt für freie Bürger, die sich ein Auto leisten konnten, und die anderen wurden einem nicht vorgestellt. Heute jedoch hat jeder ein Auto, und die Kommunen wehren sich: Aufgestachelt von Anwohnern und anderen Ökoideologen werden Parkzonen ausgewiesen, die Zufahrt wird erschwert, die Abschlepperei wird zur Sanierung maroder Gemeindekassen missbraucht. Dazu kommen Abgaben, Feinstaubhysterie und Ozonjammerei. Die autofreie Stadt gilt als ideal, umweltfreundlich und obendrein kostengünstig für Nutzer und Verwaltung, die Autos dagegen werden ausserhalb in teuren Lager eingesperrt. Die Ideologen dieser Bewegung jedoch verschweigen die versteckten Zusatzkosten, die auch bei der geringsten, 0,8promillenüchteren wissenschaftlichen Analyse sofort ins Auge springen. Um die Schattenseiten des Systems der Ökologisten und ihres Regimes auszuleuchten, haben die Stützen der Gesellschaft keine Mühen und besonders Kosten gescheut, und eines der Zentren der Bewegung im rücksichtslosen Selbstversuch erprobt: Mantua. Eine Stadt in Oberitalien, die wie so viele andere in dieser Region die Innenstadt fortschrittsfeindlich gesperrt hat.
Um möglichst realistische Bedingungen zu haben, fahren wir auf einem gebraucht erworbenen, italienischen Rennrad in die Stadt, und entsprechen damit den Anforderungen des Regimes. Allein das schlägt schon mit 600 Euro zu Buche. Wir tragen dabei robuste, neue Schuhe von Alexander, deren normaler Handelspreis bei 300 Euro anzusiedeln ist, zudem ein Tweedsakko mit Kaschmirbeimischung, ca. 600 Euro, wegen der Kälte durch den Fahrtwind. Noch nicht einmal an der Grenze der Altstadt angekommen, kostet uns dieses Unterfangen fast so viel wie ein Termin beim Steuerberater – nur erstattet uns die Gesellschaft hier absolut nichts.
In der Stadt angekommen, ist die ärmliche Erscheinung der Menschen geradezu ostblockhaft. Ältere Herren fahren eben keine S-Klasse mehr, sondern Rad. Jüngere Menschen flirten nicht mehr von Cabrio zu Cabrio, sondern machen sich schamlos, Küsschen hier und dort, an andere heran. Kein Wunder, wenn niemand den Alten Respekt zollt, der zwangsläufig entsteht, wenn eine S-Klasse mit dem Drehmoment einer Fukushima-Turbine ihr Recht an der Ampel durchsetzt. Keine Überraschung, dass so eine Jugend nicht im Mindesten plant, am Wochenende noch schnell im Büro eine Powerpoint zusammenzusetzen, und lieber auf den Strassen leistungsfeindlich herumlungert: Wer keine Leasingraten für das neue Golf Cabrio abstottern muss, tut eben gar nichts.
Dabei wird schnell offensichtlich, wie wenig die Abwesenheit von Automobilen dafür sorgt, dass alle gleich wären. Vielmehr verlagert sich der Wunsch nach Geltung und Ansehen weg vom hier sinnlosen Gefährt hin zu Gegenständen, die, so sie ständig erneuert werden müssen, nicht billiger sind. Im gleichen Masse, wie die Zahl der Autos in den Innenstädten abnimmt, nimmt die Zahl der Taschen von Hermes, Louis Vuitton, Gucci und Prada zu. Die Finanzkrise in Japan und den USA hat nicht im Mindesten dazu geführt, dass derartige Geschäfte aus den oberitalienischen Städten wie die Autos verschwunden wären. Und wer denkt, es würde reichen, der Frau dergleichen einmal zu Weihnachten zu schenken: Die Töchter stehen offenkundig bei dergleichen Wünschen nicht nach. Nur müssen zusätzlich weitere Preziosen an den erfüllten Nachfragen befestigt werden.
Wie in Diktaturen üblich, machen die Opfer aus ihrer Not eine Tugend. Die Art der erzwungenen Fortbewegung macht den Gebrauch spezieller Schuhe sinnvoll, und man wäre nicht in Italien, würden die Betroffenen das nicht nutzen, um sich entsprechende Schuhe zu kaufen. Gerne in Gelb. Oder in sportlicher Form. Oder von britischen Luxusmarken. Selten wird man so viele britische Sport- und Freizeitschuhe sehen, wie hier in Oberitalien. Die Geschäfte sind voll damit. Unser Schuster in Verona hat extra für Frauen der sportlichen Bewegung türkisfarbenes Leder im Programm aufgenommen. Verkauft sich blendend. Gut für die Schuhhersteller. Aber auch hier: Versteckte Zusatzbelastungen.
Die teuren Schuhe können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Transportmittel in Mantua ein Rückschritt auf das Niveau der dritten Welt, oder wenigstens der schlechten Zeit nach dem Krieg ist. Korb vorne, Korb hinten, extra ein weisses Tuch, und die Räder selbst: Entweder wirklich alt, oder Nachbauten alter Räder. Dazu kommt trotzdem der Versuch, auch diese niederen Gefährte irgendwie schick zu gestalten, um nicht im nordkoreanischen Einerlei unterzugehen: Man will Sättel aus England, Satteltaschen aus Leder, Schutzbleche aus Chrom. Der Mensch, den automobilen Luxus entkleidet, kann nicht anders, als sich den Luxus neu zu erfinden, selbst wenn er mit 10 Kilo Einkäufen hinten und 5 Kilo Modehund vorne zum Radeln verdammt ist. Und dafür brauchen sie dann Fahrradkörbe, die schon mal 100 Euro oder mehr kosten. Wer soll das bezahlen?
Begrenzte Transportkapazitäten führen dann auch dazu, dass diese Leute keinerlei regulären Einkäufe dort tätigen können, wo man bei uns den Cayenne parkt: Vor dem Bioregal. Bei Aldi. In der Altstadt von Mantua gibt es keinerlei Discounter, sondern nur teure Spezialitätengeschäfte und Bäckereien, die sich noch immer keine anständigen Frischeinudeln beschaffen können, und ihre Tortelli, mit billigem Kürbis gefüllt, für teures Geld verkaufen. Am Samstag ist dann Wochenmarkt, auf dem die Bewohner ihre kleinen Rationen für Summen kaufen können, die andernorts einen Tiefkühlschrank des Jungdynamikers mit Pizza bis zur Decke füllen würden. In den fast 500 Jahre alten Arkaden eines gewissen Giulio Romano, die man, so man Geld hätte, super mit Glas und Stahl aufpeppen könnte, sind keine Sushiläden, sondern – wohl der Not der Leute geschuldet – bärtige alte Männer, die alte Bücher verkaufen. Alte Bücher, alte Mauern, kein Ökofascho, sagen wir es, wie es ist, kann die Augen vor diesem Niedergang verschliessen.
Die Italienerin jedoch nimmt es mit der ihr eigenen Ruhe hin, schliesslich bleibt ihr das vertraute Gespräch mit Freundinnen, und der Tausch von Rezepten, mit denen sie sich ein wenig aus dem Elend herauskochen kann. Mal schnell mit dem Auto zum Flughafen auf eine weichgekochte Pastapaste in Berlin, zu einem schicken Easyjetsettrip nach London – dafür hat sie kein Geld, das geht alles im Kleinklein der Märkte verloren, auf denen man nicht, wie in Deutschlands Industriegebieten, erstklassiges Fleisch für unter 10 Euro das Kilo in der praktischen Kühlthekenpackung erhält. Es ist alles, jede Tätigkeit, jeder Erwerb, sehr viel teurer als eine kleine Autofahrt in die Region grosser Parkplätze.
Völlig übersehen werden auch die Gesundheitsprobleme dieser Bevormundung: In der freien Luft, oben scheint die Sonne, von vorne weht der Fahrtwind, ist der Erwerb von Kopfbedeckungen kaum zu vermeiden. Während Klimaanlage und Sitzheizung heute schon in jeder E-Klasse Standard sind, müssen die Radler extra in die Tasche greifen, um sich gegen die Widrigkeiten der Natur zu schützen. Wie vor 70 Jahren, in der Zeit, als sich nur wenige das Automobil leisten konnten. Jetzt aber mit Zwang für alle. Dazu kommen Handschuhe, Schals, Trenchcoats, und auch hier unterschätze man nicht die Findigkeit der Italienerin, wenn es um die letzten freien und teuren Zentimeter im Kleiderschrank geht.
Es steht unzweifelhaft zu befürchten, dass sich diese Ideologie bei den Italienern bereits verfestigt hat. Sie bleiben mitten auf der Strasse stehen, reden, diskutieren, tauschen Küsschen aus, mal schieben sie und mal stellen sie das Rad schnell ab, wenn es ihnen behagt, und in den Hauptverkehrsadern sind Schikanen eingebaut, die sich, als Strassencafes getarnt, zu wahren Keimzellen der Autofeindlichkeit entwickelt haben. Ja, es steht sogar die Indoktrinierung der Kleinsten zu befürchten, dass man mit einem verbeulten Sakko und einem alten Rad, solange man sich nur richtig hinstellt, cool, sportlich und sexy wirkt. Bis ins hohe Alter. Intellektuelle klemmen die Zeitung vorne an den Lenker. Man hat sich mit Verbot, Drangsal und Terror arrangiert, man macht mit, von Widerstand sieht und hört man nichts. Die Menschen nehmen all die Ausbeutung willenlos hin, von den teuren Rädern über die notwendige Schutzbekleidung bis hin zu den Stunden, die sie in Cafes verlieren, wenn sie ermattet von der entwürdigenden Existenz der Autolosen grosse Eisbecher und Unmengen starker Koffeingetränke konsumieren. Der Italiener als solcher mag sich der Illusion hingeben, dies sei das schöne Leben.
Aber wir Deutschen fahren nach Hause, ziehen unsere Schuhe aus und können mit dem unberührten Vergleichspaar den Schaden ermessen, den diese wenigen Stunden bereits an den Sohlen hinterlassen haben: Die Pedale haben sich eingegraben, die Steine die goldene Schrift abgewetzt, aus edlem Rot wurde gewöhnliches Braun. Um Schuhe im Discounter und Büro so zu ruinieren, muss man monatelang unter Neonröhren hart arbeiten und gut verdienen. Der Italiener dagegen hat den Schaden an einem Tag in Mantua angerichtet. Kosten, Kosten, Kosten. Deutschland darf nie so werden, und so ist es eine Frage des Schicksals unserer Nation, dass wir uns wehren gegen die natternhaften Einflüsterungen irgendwelcher Ökos, wir sollten das Auto stehen lassen und eine Energiewende einleiten. In Mantua sieht man überdeutlich, wohin man damit kommt: Es wird durch all die versteckten Kosten so immens teuer, dass uns nicht mal mehr Geld zum Erwerb von Riesterrenten, irischen Staatsanleihen und kapitalmarktgedeckten Lebensversicherungen bleibt.
Von den Baukosten von sicheren Endlagern für sicheren Atommüll ganz zu schweigen.