Da sah ich einen jungen hübschen Mann ort unterm Baum vorbeigehn; mich erblickend hielt er mit einem tiefen Bückling an.
Moliere, die Schule der Frauen
Bevor wir uns einem Thema zuwenden, das den Bereich der Delikatesse längst verlassen hat, und zu Fetisch, Perversion, Sexismus, Niedergang, Dekadenz, Machismo, Überalterung und Verschwendung vergärt ist, mit einem Hauch von Berlusconiverwesung und freiheitsvölkischer Bunga-Bunga-Nähe – bevor wir also in das Fegefeuer der Eitelkeiten hinabsteigen, möchte ich erst einmal einen Blick in den innersten Höllenkreis werfen, nach dem alles andere gar nicht mehr so schlimm ist. Dort treffen wir den Teufel. Der Teufel trägt nicht Prada, der Teufel ist ein deutscher Tourist und trägt zur Jutetüte (Aufdruck: Alles wird gut, vom Piper Verlag, der Teufel zeigt Kulturbeflissenheit): Sportsandalen. In Pink. Und seine Frau hat die weissen Sportsocken daheim vergessen.
Nach dieser unserer eigenen, urdeutschen Psychose der angemessenen Bekleidung von Oberstudienräten, Kulturbetriebsangehörigen und anderen Geistesgrössen fällt es leichter, gelassen über die Neurosen der Italienerinnen und deren Sieg über Irrungen zu sprechen. Denn früher waren Italienreisen ein Höllenritt, so man eine weibliche Begleitung hatte, die aus biologischen oder ästhetischen Gründen keine hohen Schuhe tragen wollte. Für solche Frauen war der Schuhkauf die gleiche Qual, den dieser Anlass für Männer in Deutschland darstellt: Der Partner weiss nicht, welche Schuhe er mitnehmen soll – Mantelassi? Church’s? Alexander? Edmonds? Oder doch vom Schuster auf Bestellung? Und wieviel Platz ist noch im Kofferraum? – und die Dame sah sich zu den Omaschuhen für gebrechliche, alte Frauen verwiesen, die keine hohen Absätze tragen können – für den Fall, dass sie nicht wie so eine wirken wollte. Es schien, als wollte sich das Fatum rächen für all die weibliche Unentschiedenheit im heimischen Fachgeschäft. Denn früher sah die normale Vorstellung normaler Schuhe für die normal gut gekleidete und verdienende Italienerin nur farblich wie der Oberstudienratlatschen aus, ansonsten aber anders, und vor allem: So hoch wie möglich.
Man muss an dieser Stelle dazu sagen, dass die Strassen Oberitaliens für solcherlei Schuhwerk ähnlich geeignet sind, wie meine heimischen Kletterpartien auf den Leonhardstein. Mag der Designer an Parkett oder weissen Marmor, an Perserteppich oder wüste Orgien auf Pietra Dura Tischen gedacht haben; die italienische Frau dagegen dachte “Oh schön den will ich” und hatte keine Skrupel, ihn einzusetzen. Auf Kopfsteinpflaster. Auf rutschigen Steinplatten mit tiefen Spalten dazwischen. Auf den unvermeidlichen Holzplanken der Baustellen. Auf dem schrecklichen Eiersteinpflaster in Mantua oder Verona, oder, wenn es dazwischen einen Randstein gab, auf demselben seiltanzend und sich am Begleiter festhaltend. Des Nachts, am Wochenende besonders, war allerorten das Tacktacktack der kleinen Absätze zu vernehmen, manchmal entschlossen und bisweilen auch reichlich unsicher. Bei der Jugend, aber auch im Alter. Italienerinnen, konnte man als Faustformel festhalten, tragen die Schuhhöhe, die sie gerade noch ohne orthopädischen Eingriff ertragen. Und so nimmt es nicht wunder, dass solche Schuhe nicht etwa in der Requisitenkammer von Berlusconis Villa oder in einem Laden für Dienerinnen der Venus angeboten werden, sondern in einem der ersten Häuser am Platz.
Über die Bedeutung solcher Lederwaren muss man nicht gross nachdenken; es reicht, nach Roverbella zu fahren, wo die hiesige Jugend das Leben feiert. Dort wird mit Bier geworben, und eben auch mit den Bildern solcher High Heels, die sich nach oben fortsetzen in Strümpfe und danach in Körperteile, denen man eine gewisse Nacktheit nicht absprechen kann. Damit, so das Versprechen, werde der Abend schön, und es ist zu vermuten, dass sich diese Botschaft an jene Zeitgenossen wendet, die früher im Schritt zu enge Hosen, Schlangenlederschuhe und weit offene Hemden trugen. Es geht nicht nur um die Höhe der Absätze, es geht auch um die Heraushebung, um das, was man vielleicht als “Haltung” bezeichnen kann, und ein Versprechen, das ich gerne so formulieren möchte: “Ich kann jetzt solche Schuhe tragen, verlass Dich drauf, auch in dreissig Jahren, wenn Du mich geheiratet hast, werde ich noch entsprechend schick daherkommen.”
Natürlich haben sich seitdem die Aussagen der Werbung nicht geändert. Den Männern verspricht das Zeichen bis heute schöne Abende, und den Frauen versprechen die Bildchen der Frauenmodezeitschriften Attraktivität. Allein, spätestens im Vergleich mit russischen oder japanischen Gruppen junger Touristinnen, die quietschend und sich aneinanderklammern durch Italiens Städte dem tiefen Fall entgegen stolpern, fällt eine Wandlung auf: Bei Italienerinnen muss man heute schon etwas warten, um all jene komplexen, hohen Gebilde in freier Wildbahn anzutreffen. Wenn man sie tagsüber sieht, ist es nicht selten im Zusammenhang mit einer teuren Tasche und einer Frau, das das Versprechen von den kommenden 30 Jahren gerade so gut es eben geht einlöst: Die Trägerinnen sind nicht mehr die Jüngsten, und wären sie am Tegernsee, würde sich in ihre Gespräche langsam der Austausch von Adressen gewisser Mediziner einschleichen, die mit der ein oder anderen Spritze – kurz, zu der Zeit, da ich selbst korpulent werde und Schuhe gerne etwas breiter nehme, greift die Italinerin besonders gerne zu jenen hohen, sehr hohen Schuhen. Dann übrigens auch mit sehr viel Schnürung, damit sie trotz des Alters noch sicher getragen werden können. Mit Mitte 40 erreicht der Damenschuh seine grösste Höhe, davor und danach wird er niedriger.
Und junge Damen tragen inzwischen sehr oft flach. In Mantua hat ein Geschäft aufgemacht, in dem es zur zeitgeistigen Landhauseinrichtung auch Damenschuhe gibt – sehr hübsch, sehr verspielt, sehr niedrig, und vermutlich auch nicht unbequem. Früher wäre so etwas nach einer Saison pleite gewesen. Jener Laden, der all die sehr bekannten Marken hat, bei denen man sich unwillkürlich fragt, welche Einheimischen sich das überhaupt leisten können, und wie lange sie dafür hungern müssen: Die eine Hälfte der Schuhe im Schaufenster ist hoch. Die andere ist niedrig. Und dann sind da noch die Legionen der Jugend, die zwischen dem flachen Schuh der Damen und dem Treter des deutschen Kulturbeflissenen stehen: Turnschuhe, Ballerinas, Strassenmode, nur das iPhone, das scheinen sie alle zu besitzen, und die gleiche Tasche wie Mama, oder eine gute Kopie. In Verona hat die Regierung der Lega Nord deutlich gemacht, dass Bunga Bunga nicht für alle gilt, und die Rotlichtmeile ausserhalb der Stadt massiv unter Druck gesetzt: Manche jungen Damen stehen inzwischen in Mantua, und die tragen sie noch, die hier eindeutigen hohen Schuhe zusammen mit einem Versprechen aus Roverbella, das Sie, liebe Leser, vermutlich als Heimat des besten Risottoreises kennen, die Menschen hier jedoch auch wegen des Bierlokals mit der eindeutigen Werbung. Vielleicht, mag die Schuhindustrie hoffen, wachsen all die jungen Freundinnen flacher Schuhe später mal in die hohen Absätze hinein, um sich dann gegen junge Konkurrentinnen abzusetzen.
Vielleicht auch nicht. Vielleicht bleibt es den Russinnen und Chinesinnen vorbehalten, die hiesigen Anbieter von extraordinären Lederkreationen zu retten, vielleicht ist es ja wirklich so, dass der Nachwuchs den Fortschritt und das Prestige mit dem Mobiltelefon verbindet, und Absätze über 20 Zentimeter mit einer Vergangenheit, die, egal ob Frau, Mann oder gar Ministerpräsident, eher zur Hautstraffung greift, weil Absätze alleine nicht mehr reichen. Unerbittlich kann der Gang der Moden sein, nur denen, die unter dessen Absätzen zertreten werden, kann es egal sein, ob sie nun vom Stiletto durchbohrt oder vom genagelten Leder eines Brogues zerquetscht werden. Mancher Mann aus meinem Umfeld wird es nun vielleicht hassen, dass die Reisekasse und der Platz im Kofferraum auch von der Begleiterin beanspucht wird, mancher Italiener wird das Tacktacktack in den Gassen vermissen.
Nur die pinkfarbene Sportsandale des deutschen Kulturbeflissenen, die ist ewig und unvergänglich, wird auch auf dem Weg zum Jüngsten Gericht getragen, und erinnert wie ein alter Medienunternehmer daran, dass Beständigkeit beständig ist, aber noch lange nicht gut.