Vielleicht die beste Bahn der Welt.
Hartmut Mehdorn
Es ist durchaus etwas vorstellbar, das aus ökologischer Sicht verwerflicher als die Targa Florio ist: Armen Eisbären die Eisberge mit russischen U-Boot-Reaktorenkernen wegschmelzen. Tigerpelze mit Walhautinnenfutter und Dodofederbesatz tragen. Die Kreuzung von Lebensmittelgentechnikerinnn mit Atombombenkonstrukteuren. Die Zutaten eines durchschnittlichen bayerischen Leberkäses. Aber dann wird es schon eng, denn die originale Targa Florio hat alles aufgeboten, was man als Grüner hassen muss: Autos ohne Katalysator und Sicherheitsgurte, die hühnerplättend über sizilianischen Schotterpisten jagen und als Brandfackel Olivenhaine, Zuschauer und sogar Katzen gefährden. Ein Rennen. Ein Machosport auf sizilianischem Mafiaboden. Laut, obszön und stinkend. Und nicht umzubringen, denn auch heute noch werden die Rennwägen von damals durch Sizilien gescheucht.
Einen Vorgeschmack auf die Targa Florio gibt es auf der kaum weniger verachtungswürdigen Mille Miglia, denn beide Veranstaltungen werden von der gleichen Agentur organisiert: Dort fährt dann immer ein stinkendes Werbevehikel der Targa mit und lässt ahnen, was da an Gewalttaten im Herbst der sizilianischen Umwelt angetan werden. Zumindest war das bis zu jenem Tag so, da ich von eben jenen Veranstaltern dieser gewissenlosen Raserei auf eine “Ecotargaflorio” hingewiesen wurde:
The Eco Targa Florio Green Prix is a race reserved for the most important alternative energy vehicles, a real laboratory of development and testing for the future, where the major car manufacturers can promote their eco-sustainable models.
Das klingt durchaus hühner-, oliven- und grünenfreundlich. Besonders, wenn man an die Bilder aus Stuttgart von Prügelorgien und an die Verlautbarungen der Deutschen Bahn denkt. Da haben wir also das ehemalige Jahreswelthaupttreffen der selbstmörderischen Olivenhainabfackler, das uns etwas über Nachhaltigkeit, Umweltschutz und alternative Energiequellen erzählt. Und dann die Deutsche Bahn, die nach einem undurchsichtigen Stresstest den Schwaben einen Bahnhof aufzwingt, für den sie erst mal einen Park niederholzen. Für ein Mehr an Zugverkehr, dessen errechnete Leistungen sich erst dann als Hirngespinste erweisen könnten, wenn die Verantwortlichen längst woanders sitzen: Vielleicht als Manager bei gut daran verdienenden Baukonzernen, vielleicht als Beratungsagentur für Strukturfehler, oder bei einem Fonds, der Kredite für Notreparaturen zur Verfügung stellt; wer vermag das schon sagen, es dauert noch lang, bis der Bahnhof fertig ist, in dem dann jene Züge verspätet einlaufen, die Grüne oft für die Lösung der Verkehrsprobleme halten.
Nun hat man in klassischen Westvierteln – also dort, wo die Grünen gerade zur besseren Volkspartei werden – nichts gegen Züge, denn erstens sind die Gleise woanders und zweitens müssen die anderen ja irgendwie auch zur Arbeit kommen. Was man eher nicht hat, ist die Bereitschaft, sich ebenfalls dauerhaft in so einen Zug zu setzen, denn der Bahnhof ist viel zu weit weg. Und was man schon gar nicht hat, ist die Einsicht, dass es ohne Auto besser ginge. Genau das aber – die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und der Bahn – war seit jeher das Credo der Grünen. Bei den meisten politischen Fragen gibt es nichts, was einem die Grünen absolut verleiden könnte. NNur die Sache mit dem Kollektivieren der Mobilität, oder anders gesagt, die 5 Mark für den Liter Benzin und Autobahngebühren, das geht nicht. Tempo 100 wäre eine andere Sache, dafür gäbe es sogar ein gewisses Einsehen. Aber der Gedanke, dass man mit Kosten und Benachteiligung dazu gezwungen wird, das Elend zu benutzen, was alle anderen auch benutzen: Das sieht bei uns keiner ein.
Der Erfolg der grünen Ideologien kommt mit der Wertschätzung des Individuums und seiner Bedürfnisse. Die Grünen waren immer dann erfolgreich, wenn sie gegen Grosskonzerne wie die Versorger antraten. Gegen die Monopole. Gegen Systeme der Verstrickung von Politik und Wirtschaft. Für Regionalisierung und kurze Wege. Für die Wünsche der Menschen, für den Respekt des Anderen, für eine Gesellschaft, die offen für alle ist. Das geht so weit, dass sich heute keiner mehr an gleichgeschlechtlichen Ehen zu rütteln traut, dass die gelbschwarze Regierung die Wehrpflicht abschafft, und Herr Seehofer ganz wild auf die Chancen ist, die aus dem Atomausstieg für Bayern erwachsen. Wer überleben will, muss von den Grünen das Erfolgreiche übernehmen. Alle sind irgendwo grün.
Nur beim Individualverkehr: Da sind die Grünen ziemlich einsam. Und da stehen sie plötzlich für einen Strukturmoloch namens Bahn, für unübersichtliche Interessen und fehlende Effizienz, für ausfallende Klimaanlagen und Verspätungen und schlechten Service, für tristes Design und Unterordnung unter ein System, das keine Ausnahmen kennt – ausser jene, die es sich selbst genehmigt. Das Hätschelkind der grünen Geellschaftskollektivierung lacht sich eins, stellt einen Bauzaun auf und schafft vollendete Tatsachen, gibt den politischen Gegnern jede Menge Munition und – so sehr ich auch nachdenke, fallen mir, von den strahlenden Reaktorkernen und der Endlagerung abgesehen, eigentlich kaum Unterschiede zwischen der Bahn und den Atomkraftwerksbetreibern ein. Die Bahn möchte Infrastrukturdienstleister für die Wirtschaft sein, aber so ein Zugfahrgast? Steht auf der gleichen Stufe wie der Stromendkunde. Er kann oft nicht anders. Er muss halt. Auch wenn dafür Bäume fallen. Und was den Trassen sonst noch im Weg steht.
Dafür wählt einen keiner. Schon gar nicht in den Westvierteln, die stets so angelegt sind, dass man diese öffentlichen Verkehrsmittel nicht braucht. Dort gibt es aber durchaus ein Interesse an einem ökologisch freundlichen Individualverkehr. 4000 Euro teure Pedelecs etwa verkaufen sich bei uns gerade wie geschnittenes Brot aus genfreiem Natursauerteig frisch aus dem Jurasteinbackofen. Auf dem Tegernsee sind Motorboote für Privatpersonen verboten, aber Segelyachten gibt es in grosser Zahl. Hinten in Kreuth kommen Tausende, wenn die Kutschen vorgeführt werden. Eier holt man zu Fuss beim nächsten Hofladen, Erdbeeren mit dem Rad. Würde ein Politiker der Grünen mit so einem Ökomobil durch Sizilien rollen und damit im Fernsehen auftreten, wäre das etwas eine durchaus zustimmenswerte Sache, besser jedenfalls als in der Rolle eines Schaffnerhandlangers. Das Grundübel der Grünen war nicht die Frage, wie man Mobilität organisiert, sondern die Antwort, die da einfach auf “Ihr müsst alle in die Bahn” lautete. Eine Antwort nach dem Motto “Niemand nimmt Euch Euro Freiheit, Ihr müsst keinen Schaffner und keine Mitreisenden ertragen, es zwingt Euch keiner in einen Reiseplan mit Unsteigen und Warten, aber Alternativen zu Benzin sind nötig, und die suchen wir nach Euren Bedürfnissen, und mit modernen Verkehrskonzepten brauchen wir auch nicht mehr Strassen” – diese Antwort würde gefallen. Diese Antwort denken die Autokonzerne gerade an.
Und wenn die Grünen klug sind und begreifen, dass sie nicht mit Jute und selbstgetöpferter Keramik erfolgreich wurden, sondern durch Feierstimmung, gutes Essen in hübschen Körben, angenehme Aussichten, Lebensfreude, Hedonismus und ohne Zwang – dann können sie vielleicht auch mal anfangen, mit dem Ausstieg aus der Bahntechnologie, die nun etwas länger schon keine Brückentechnologie in die Zukunft mehr ist, sondern das, was man in Stuttgart sieht. Oder an jedem beliebigen Bahnsteig. Natürlich wäre es ein wenig opportunistisch, wenn die Grünen Stuttgart als Ausrede für einen Paradigmenwechsel nähmen. Aber ich perssönlich glaube, dass hübsche Bilder von Olivenhainen, griechischen Ruinen und sizilianischer Sonne im Oktober hübscher sind als das, was die Bahn zur gleichen Zeit in Stuttgart tun wird.