Wann’s no amoi bassiad deaf’s nimma bassian
pflegte meine Grossmutter dialektisch zu sagen und hatte damit wie immer in beiderlei Hinsichten recht. Und so wachen wir also eines schönen Frühnovembermorgens des Sommers 2011 auf und müssen lesen, dass die Ratingagentur Standard & Poor’s die Frechheit besessen hat, die Schulden der USA von AAA auf AA+ herabzustufen. Einerseits ist das natürlich gegenüber einem Schwellenland mit Atomwaffen nicht nett, und es wird auch die Schuldenbesitzer in China nicht erfreuen. Andererseits ist das Urteil von S&P immer noch so milde wie der Notarzt, der einem ohne Beine aus dem Wrack seines Autos befreiten Raser mitteilt, dass er heute keinen Marathonlauf mehr planen sollte. Nun also ist passiert, was nicht mehr passieren darf, und nach 2008 stehen wir, die wir besitzen, erneut vor der ewig modernen Frage des Requiems:
Quid sum miser tunc dicturus
Quem patronum rogaturus
Cum vix justus sit securus
Was soll ich Sünder nun sagen
An welchen gestückelte Parteispenden annehmenden Schatzmeister kann ich mich wenden
Wo doch selbst der Gerechte kaum sicher sein kann.
Was in solchen Momenten natürlich das Herz der Vermögenden erfreut, ist etwas, von dem ebenfalls schon das Requiem kurz danach kündet:
Liber scriptus proferetur
In quo totum continetur
Unde mundus judicetur
Ein festgeschriebenes Buch wird dann hervorgeholt, in dem alles enthalten ist, nach dem die Welt beurteilt wird. Nach übereinstimmender Auffassung vieler reicher Menschen sollte man dort auf der Guthabenseite vermerkt sein, und es geht die Sage, dass derartige Bücher, die im Falle des Weltuntergangs immer noch Gültigkeit haben, hinter der oben zu sehenden Strasse geschrieben werden, hoch oben in den Bergen, in einem Land namens “Schweiz”, und hinter den ewigen Zahlen findet sich dann auch eine Einheit, und die heisst “Schweizer Franken”. (Und nicht in Spanien.)
Dass man allgemein diesem Glauben anhängt, hat zwei Gründe: Einerseits die massive Bewerbung der Schweiz als Geldstandort, die das ehemals arme Bauernland, das seine Kinder als Kaminkehrer ins schöne Mailand verkaufen musste, so fett und reich werden liess, dass es inzwischen Kanzlerchefs nach Frankfurt verkauft. Andererseits ist da aber auch die lange Erfahrung bei den Reichen, dass die Schweiz tatsächlich so ein Hort der Sicherheit ist, und den Stürmen der Geschichte länger als alle anderen widerstanden hat. Sicher, auch die Schweiz musste einst vom Goldstandard abrücken, auch die Schweiz kennt Inflation – aber stets ging das Geld erst in den Heimatländern der Reichen kaputt, und die Schweiz wertete später ab, wenn sich daheim die Verhältnisse wieder gebessert hatten, oder wenigstens ein paar ordentliche Krisengewinne realisiert werden konnten.
Nun jedenfalls ist es wieder soweit, die schöne Welt sucht einen sicheren Hafen und wer noch nicht die Gestade der Eidgenossenschaft angelaufen und den Marsch zur Bank gemacht hat, tut es jetzt, spätestens am Montag, da der Franken ohnehin schon grotesk überbewertet ist, solange man nicht von einem 30%-Währungsschnitt in der EU ausgeht. Früher hatte die Schweiz nichts dagegen, wenn Ängstliche und Sorgenvolle der Welt ihr Geld hergaben, um praktisch kostenlos hergestellte Scheine der Schweizer zu bekommen und zu horten, was, unter uns gesagt, ein besseres Geschäft als der Handel mit in China gebauten Kukucksuhren ist. Die Schweiz hat sehr gut damit gelebt. Ich würde also nicht dem Glauben anhängen, dass diese Währungsturbulenz nun ein echtes Problem für die Schweizer Wirtschaft ist – Rohstoffe und dort verkaufte Importüter wie Kaviar, Champagner und Luxusautomobile werden eher billiger. Vielmehr hängen am Franken die sogenannten Carry Trades, Schulden mit niedrigen Zinsen in Franken, von denen halb Osteuropa und jede Menge EU-Banken erst profitiert und dann blutrote Bilanzen bekommen haben.
Dem Vorgang wohnt eine selbsterhaltende Dynamik inne: Steigt der Franken, haben die Osteuropäer in ihren eigenen Währungen mehr Schulden. Die können oder wollen sie – wie aktuell gewisse Politiker in Ungarn – nicht bezahlen. Diese Schulden machten sie oft bei Banken der Eurozonen, die ihre Franken über Schulden bei den Schweizern haben. An diesen Banken bleibt das Problem hängen, sie müssen Verluste zugeben, dazu hört man, dass in Osteuropa Schulden nicht gezahlt werden wollen, das kommt in die Medien, die Börsen reagieren verschnupft, der Kurs der Banken fällt, Anleger ahnen Schlimmes für die Stabilität, steigen aus und suchen einen sicheren Hafen, kaufen Schweizer Franken, der steigt, mit ihm die Schulden in Osteuropa – und so ist des Reichen Flucht der Armen Untergang, und über diesen Umweg dann auch wieder schädlich für die Schweiz. Am Ende sind all die dicken Schiffe in einem verarmten Hafen.
Und das ist wohl auch der Grund, warum die Versuche der Schweizer Nationalbank, dem Geldzufluss Einhalt zu gebieten, so wenig weiterhelfen. Im Gegensatz zu den Alternativen Gold, Immobilien und Silber kann man einen Franken immer sofort umtauschen. Die Schweizer könnten effektive Grenzkontrollen einrichten und Ausländern die Kontoeröffmung verbieten, sie könnten am bislang freien Umbrailpass grimmig dreinblickende Beamte postieren – allein, wenn das Geld einen Willen hat, dann findet es auch seinen Weg in den sicheren Hafen. Negativzinsen, Schweizer Hotelpreise, Graubündner Blitzer, nichts ist so abschreckend wie die Vorstellung, dass Euro und Dollar eine Währungsreform benötigen könnten – noch dazu, wenn es Geld in Scheinen ist, die das Finanzamt nicht kennt, und die man nicht einfach so bei einer Reform umtauschen kann. Die Schweiz sagt von Chiasso bis Basel, sie tut was immer möglich ist, um einer Aufwertung des Frankens Einhalt zu gebieten. Der Rest von Europa sagt von Berlusconi bis Barroso, sie sie tun was immer möglich ist, um den Euro zu retten. Hätte man da lieber eine Million Franken oder eine Million Euro?
Das Elend der Schweiz ist, dass sie selbst ihre globalisierten Zugänge nicht verstopfen kann. So ein kleines Land, so eine riesige, krisengeschüttelte Welt auf der Suche nach einem heilenden Kräuterbonbon für die Reichen. Da gibt es keine andere Lösung als Durchhalten. Es sei denn – man verminte den sicheren Hafen. Und dafür hätte ich einen Vorschlag: Die Schweiz brennt selbst ein paar DVDs mit den frischen Schweizer Konten Vermögender aus besonders schlimm betroffenen Ländern: USA, die PIIGS-Staaten, England, Osteuropa, und weil es so schön ist: Österreich. Gerne prominente, aber nicht wirklich anerkannte Namen. Sie erfindet dazu eine Hackergruppe, mietet einen Server, spielt die Daten auf, stellt das online und informiert die Medien und Behörden der anderen Länder. Sofort danach verhaftet man die üblichen Verdächtigen, sagt, man hätte das Problem gefunden – die Täter hätten Mittel und Wege gehabt, per Trojaner auf neuere Konten von Krisenflüchtlingen zuzugreifen – und gelöst, und so etwas könnte nie wieder passieren. Gerne aber kooperiere man mit den Behörden der anderen Länder.
Durch so eine gezielte, öffentliche Sprengung von unerwünschten Neuanlegern könnte man dafür sorgen, dass deren Geld direkt zurück zu den notleidenden Staaten geht, die sich über Mehreinnahmen sicher freuen. Andere würden sich die Sache mit der Schweiz überlegen – ob sie nicht doch besser in Edelmetalle gehen? – während die Bestandskunden erleichtert feststellen werden, dass es ja nur Makler, Politiker, Popstars und Fitnesskettenbesitzer erwischt hat, aber keine anständigen Steueroptimierer. Der sichere Hafen der Schweiz wäre wieder ruhig und beschaulich und bliebe jenen vorbehalten, die ihm seit jeher die Treue halten. Man muss dafür nicht intervenieren oder Geld anderer Währungsräume kaufen, die selbst nicht an den Wert dieses Geldes glauben. Es ist kostengünstig, es wirkt dort, wo es wirken soll, und es gibt sicher einen Grund, den ganzen Vorgang unter das Bankengeheimnis fallen zu lassen. Und wenn alles vorbei ist, kann man wieder Werbung in besseren Magazinen schalten.
Denn sichere Häfen haben immer Konjunktur.