Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.
Karl Valentin
In jenen schönen Tagen Anfang der 90er Jahre, als München noch erträglich reich und im Hochsommer ohne zu viele arabische Gäste war, und Studieren 5 Jahre Party bis zum eigentlichen Studienbeginn bedeutete, und nicht Bätschelah in sechs Semestern, in jenen glücklichen Tagen also war vieles noch anders: Eltern kauften ihren Kindern keine 3-Zimmer-Wohnungen, man war mit einem oder anderthalb Zimmer in Bestlage mehr als zufrieden und dankbar. Zum Abitur gab es keinen Porsche. Es gab auch wenig Orte, wo man bis um 5 Uhr Morgens ersatzstudieren konnte. Weshalb wir damals nicht in den eigenen Räumen Drogenparties machten und dann auf dem Weg zu irgendeinem Seefest den Wagen in die Leitplanken setzten, sondern schön brav immer nach 4 Uhr früh im Nachtcafe anzutreffen waren, und Tee bestellten. Unsere Eltern konnten sich noch auf uns verlassen. Drogen gab es trotzdem. Zumindest erzählten die Juristen in unseren Kreisen davon: Irgendein Angehöriger einiger konservativer Studentenorganisationen vermittelte Zeug zur Leistungssteigerung und Prüfungsangstreduktion. Das wusste erst jeder und dann, als er erwischt wurde, wussten es auch alle. Er sah unvorteilhaft wie Pablo Escobar aus, hatte aber nicht dessen Mut und als irrelevanter Nachwuchskonservativer auch keinerlei Verbindungen zu einer Klinik am Starnberger See, die damals solche Probleme halbwegs lösen konnte. So endete er letzlich in irgendeiner FH in Nordbayern.
Solche Möchtegern-Geschichten waren es, die damals das nicht eben schmeichelhafte Bild der Jungfunktionärskaste der Konservativen prägten. Andere Geschehnisse waren sehr viel harmloser, aber immer hatte man den Eindruck, es mit Leuten zu tun zu haben, bei denen äusserliche Erscheinung und Auftritt ein wenig Verbesserung ertragen könnten, denn es waren nicht mehr die Zeiten, in denen man Helmut Kohl ungestraft als Vorbild nennen konnte. Sie bewegten sich stets etwas linkisch in den Angeboten der Moderne. Besonders, wenn es sich um Lebensbereiche handelte, die einem kein Gastvortrag eines abgehalfterten EU-Parlamentariers erklären kann. Dinge, auf die einen keine Sonntagspredigt vorbereitet. Sie hätten schon gern gewollt, etwas von der Süsse des Daseins mitzunehmen, die wir vor ihren Augen auftrugen und ohne jede Moralhemmung verspeisten. Aber diese Gesellschaft der Anderen, deren Eltern mehr Freiheiten gelassen hatten, war nicht egalitär und schon gar nicht offen, sondern so wie alle besseren Kreise: Diese Gesellschaft brauchte etwas, das die schlechteren Kreise darstellen konnte. Und wenn dann der parteinachwuchsorganisierte Institutskonservative dann mal etwas zu viel getrunken hatte und beklagte, wen er hier alles gern und bei wem das alles nicht… es war nicht ganz fair, aber dann hatte die Suche nach Diskriminierbaren ein Ende.
20 Jahre sind eine lange Zeit, in etwa so lang wie zwischen dem ersten Aufbegehren in unseren meist konservativen Heimatstädten durch unsere Camus lesenden Eltern, und den im Morgengrauen trauriger Berufsverkehrteilnehmer versickernden Nächten im Parkcafe. In 20 Jahren, sollte man meinen, sterben alte Extremisten weg und die Jungen haben genug Zeit, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen. Und vielleicht kommt man auch gesamtgesellschaftlich so weit, dass man, was Lebensfreuden angeht, nicht mehr wie in jenen Käffern tuschelt, aus denen diese Konservativen kommen. Dem ist leider nicht so. Und damit wären wir bei der angeblich öffentlich-konservativen Empörung, die nach diesen 20 Jahren immer noch ausreicht, jemanden wegen einer formal nicht zu beanstandenden Beziehung aus Amt und Würden zu kegeln.
Sicher, die Sache wurde von Herrn von Boetticher nicht gerade ideal präsentiert, und 23 Jahre Altersunterschied sind fast schon rot-grüne Auswüchse. Aber die Art und Weise der Hinrichtung, die Einfädelung wie die Umsetzung durch die eigene konservative Partei, die sind schon beachtenswert. Eine Straftat liegt nicht vor, der Herr hat das in seiner Freizeit und seiner Privatsphäre gemacht, und man sollte irgendwie meinen, dass die diversen Skandale und Skandälchen aus dem Privatleben konservativer Politiker ein wenig Massstab und Vergleich bieten könnten: Kann so eine Beziehung wirklich schlimmer sein als ein Ehebruch mit Kindesfolge? Ist so ein Verhältnis wirklich schlimmer als die früher als unverzeihlich geltende Scheidung und Bankrott einer Familie, die heute in Westvierteln und Bundespräsidentenvorgeschichten durchaus vorkommt? Offensichtlich schon, offensichtlich können Konservative damit leben, dass man die geheiligte und durch das Grundgesetz jawoll geschützte Ehe nach Lust und Laune zur Verhandlungsmasse der Biographie macht. Aber ein nicht ganz gewöhnliches Verhältnis ist undenkbar. Auch wenn das Grundgesetz ausser der Familie auch die Würde des Menschen und seine Freiheit in diesen Dingen schützt.
Kurz, als halbpensionierter Liberaler mit reichhaltigen Lebenserinnerungen und in Erwartung kommender Scheidungsgrundsuchen kann man sich gar nicht genug wundern, über den fragwürdigen Umgang der Anderen mit der Aufgabe ihrer Prinzipien. Eine Debatte darüber, warum der Konservative die eine Sache begehen darf, und die andere nicht, warum eine freie Entscheidung für einen Partner ein Grund für diese Norddeutschen Tugendgaufestspiele sind, und so viel anderes keine Schlagzeilen macht, bleibt natürlich aus. Wer weiss, vielleicht haben diese 20 Jahre nur dazu gereicht, den entsprechenden Persönlichkeiten die Ödnis konservativer Ehen vor Augen zu führen, die einen nach ministeriell und präsidental akzeptablen Alternativen suchen lässt. Aber vermutlich gibt es noch Defizite im Bereich der Akzeptanz vergleichsweise banaler Partnerdurchprobierung, die später einmal hilft, die Ehe als ruhigen Hafen wahrzunehmen: Das war in meiner Jugendzeit nicht denkbar, woher sollten sie es auch können oder als natürlich hinnehmen. Das war das verachtete Treiben der Anderen.
Wobei, auch hier scheint es auf die Art und Weise der Partnerausprobierung anzukommen. Der aktuelle Ministerpräsident dieses nördlichen Landes und von diesem Nichtskandal schockierte, schockierte Herr Carstensen beispielsweise sah es 2004 als feine Sache an, sich von der Bild-Zeitung im redaktionellen Teil eine neue Frau für die kommenden Aufgaben als Ministerpräsidentengattin suchen zu lassen. Der Massenaufruf nach brauchbarem Frauenmaterial im Stile längst vergangener Heiratsvermittler wurde damals zwar mitunter etwas schief angesehen, änderte aber nichts daran, dass diese Person dann auch Ministerpräsident wurde und trotz aller Affairen – Stichwort HSH Nordbank – geblieben ist. Man hat ihm das nachgesehen. Konsterniert bleibt hier nur festzuhalten: Öffentliche Frauensuche über ein Boulevardblatt geht. Private Frauensuche über Facebook dagegen gilt als anrüchig, und bringt Boulevardmedien zum Schnüffeln.
Wir fanden damals den aufgeflogenen Klein-Escobar teils amüsant, teils gruslig, und so geht es mir auch jetzt: Lehren diese Fälle doch nur, was in konservativen Kreisen heute die Grenze des Zumutbaren ist. Man kann Familien ruinieren und neue Familien gründen. Man kann sich eine Frau über ein Schaulaufen bei der Bild raussuchen und sich zum Preis der Mühen erklären lassen. Man sollte sich aber nicht einvernehmlich und privat mit einer nach öffentlich aufgeputschter Meinung zu jungen Frau einlassen. Das empört die Menschen. Das geht nicht. Da ist die Grenze. Und alle Konservativen, die vielleicht noch etwas werden wollen, wissen jetzt, wie das endet, wenn man sich in einer Weise vergnügt, für die es noch keine Präzedenzfälle gibt. Vielleicht doch besser Frauensuche über Pro7 oder RTL?
A propos Pablo Escobar und RTL. Dessen schlechter Ruf hatte neben seinen kriminellen Handlungen seine Ursachen auch in einem zutiefst unbürgerlichen Lebensstil: Verschwendung, Geliebte, Zurschaustellung. Als Höhepunkt der Exzesse galten in den frühen 90er Jahren noch perverse und demütigende Wettspiele von Schönheitsköniginnen in seiner Villa, die er für Geld- oder Sachpreise nackt auf Bäume klettern liess, oder zwang, Insekten zu essen. Gesamtgesellschaftlich sind wir also durchaus weiter gekommen, wir haben uns mit hohen Einschaltquoten den Herausforderungen und Vergnügungen der Narco-Moderne gestellt. Die Grenzen der moralischen Empörung sind unter Konservativen jetzt andere, und man darf gespannt sein, ob sich kommende Generationen wieder unterscheiden in jene, die keine Zwänge empfinden, und andere, die sehr, seht vorsichtig sein müssen, um nicht brutalstmöglich diszipliniert zu werden. Gnade kennt das System nur beim Abschreiben von Dissertationen und Exklusivzugang zum neuen Familienglück. Wer lieber mit den Zeiten und zu hübschen Gesichtern bei Facebook geht, sollte sich vielleicht generell nach einer anderen Lebenseinstellung umschauen.
Und schont das Genick vor Axthieben und ist sogar möglich, wenn die Alm vor der Terrasse und nicht im TV-Gerät zu finden ist.