Never change a running system
Es gab eine Zeit, da war es ein Vergnügen, Staatspartei zu sein. So wie es war, war es richtig, so wie die anderen waren, war es falsch, und alle vier Jahre sagte das Volk, dass dem auch so ist und man bittschön weiter machen sollte Skandale gab es oft und Vertuschungen nöch öfters, aber das gehörte irgendwie zum Lokalkolorit dazu, und in anderen Regionen ging es da auch nicht anders zu. Insgesamt profitierten alle davon, ausser denen, die vielleicht eine Autobahn, einen Flughafen oder eine Plutoniumanlage für den wirtschaftlichen Fortschritt vor die Nase gesetzt bekamen. Ab und zu demonstrierten welche, aber das ist halt die Demokratie, und damit kann man schon leben, wenn nur alle vier Jahre das richtige Ergebnis auf dem Wahlzettel steht.
Weshalb früher Parteiveranstaltungen auch weniger Wahlwerbung waren, sondern Selbstvergewisserungen. Man hörte sich ein paar Sorgen an, schüttelte Hände und machte Versprechungen in der Art, dass man in der Champions League sei, dass alles so bleibe, wie es ist, dass man in Bayern bundesweit Spitze sei und wem es nicht passe, der könne ja nach Drüben oder ins Berliner Neudrüben gehen, da sehe man ja, wie es bei den anderen eben nicht gut gehe: Kriminalität, Jugendgewalt, schlechte schulische Leistungem, zerrüttete Familien, Niedergang – wolle man das? Natürlich nicht. Das waren die guten, alten Zeiten, als die Wahlen einer gemähten Wiese glichen. Heute gleicht der Wahlkampf eher den Wegelagerern, denn durch diese Hohle Gasse, durch die der normale Kleinedummestadtanderdonaubewohner zum Wochenmarkt eilt, da muss er kommen, der Wähler. Und dort lauern sie.
Aber wie halt. Das rosa Landhausstildirndl soll vermutlich die Heimatverbundenheit der Europapolitikerin ausdrücken, die hier um Stimmen wirbt. Es ist halt so a Sach, sagt man in Bayern, dass solche Maschgara eigentlich in den Städten nur zu den Volksfesten auftreten; normale Bayern in Städten ziehen sich normal an, und warum eine ehemals erfolgreiche Anwältin meint, sich hier so darstellen zu müssen, weiss sie selber. Und vielleicht noch ihre Berater in PR-Fragen. Aber ansonsten ist das in der scheusslichsten Ecke der Stadt zwischen Betonrathaus und Betonsparkasse so passend wie im Abklingbecken vom AKW Ohu2. Es ist ein Code, ein Branding, eine Markenbotschaft, ein Schaut her, es bleibt, wie es ist, und vielleicht sogar so, wie es nie war. Es soll rosa sein und fesch und anständig und der Basis nahe, die sich spärlich auf Bierbänken vor Biertischen eingefunden hat. Dazwischen eilt der Wochenmarktgeher weiter, denn wer zu spät kommt, den bestraft das Leben mit leeren Steinpilzkörben.
Dabei haben sie sich ja einiges einfallen lassen, um die Wege zu behindern. Eine Stelzengeherin. Zwengs der Awareness. Eine Wurstbraterei. Zwengs dem Essen. Und dekorativ aufgestellte Bierfässer. Zwengs dem Brand. Weissblaue Papierfahnen und Verhüllungen. Zwengs der Identität. Es ist alles so, wie es ist, lautet die Markenbotschaft. Gut, Griechenland ist Pleite und Italien wackelt und die Stadt lebt vom Export, aber es ist alles, wie es schon immer war, auf diesem zugigen, schattigen Platz zwischen Betonwänden, der sonst immer leer ist, ein Nichtort aus den Alpträumen der Stadtplaner und den Wünschen der Stadtsparkassendirektoren nach Repräsentation, wie sie es aus Frankfurt kennen.
Es wäre natürlich nicht so gut, wenn die aufstrebende Abgeordnete und Inhaberin vieler Ämter in dieser Region mit einer Viertel Million Einwohner vor vier Wurstbratern, ein paar Hüpfburgaufblasern, den üblichen Parteifreunden und jenen sprechen müsste, die sich schnell vorbeidrücken. Gar nicht gut wäre das und schon gar nicht so, wie es einmal war, und ausserdem ist das hier die Heimat des Ministerpräsidenten, da sollte schon etwas gehen. Also hat man sich eine bayerische Blaskapelle geholt. Die bayerische Blaskapelle erscheint dann auch mit weissem Hemd und blauer Weste mit Aufdruck, was für sich gesehen ein schönes Bild für den Stellenwert politischer Inhalte in diesem Land ist. Zumindest bei jenen, die den Nimbus der Staatspartei gerade verlieren. Weil so eine Blaskapelle auch nicht dauernd blasen kann – bayerischer Defiliermarsch, Egerländer Marsch, Unter Bayerns Rautenbanner, Tölzer Schützenmarsch – und weil es heiß ist und der Bläser auch einmal einen Brand hat, hat eine Dirndlträgerin einen Ghettoblaster auf das modernistische Rednerpult gestellt, hinter dem später die Abgeordnete im rosa Landhausdirndl verkünden wird, wie die Partei mit den europäischen Herausforderungen umzugehen gedenkt. Derweilen beschallt der Ghettoblaster die Betonschlucht mit weiteren Märschen. Damit alles so bleibt, wie es ist, und auch die Leute bleiben. Ein Prosit der Gemütlichkeit.
Aber wenn schon die Eltern nicht mehr so ausschauen wie es einmal gewesen sein soll und die Musiker auch nicht und das rosa Dirndl auch nicht, dann sollen wenigstens die Kinder so ausschauen. Mit Kindern wirkt so eine Heimatverbundenheit dann auch irgendwie netter, als mit Kurzhaarschnitt und zu diesem Anlass übergestreifter Landhausmode. Keiner wird über Kinder etwas Böses sagen. Sie sind ja so lieb, die Kinder, und so hübsch anzuschauen, und Garanten dafür, dass alles schon so bleiben wird, wie es ist, egal ob die Währung in Europa scheitert oder die Massen einfach nicht in der Betonhölle bleiben wollen, sondern lieber auf dem Wochenmarkt ratschen. Die Kinder. Die Zukunft des Landes. Die Familie. Das ist wichtig. Darauf kann man das Konservative so eindampfen, dass es jeder versteht. Vater, Mutter, Kind im Dirndl und trägt die Tradition in die Zukunft weiter. Wenn es gerade Tracht trägt. Was aber auch die Kinder der Konservativen nicht immer tun. Und ausserdem gibt es da zwei, mindestens zwei Arten der Kinderbetrachtung. Mei san die liab. Und. Papa und Mama möchten jetzt auch mal etwas Ruhe haben. Man kann hier natürlich keine Konsolen mit Ego-Shooter aufstellen.
Aber andere Arten der Bespassung. Etwas abseits an der Sparkassensteilwand der Betonschlucht. Hüpfburg und Kicker. Da können sie sich austoben und stören nicht weiter, da am Rand. Später wird es auch noch eine Verlosung geben, und mehr Würste und mehr Bier aus einem Holzfass, und eine Rede und was man schon immer so gemacht hat, damit alles so bleibt, wie es ist. Es ist bayerisch und in weissblauen Rauten und in Tracht und die Musik spielt mal aus den Trompeten und mal aus dem in China gefertigten Ghettoblaster. Es ist fraglos konservativ, wie konservativ eben so als politische Richtung ist, und es ist bayerische Heimat, wie sie eben so ist, wenn die nächste Alm und das nächste Atomkraftwerk gerade nicht sind. Es gab Zeiten, da hat es mehr Spass gemacht, Staatspartei zu sein, da mussten die Leute kommen und ihre Sorgen vortragen, damit man sich darum kümmert, da war man Fleisch vom Fleische und die bestimmende Kraft.
Heute Familienfest mit der Kandidatin. Blasmusik, Ghettoblaster, Betonwände, rosa Dirndl, Hüpfburg, billige Würste und Bier aus dem Fass. Fehlt nur noch der Stimmungssänger aus Mallorca, dann würden vielleicht ein paar mehr Leute stehen bleiben und das Gefühl vermitteln, man sei ganz bei den Leuten. Am Wochenmarkt reden sie über die Gentechnik und das Glühbirnenverbot. Die Unzufriedenheit wenigstens ist so geblieben, wie sie war.