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Der mittlere Vorspeisenteller im Bue d’Oro heisst auf Italienisch normale und auf English human. Ich nehme den grossen Teller. Der heisst zwar nicht superhuman, aber er ist anspruchsvoll. Vallegio sul Mincio ist allgemein berühmt für seine Tortelli di Zucca, aber das Bue d’Oro ist darüber hinaus – und zu Recht – bekannt für seine Vorspeisentische. Man kann sich da leicht verschätzen, wenn man bei den eingelegten Pilzen zugreift, danach die Runde über das Gemüse macht und erst zum Schluss noch die Eier auf Radicciosalat und die kleinen, undefinierbaren Teigtaschen entdeckt. Jetzt ist es zu spät, man kann den Teller nicht wieder teilweise abräumen, also türmt man und… ich bin nicht superhuman, das ahbe ich begriffen. Ich bin nur nicht sehr dünn und kenne meine Grenzen. Wenn ich sie übertreten habe und der Schmez kommt. Normalerweise schlafe ich nach dem Essen wie ein Stein, aber diesmal lastet ein Gebirge auf meiner Leibesmitte. Es ist superhuman, so kann man nicht schlafen, und ich dämmere zwischen Reue und Gedanken an die morgige Trüffelorgie in San Matteo, zwischen Wachen und Schlafen vor mich hin. Es tut so weh.
Ich schlafe wieder weg. Und wache wieder auf. Ich bin nicht mehr allein, zu mir hat sich ein bekannter deutscher Bankchef gesellt, der vor Kurzem in den Aufsichtsrat wechselte. Schlecht schaut er aus, der Bankchef. Es ist, fällt mir ein, gerade kein besonderer Spass, Bankchef zu sein, die Börsen orientieren sich wieder an der Realität und die ist, bestenfalls, so flau wie mein Bauchgefühl und so erfreulich wie die Schüssel mit den überbackenen Artischocken für den, der das Pech hat, mir dort nachzufolgen. Der ganzen Welt geht es wie mir: Wir hättem gerne überbackene Artischocken, aber wir bekommen nur bedrückte Bankchefs. Der hier nun beschwert sich, dass keiner mehr Achtung vor ihm hat, sogar daheim lachen sie ihn aus, weil er zum fünften Mal sein Vermögen umschichten und alte Prognosen über den Haufen werfen muss, und die Katze frisst auch lieber beim Nachbarn und tut in der Öffentlichkeit so, als würde sie ihn nicht kennen. Überhaupt gehe alles vor die Hunde und sei für die Katz. Nun aber sei er nach Italien gekommen und möchte einmal etwas tun, um nicht zu raffen, sondern zu retten. Idealerweise, ohne Berlusconi zu füttern. Der wäre der letzte seiner Kunden, die bei ihm noch aus dem Hundenapf fressen würde.
Dienstferrari für alle von Reinigungspersonal bis runter zum Investmentbanker, murmle ich, aber das, meint er, würde nicht gehen, da spiele das Controlling nicht mit. Dann halt Visitenkarten für alle bei der Tipografia Besia in der Via Franchetti 12 in Mantua, raunze ich. Also: Richtige Visitenkarten. Nicht diese Dinger auf billigem Papier aus der Technikabteilung, die dort der Laserdrucker ausspuckt, mit Berufen, die sich ohnehin keiner merken kann, kein Chief Senior Officer for apllied Nasenbohring and Mobbing Technologies Ph. d. MBA of West Kasachstan, sondern halt einfach ein schönes Papier und den Namen drauf.
Das ist nämlich für Italien schon ein kleines Konjunkturprogramm, so wie es für deutsche Banken ein Verschönerungs- und Entdummsprechprogramm ist. Die Sache beginnt damit, dass man dort nicht, wie heute üblich, sich die Visitenkarte im Netz zusammenklicken kann. Man muss dorthin fahren – zuerst nach Mantua. Und dann zu Fuss oder mit dem Rad weiter zu Besia. Kein Mensch fährt dort Auto. Eine Website haben sie nicht. Was sie aber haben, ist ein Gewölbe mit Bögen und Marmorsäule, und Hefte, in denen man sieht, was möglich ist: Welches Papier, welche Beschneidung, welches Format und welche Lettern in welcher Grösse. Da steht man schon mal eine halbe angeschlagene Stunde im Laden und denkt nach – man tut etwas, das einem sonst in Läden wie Banken, Parlamenten und Medien gerne abgenommen wird. Man trifft echte Entscheidungen, und wenn es schief geht, muss man die Folgen selber tragen. Das ist mal etwas ganz anderes als der Wertpapierhandel und das Erpressungsgewerbe für unbeteiligte Dritte, wenn es schief geht. Und wer weiss – vielleicht erinnert so eine individuelle Visitenkarte den Besitzer ja auch daran, dass er ein Individuum ist, und nicht nur ein weichgekochtes Gummibärchen.
Was kostet das? Will der Bankchef wissen. 42 Euro für 200 Karten, darunter lohnt es sich nicht, sage ich. Aber das ist ja mindestens 10 mal so teuer als unsere eigenen Karten, vergisst der Bankchef kurz seine eigentliche Reisebegründung. Und immer noch doppelt so viel wie bei der Internetdruckerei, der sie die tolle Idee mit den Standortwechseln und dem Abkassieren der Förderung im Osten und der Steueroptimierung bei ihrer irische Tochter… Sicher, es ist etwas teurer, aber es sind ja auch echte Lettern in Leisten, die mit echter Druckerschwärze das Papier bedrucken. Das mag antiquiert erscheinen in einer Epoche, in der schwarze Zahlen mit Fiat-Money im Computer entsteht, aber es geht und es sieht besser aus. Ausserdem, 42 Euro, vorgängersprichwörtliche Peanuts, erpresse ich ihn dezent, denn ich könnte ja schreiben, wer hier in meiner Wohnung in Mantua leise wimmert.
42 mal alle Mitarbeiter ist Moment soundsoviele Millionen, denkt der Bankchef nach. Sagen Sie mal, Sie wissen schon, dass Italien 1900 Milliarden Staatsschulden hat? Wie sollen die paar Millionen denn daran was ändern? So sind sie, die Bankchefs. Wer einen Beamer hat, betrachtet alle Probleme nur noch als Powerpoint. Sie schauen immer nur auf kurzfristige Ergebnisse und nie auf die langfristigen Auswirkungen. Mein Herr, sage ich, wenn mich die Artischocken nicht so niederdrücken würden, könnte ich aufstehen und Ihnen die Bestellung zeigen. Denn man lässt die dort nicht einfach drucken, und holt sie nach einem Spritz in der Bar Venezia ab. Man wird gefragt, wann man sie abholen möchte. In drei Wochen, in vier, in zwei Monaten, also, wenn es ganz schnell gehen soll: Zwei Wochen. Dimmi quando tu verrai, dimmi quando, quando, quando…l’anno, il giorno e l’ora in cuiforse tu mi bacerai… singe ich in das entsetzte Gesicht des Bankchefs, der es gewohnt ist, dass seine Sklaven in Firma und Politik sofort liefern. Aua. Auch das Schunkeln tut mit diesem Bauch weh. Die Panna Cotta war seine Nemesis, wird auf dem Grabstein stehen.
Gucken Sie nicht so entsetzt. Besia ist steinalt, die ganze Einrichtung ist am dritten Tag der Schöpfung entstanden, sie hat Lehman überlebt und wird uns alle überleben. Und dort geht es einfach nicht so schnell. Es muss ja alles richtig gesetzt werden, damit es wirklich schön aussieht. Schönheit ist dort ein Kriterium, nicht billig und schnellschnell. Dann müssen meine Leute nach drei Wochen nochmal hinfahren, zeigt sich der Bankchef schockiert und rechnet nach, was das an Arbeitsausfall kosten wird. Nein, nein, beruhige ich ihn. Gar nicht. Er sieht schon wieder etwas entspannt aus. Das ist nicht nötig. Der Bankchef lächelt beglückt, da versetze ich ihm den Tiefschlag: Machen Sie ihren Laden einfach drei Wochen dicht und ihre Leute hier unten. In den kommenden drei Wochen versäumen Sie sowieso nichts an der Börse ausser Armageddon und das Loch so schwarz wie Druckerschwärze.
In den drei Wochen haben Sie jede Chance, Geld in die italienische Wirtschaft zu pumpen. Kaufen Sie ihren Leuten ein Rad bei Umberto Dei, Ernesto Colnago, den Grandis-Brüdern, Giovanni Pelizzoli oder Ugo de Rosa. Investieren Sie in Gold, Gold Brothers Schuhe, gerne auch zweifarbig, die sind ganz leise und eignen sich nicht für den Drill Ihrer Kaserne. Gehen Sie damit ins Fenice bei Desenzano und schauen Sie auf den See. Wenn Sie in Verona sind, lassen Sie sich Stiefel fertigen, mit denen man den Winter draussen vor den Banktüren überlebt. Lassen Sie ihre Sekretärinnen auf die Läden los, plüschäugle ich ihn an, die wissen schon, wie sie die drei Wochen zugunsten des italienischen Mittelstandes verbringen.
Gehen Sie jeden Tag zweimal Essen. Und zwar richtig und nicht nur Fingerfood und Kantinenzeug. Orientieren Sie sich an Slow Food. Schauen Sie sich Sonnenuntergänge an und suchen Sie am Strand nach angespülten Knochen, dann wissen Sie, was Sparen und Investieren bringt. Lassen Sie es drei Wochen so richtig krachen, und wenn die Rechnung kommt, gehen sie zum kleinen Schreibwarenladen gleich neben Sant’Andrea und kaufen für das Unterschreiben den teuersten Viscontifüller, den sie kriegen können. Danach sind Sie ein stattlicher, rundum beliebter Mann und können ganz andere Schlafzimmer von innen sehen, als meines. Und Italien ist auch gerettet. Kaufen Sie dann noch etwas Sendezeit und sagen Sie den Italienern, dass die den Kurzen zum Teufel jagen sollen, und dann sind alle froh. Sie, Ihre Leute, die Italiener und Ihre Katze kommt auch wieder, wenn sie ihn ihren neuen Kaschmiranzug aus Biella Haaren kann.
Sprach ich aus Erfahrung, stand gegen die Schwerkraft auf und ging in die Küche, um einen Tee zu kochen. Als ich wieder kam, war der Bankchef schon weg. So sind sie halt, immer unterwegs. Ich ging zu Bett, träumte, ich wäre mit einer Trüffelzüchterin verheiratet, und holte heute morgen meine Visitenkarten ab.
Schön sind sie geworden. Leider haben sie den Rechtschreibfehler bemerkt und behoben. Eine Visitenkarte mit Rechtschreibfehler hätte gnz one Titl alles über mich gesagt.