liebt er Weiber jeder Art und Sorte
Lorenzo da Ponte, Don Giovanni, Registerarie
Könnten Sie kurz auf meine Tasche aufpassen, flötete die M., und weil ich bei den Wünschen der M. immer hart wie lauwarmer Gemüsebrei bleibe und ohnehin gerade einen Beitrag schreiben wollte, blieb ich einfach sitzen. Ich hatte einen Stuhl, eine Rückwand, nebenan einen Rechner mit Netzzugang, und wer auf der Buchmesse nicht lernt, wie das Ignorieren von Autoren, Journalisten, PRlern und anderen Leuten denen man nicht vorgestellt wird geht, der lernt es nicht mehr. Ich bin mit dieser Fähigkeit gewissermassen geboren, ich habe in Bayern unter CSU-Wählern überlebt, ich überlebe auch diese Buchmesse. Wenn es zu viel wird, schliesse ich einfach kurz die Augen und denke an den See, wenn die Münchner weg sind. Oder an einen einsamen Gipfel hoch über dem Passeier. Oder an einen Pass und viele freie Kurven. Dann kam die Autorin.
Eine halbe Stunde ist lang, und bei den Erinnerungen kam ich diesmal in etwa vom Ennstal in Österreich bis zum Ofenpass in der Schweiz. Das ist eine weite Strecke, aber am Stand war ja auch nicht irgendein Literat, sondern diese Roschfrau da aus dem TV, die ihre Körperprobleme vermarktet. Daran ist zuerst mal nichts auszusetzen, denn ich vermarkte ja auch meine Motorschäden oder schmerzliche Niederlagen bei Kunstauktionen in diesem Blog. Allerdings mache ich das zusammen mit einem guten Körpergefühl, auch wenn man sich hier auf dieser Messe nicht vorstellen kann, wie das gehen soll, das mit dem guten Körpergefühl: Zu viele gaffende Menschen und nur schlechtes Essen. Gerade kehrte mein Geist von den Höhen des Umbrailpasses zurück in meinen Körper und hatte sich noch nicht auf den Weg hinunter zur Konditorei in Glurns gemacht, wo es Marillenkuchen gibt, da führte diese Roschfrau ihr kommendes Interesse an Cellulite, vulgo Orangenhaut aus. Und dass sich viele Frauen damit so furchtbar abtun und dagegen sinnlos kämpfen. Es klang, als spräche sie über Krebs oder Alzheimer. Wir werden alle sterben.
Mein Geist hob sich wieder von dannen und umflatterte die Kuchenauslage beim Riedl, und er hatte nicht das geringste Problem damit, dass die Marillen auf dem Kuchen durch die Hitze des Backofens hier und dort eingefallen oder gar etwas schrumpelig waren. Und hätte mein Geist vorher nicht auch diese Roschfrau gehört, hätte er sich vor etwas Anderem verschliessen müssen – eine Kirchenfrau vielleicht oder ein Fernsehmann – dann hätte er sich auch keine weiteren Gedanken gemacht. Wie immer vei diesem Nichtthema.
Denn an dieses Thema denken Männer nicht. Im Prinzip kann sich diese Roschfrau das nächste Buch einfach sparen, wenn sie aufhört, mit anderen Artgenossinnen Frauen einzureden, dass sie das als Problem sehen dürfen. Dass eine Orangenhautobsession als schick zu erachten oder das Leiden daran bestsellertauglich ist. Denn die übliche Zielgruppe von Frauen – zumeist Männer – ist da vollkommen unempfindlich im Nehmen. Seit über 4 Jahrzehnten nun bewege ich mich in meinen Kreisen – ich kann mich an kein einziges Gespräch unter Männern erinnern, das sich um die Frage irgendwelcher Dellen in Bereichen drehte, über die man erstens nicht spricht und zweitens, wenn es dann doch zwischen Mann und Frau zum Thema werden könnte, aus naheliegenden Gründen beiseite lässt. Man hat in solchen Momenten, hörte ich, anderes zu tun als Kneiftests, Langzeitbeobachtungen und vergleichende Ausleuchtung dieser Winkel, um dann zu grübeln, welche Frau nun… kurz, das Problem, das Frauen haben, ist keines bei der Zielgruppe, selbst wenn dieselbe Wüstlinge und andere Unverheiratete umschliessen sollte.
Für etwaige Komplexe gibt es also keinen echten Anlass. Sicher, mit steigender Erfahrung weiss man um diese Veränderung, wenn man irgendwie darauf gestossen wird, etwa, wenn man während der falschen Autorin auf eine Tasche aufpassen muss. Man sieht auch an den Reaktionen des Publikums. Manche bilden sich schnappatmend wirklich ein, dass es ein Problem sein könnte, und weil es Kultur ist, ist man nicht so unhöflich aufzustehen und zu sagen: Guten Tag, Don Alphonso mein Name, und bitte, meine Damen, ich darf Ihnen erfreut mitteilen: Uns ist das egal, wir nehmen alles und wenn nicht, dann gibt es genug andere Gründe, es bleiben zu lassen. Denn den Anblick von Orangenhaut erträgt man ohne Probleme. Was man dagegen nicht erträgt – ist die ständige Beschäftigung mit solchen Themen. Das eine ist das unvermeidliche Alter. Das andere ist diese Roschfrau, das sind Frauenzeitschriften, Schönheitsindustrie und andere Krankheiten – und die alle sind vermeidbar. Und nerven.
Aus naheliegenden Gründen bin gerade ich absolut kein Freund der Einstellung, dass man über gewisse Dinge nicht reden sollte. Gerade die besseren Kreise sind eigentlich voll von Aspekten, deren öffentliche Anmutung als verlogen bezeichnet werden muss. Man könnte sich tagelang über Familien, Liebesschwüre, die Mülltrennung und die wahren Vermögensverhältnisse aufregen. Aber gerade in der Frage der echten oder eingebildeten Schattenseiten der Körperlichkeit wäre es wirklich fein, wenn man wieder ein wenig zu der Diskretion des Desinteresses zurückfände, die in der Sache früher herrschte. Das muss überhaupt nicht spiessig sein – gerade hatte ich wieder einen Mirabeau in der Hand, bei dem alles geboten ist, was man sich so ausmalen mag, und weil Mirabeau selbst nicht gerade ein hübscher Kerl war, war er besessen von der Vorstellung aller Arten von Frauen. An keiner Stelle hat da jemand ein Problem mit Cellulite. De Sade war sicher kein Mensch, der zu feig war, etwas auszusprechen: Keine Orangenhaut, nirgends. Lozana die Andalusierin, Josefine Mutzenbacher, die Kurtisanengespräche von Aretino, das Decamerone, die Registerarie von Leporello: Alles frivol bis anstössig, aber Cellulite war einfach kein Thema.
Ein Thema ist es erst seit… keine Ahnung. Ich weiss es nicht. Ich weiss nur: Leben ohne Verzweiflung an Cellulite war früher möglich. Ich würde es enorm begrüssen, in diesem Bereich nicht der Zeuge der Entdeckung weiterer Neurosenmöglichkeiten zu werden, und wenn diese Roschfrau deshalb ein Buch weniger schreibt, ist es auch kein Verlust für Deutschland. Unattraktiv in meinen Kreisen wird man nicht durch das Alter. Unerfreulich ist es allein, wenn die Frau, Tochter oder Freundin überschnappt und aus so einer Marotte heraus etwas macht, das allgemein als dumm erachtet wird, und die Runde macht – dann werden Fragen nach Erziehung und Umfeld gestellt. Jede Klage über Cellulite kann indirekt auch auf den Partner zurückfallen – vielleicht hat er ihr das eingeredet? Setzt er sie so unter Druck? Darüber redet man auch nicht, aber man macht sich so seine Gedanken… Man hört ja so viel… gerade erst auf der Buchmesse hat diese Roschfrau doch…
Wir haben seit meiner Jugend die Magersuchtswelle gehabt, und die Bulimiemode, und die Selbstverstümmlerphase, gerade entdeckt man ADS als Krankheit du Jour. Mit Cellulite wird es fraglos gelingen, derartige Lebenskrisenzustände von der Pubertät bis in ein beliebiges Alter fortzuführen, und, jetzt muss ich wie meine Oma fragen, was hat es uns gebracht?
Nichts hat es uns gebracht. Man kann es nicht ändern. Es ist nicht schlimm. Schlimm sind nur die Folgen, wenn daran dann eine Ehe zerbricht. Und deren Reste den zweiten Heiratsmarkt qualitativ verschlechtern. So kommt das Thema, dem ich auf der Buchmesse im Geiste noch entkommen konnte, wieder in meinem Umfeld an. Und das, obwohl der Anlass mir so wurscht ist wie allen Generationen meiner Familie vor mir. Also bitte: Keine Modeneurosen. Aber vielleicht noch ein Stück Marillenkuchen?