No country for old men
Es war schon einmal erheblich leichter, Transatlantiker zu sein. Das war in etwa in jener Epoche, als Schüler davon träumten, nach dem Abitur wochenlang die Westküste zu bereisen, oder an der Ostküste zu studieren, zumindest ein, zwei Semester. Die Eltern sagten, dass alles, was in Amerika passiere, auch in zwei Jahren zu uns käme, und vor diesem Hintergrund war das Hobby des Transatlantikers eine feine Angelegenheit. Zumal diese Tätigkeit damals noch von älteren Herren betrieben wurden, die selbst noch aus Nazi-Deutschland geflohen waren, es als GIs erobert hatten oder der Meinung waren, für eine bestimmte Art des liberalen Westens etwas tun zu müssen. Vielleicht war es auch nur einfacher, jungen Deutschen etwas über die Werte von Freiheit und Demokratie zu erzählen, als den Mormonen, den Farmern im Mittelwesten oder den Chicago Boys.
Ich selbst habe einige Jahre für Publikationen in den USA geschrieben, auf Deutsch und auf Englisch, es wurde sogar klaglos gedruckt, und ich habe dabei viele feine Männer und Frauen kennengelernt. Es waren lustige Zeiten, besonders so um das Jahr 2000 herum, als Europa mit ein paar unerfreulichen Eigenständigkeiten auf sich aufmerksam machte: Haider in Wien, die Zwangsarbeiterpeinlichkeiten in Deutschland, da gab es viel zu tun und zu besprechen, Interviews waren zu führen und, mitunter auch, doch, der ein oder andere Fallstrick zu legen, auf dass nicht jeder Depp trampelnd die Wege über den Atlantik ruinieren konnte. Und wie es so ist: Man lernt sich kennen, man sagt, wenn Du nochmal kommen solltest, lass etwas von Dir hören, ich freu mich narrisch. Ich selbst, nun, ich bin nicht gekommen, ich reise nicht in die USA, ich mag keine Länder mit Todesstrafe. Andere kommen aber nach Europa, und sie freuen sich, durch die verwinkelten Gassen von Innsbruck geleitet zu werden, von jemandem, der ihnen das Schloss zeigt, sie an der dortigen Konditorei mit dem bekannten Namen vorbeiführt und zu jenem „Damencafe” von 1803 bringt, das so ist, wie österreichische Cafes gewesen sind.
Die Idee damals war, grob gesagt: Das Alte Europa, das wie dieses Cafe aussehen sollte, mit den Idealen der Neuen Welt – die im Kern die Ideale des richtigen Alten Europa waren – dauerhaft krisensicher zu machen, ohne dass es gleich bei McDonalds bestellt. Aber dann kamen nicht nur die Blochers und Haiders, sondern auch die Rumsfelds und die Bushs und der War on Terror und An End to Evil, entweder seid ihr mit uns oder gegen uns, die Kriege, der Hindukusch und Abu Ghuraib und Waterboarding und Guantanamo, und bei all dem blieben ältere, feine Herren auf der Strecke, die erzählten, wie sie mit einem kleinen Koffer für immer ihre Eltern verlassen mussten, in Europa kämpften, in Amerika Firmen und Kanzleien aufbauten, sie verkauften und dann nicht segeln gingen, sondern transatlantisch Schulen besuchten. Damit so etwas nicht nochmal passiert. Und dann kam die Finanzkrise, die ganz neue transatlantische Wege aufzeigte, Geldströme, denen die Systeminfektionen folgten. Hypo Real Estate, Commerzbank, Rezession, Kurzarbeit: Alles transatlantisch.
Und nun, im zweiten Akt der Krise, die mit einigen Zwischenspielen sicher noch etwas dauern wird, kommt transatlantisch die Rache für all die guten Ratschläge aus Europa an die Adresse der Amerikaner. Sicher, die Hauspreise in den USA sind immer noch am Boden und das gute Rating ist weg, die Hypothekenversicherer brauchen Milliarden vom Staat, um sie den Banken zu geben, es gibt die Tea Party und eine Faststaatspleite und lediglich finanzpolitisches Flickwerk. Trotzdem sehen sich Präsidenten, Berater und Ökonomen berufen, über den Atlantik hinweg zu sagen, was man in Europa tun soll: Geld drucken. Staatsanleihen kaufen. Goldschätze und Währungsreserven riskieren. Grundsätze über Bord werfen. Sonst starre man demnächst gesamteuropäisch in den Abgrund. Den man in den USA schon zur Genüge kennt, aber das sagt man nicht dazu. Genausowenig wie das Problem der Ansteckung, denn was uns die IKB bei den Subprimes war, ist den Amerikanern die Kreditausfallversicherung, wenn Italien wackelt. Absurditäten wie Geldwertstabilität, das A und O jeder besseren Wählerschichtenpflege, will man dabei natürlich nicht gelten lassen. Finanzmarktgurus aus den USA wissen, wie man in Deutschland Schlagzeilen macht.
Und wir bestellen Torte und reden über die alten Zeiten, in denen es noch um Values und nicht um Worth ging, damals in Wien und in Bonn beim Aussenamt am Rheinufer. Als man dachte, die Zeiten des gegenseitigen Reinwürgens wären irgendwann wieder vorbei, und man würde sich bald wieder verstehen. Vor diesem Hintergrund ist das neue Diktat der Ökonomie eine sehr unerfreuliche, sehr peinliche Sache. Auf beiden Seiten des Atlantiks steht die demokratische Zivilisation nicht wirklich gut da, die haben FOX und wir gerade eine ganze Serie von Vorfällen, in denen nicht die Demokratie entscheidet, was man tun soll: Irland, Italien, Griechenland, Spanien, man kann dort vielleicht wählen, aber was bedeutet das noch? Und ich erzähle ihm die Geschichte von der Elitesse mit Abschkuss eines der besten Colleges der USA, die danach von einer Aufhilfsarbeit zur nächsten sprang. Trying to start a career, wie das dort heisst. Während der Behandlung einer chronischen Erkrankung war sie gezwungen, die Krankenkasse zu wechseln. Die neue Kasse zahlte nicht mehr, und sie musste die 1400 Dollar pro Monat selbst zusammenkratzen. Bei einem Anfängergehalt in den Medien. Auch der Gesundheitssektor ist so eine Sache, wegen der ich nicht nach Amerika will.
Aber genau hier, meint der amerikanische Gast listig, könntet Ihr doch Eure Probleme lösen. Bei uns ist man der Meinung, dass das Kernproblem der Eurokrise ein Zuviel der staatlich verpflichtenden Leistungen ist. Ihr Europäer seid einfach zu teuer. Weniger Sozialstaat, weniger Kosten, weniger Schulden. Pause. Wie unter Brüning, einfach mit Notverordnung. Wir lachen. Es ist Österreich, da kann man bittere Witze machen. Andernorts liest man schon, dass die Märkte mit Vertrauensverlust jene auf Linie bringen werden, die nicht bereit sind, ihren Anforderungen nach sicheren Profiten zu entsprechen. Auch das ist übrigens so eine Sache, die schon unter Brüning zu beobachten war, mit nicht gerade idealen Ergebnissen für den Fortgang der Geschichte. Überhaupt ist es eine gute Zeit, sich mal mit diesem Reichskanzler zu beschäftigen. Er wird gerade wieder modern, diesseits und jenseits des Altlantiks, selbst wenn die meisten Ökonomen mit diesem Namen vermutlich wenig anzufangen wissen.
Doch bei allem Trennenden und all dem bissigen Streit um Geld und Schulden und Schuld ist da immer noch der gar nicht so unwichtige Umstand, dass die Alternativen zum finanziell unsicheren Westen in Sachen Lebenseinstellung nicht gerade attraktiv sind. Ich weiss nicht, ob man so mit den Chinesen reden könnte, die die Strasse runter das Goldene Dachl ablichten, oder mit den Russen, die in Verona, der nächsten Station des Gastes, die Geschäfte ausräumen. Der Westen, der sich um den Atlantik gruppiert, ist von seinen Theorien zu Staat und Gesellschaft immer noch eine recht kleine, feine Angelegenheit, und der Umstand, dass dies nur noch mit Gläubigern mit wenig demokratischen Staatsfonds gehen soll, ist zuerst mal eine moralische Katastrophe. Dann politisch. Und danach erst wirtschaftlich.
Allein, für einen Kuchen reicht es noch, für eine Reise, und für sein Alter sowieso und seine Kinder wohl auch, und für mein Alter mache ich mir keine Illusionen, denn wenn auf Riesters Grab fragwürdige Dinge getan werden, wird mein Haus wie eh und je stehen, und wohnen müssen die Menschen immer. Man wird schon irgendwie durchkommen, und leichter als andere sicher auch. Es ist schade um das Alte Europa, das gerade als Idee implodiert, weil man den Traum durch eine Währung und Finanzinteressen ersetzt hat. Es ist schade um den Westen, und es dauert sicher nicht mehr lang, dann werden sich Chinesen oder Russen über den renitenten „Alten Westen” aufregen, der nicht das tut, was man erwartet. Solange wird man sich noch etwas zerfleischen und über den Niedergang der anderen freuen, weil es einem noch besser geht. Nicht so gut wie den Märkten natürlich, aber die sind nicht West oder Ost oder Europa oder Amerika, sondern das, was Menschen daraus machen.