Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben.
Der damalige Landespolitiker Christian Wulff über den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau in der WestLB-Flugaffäre
Manchmal, meistens eigentlich, bin ich froh, keine Kinder zu haben. Es gibt aber auch Tage, Tage wie diesen, da ahne ich dunkel, dass mir doch das ein oder andere entgeht. Ich war auch Kind, ich weiss also, wie es sein könnte, wäre ich nicht allein vor den Audiodata Tonmöbeln und würde Belloforonte Castaldi lauschen. Ich würde dann vielleicht nur Boxen von Nubert bezahlen können, alles andere ginge in das Kind, und das würde mich dann auch nicht lauschen lassen. Es käme und würde die vollkommen abgehobene Frage stellen, die an grauen Tagen wie diesem sicher viele abgehobene Eltern am Tegernsee zu hören bekommen: „Sag mal Papa, warum haben wir eigentlich noch keinen Bundespräsidenten?”
Manchmal bin ich froh, kein Kind zu haben, aber beim Gedanken an solche Fragen bin ich nachgerade überglücklich, diesem Erziehungsproblem entgangen zu sein. Denn würde ich das sagen, was jeder gute Staatsbürger behauptet – der Bundespräsident ist nicht zu haben, er ist kein Airdale Terrier und keine Play Station und kein Karaokemodul, sondern ein Wulff und Staatsoberhaupt – dann würde das Kind sicher eine der hirnlosen Unverschämtheiten verlauten lassen, mit denen ich auch früher meine Eltern bis auf die Knochen blamierte. So in etwa: „Der Maximilian sagt aber, dass der Bundespräsident ganz billig zu haben ist. Beim Maximilian seinen Eltern könnte man den im Gartengeräteschuppen unterbringen, der wäre am Leeberg immer noch teurer als diese Hundehütte da.” Weshalb ich überlegen würde, ob eine Erziehung am Tegernsee wegen der Natur, der Berge und der Sicherheit für das Kind nicht auch ein paar Nachteile wie die grosskotzigen Eltern von Maximilian mit sich bringt. Natürlich, das kann man nicht ganz bestreiten, ist das Erstaunen weniger, was da getan wurde, als vielmehr der Umfang: Hätte sich Wulff das Haus schenken lassen, wäre der Fall eindeutig. Aber ein spiessiger Ratenkredit für ein Einfamilienhaus für 415.000 Euro? Wo gibt es denn so etwas noch?
Der allererste Gedanke ist tatsächlich: Da muss ein Haken sein. Ein ordentliches Einfamilienhaus im Münchner Süden – in guter Lage, aber immer noch ohne Tegernsee- oder Starnberger Seenähe – ist dafür nicht zu bekommen, es sei denn, es sei klein, restaurierungsbedürftig oder neben einer störenden Einrichtung wie Klärwerk, Aldi oder Kinderspielplatz. Jedenfalls, selbst wenn man in Bayern inzwischen auch eher gemässigt vermögende Ministerpräsidenten ohne Amigoallüren gewohnt ist, muss man das Erstaunen der Kinder und Eltern hier am See verstehen: Man hätte sich da irgendwie mehr erwartet, als einen zinsgünstigen Privatkredit von der Frau eines Freundes für ein Haus, das man abbezahlt, ganz ohne Kickback oder wenigstens Steueroptimierung. Der erste Teil ist sicher ein Skandal wie viele andere auch, aber der Rest ist erstaunlich. Trotzdem hat so ein Balg kein Recht, anderer Leute Häuser als Hundehütte zu bezeichnen. Da muss es erst einmal etwas leisten. Und wenn es nur das Erreichen des Erbalters ohne vorherige Pleite durch Drogen, Scheidung, Währungsreform und kostenintensives Familienpatchworken ist. Dann kann es andere diskriminieren. Davor muss man erklären.
Das fällt angesichts all der Details des Falles so ganz ohne Glamour und Grandezza gar nicht so leicht. Vom Niveau der europäischen Nachbarn aus betrachtet ist die ganze Geschichte vollkommen harmlos; keine Plünderung von Staatsbesitz wie in Österreich, keine Besuche um Wahlkampfhilfe bei einer alten Millionärin wie in Frankreich, kein Schnüffler als Regierungssprecher wie in England, kein Bunga Bunga, kein waschechtes Demokratendasein und auch keine Vergangenheit als Nazischläger wie ein Minister in Griechenland. Noch nicht mal eine typische europäische Technokratenvorgeschichte mit gut dotierten Posten bei Goldman Sachs und Coca Cola. Nur eine langweilige Karriere in Norddeutschland, deren öffentlicher Höhepunkt der Umstand ist, dass die zweite Frau mal ein Studio zur Hauteinfärbung aufgesucht hat. Keine besonderen Posten, keine teuren Vorträge, wenig Geld, und dann eben ein Kredit eines Freundes. Wenigstens kommt das Geld aus der Schweiz. Ein gtanz klein wenig Weltläufigkeit für das besagte Einfamilienhaus im mittleren Preissegment.
Vielleicht muss man es anders herum aufziehen. Vielleicht muss man dem Kinde sagen, dass so eine Sache natürlich den Anschein macht, als wären Politiker eine Art sichere Geldanlage. Aber das ist wie bei allen Mogelangeboten so: Da werden billige Lockangebote veröffentlicht, die so wirken, als wollte da wirklich jemand nur eine kleine Durststrecke überstehen. Solche Beispiele gibt es, aber im Grossen und Ganzen funktioniert das Geschäft nach anderen Regeln und in anderen Dimensionen. Der Herr Tandler zum Beispiel bekam einen sehr viel grösseren Kredit zum Erwerb einer Lokalität vom Bäderkönig Zwick, war aber kein Bundespräsident, sondern nur Generalsekretär der CSU, und musste deshalb auch zurücktreten – und bekam danach immer noch eine Anstellung bei einem grossen Versorgungsunternehmen. Also, Versorgung mit technischen Gasen und so. Das sind die branchenüblichen Dimensionen der Politik. Und da kann dann nicht jeder einfach kommen und einen Politiker kaufen, auch nicht hier am Tegernsee. Das machen nur ganz wenige, auch die Eltern vom Maximilian nicht.
Das Problem ist vielmehr so, dass die Eltern vom Maximilian und andere Leute dann nicht nur verächtlich über Politiker denken – was erlaubt ist – sondern sie auch noch diskriminieren. Joval von oben herab behandeln. Sie auslachen ob der geringen finanziellen Möglichkeiten des Berufs. Was bei manchen, vielen, vielleicht sogar den meisten Politikern dazu führt, dass sie auch dazu gehören wollen, zu diesem Betrieb, auch wenn die politische Macht ihnen dazu keinerlei Mittel verleiht. Natürlich geht ein Politiker lieber auf einen Empfang der IHK in Südbayern, wo ihn eine etwas angealterte Sportschaureporterin freundlich empfängt, als zu einem Bürgergespräch in einem Problembezirk, wo sich alle beschweren. Er ist irgendwo dazwischen, er gehört weder hier noch dort hinein, und dann zündet ihm ein Vorstand auf dem Bundespresseball eine Zigarre an und erzählt, wie ihn das Hochseefischen nach dem stressigen Alltag entspannt, das sollte er auch mal probieren. Und dann kommen auch noch die Reporter, rennen vorbei hin zu einem Guttenberg, der so vermögend ist, dass er sich nicht bestechen lassen braucht, das Land verzaubert und den Paarlauf ins Kanzleramt antritt. Die gleichen Schreiber fragen später die von der Leyen, ob sie nicht vielleicht vom Pferd herab auf den Titel will. Kein Politiker kann so viele Problembezirke besuchen, dass er ähnliche Resonanz findet. Und wenn er dann vom Empfang im geliehenen Luxus des Schlosshotels wieder in seine Mietwohnung kommt, wünschte er vielleicht, dass da auch ein wenig mehr Aura um ihn wäre. Manche werden zu wenig geschmacksicheren Brionikanzlern. Andere, weniger offensive Charaktere brauchen einen kleinen Kredit, damit zumindest die Home Story schön aussieht. Alles Dinge, die sich Maximilians grosse Schwester gar nicht vorstellen kann, wenn sie das Pferd von der Koppel führt. Das alles ist so weit weg wie die hungernden Kinder in Afrika.
Wobei, Hunger: Mein erster offizieller Empfang bei einem bayerischen Minister war Anfang der 90er Jahre. Dort wurden Fabriksemmeln mit Fabrikemmentaler und darüber gelegten Salzstangerln auf Papier serviert. Um 2000 herum stand in den Einladungen des gleichen Ministeriums, die 3-tägige Veranstaltung der New Economy – für die ich natürlich nicht würde zahlen müssen – werde 1600 Mark kosten. 2006 wurde einfach der Palmengarten in Nymphenburg für ein Investorentreffen zur Verfügung gestellt. Die Lebenswirklichkeit der Politiker, die hier für ein paar Stunden die Lebenswirklichkeit der Eliten imitieren, fällt danach zurück zu den Emmentalersemmeln. Und während die üblichen hochrangigen Ansprechpartner in Agenturen, Firmen und Organisationen in den letzten Jahren kräftig von der Umverteilung profitierten, muss sich der Politiker stets auf’s Neue anhören, er koste zu viel. Oder auch: Mehr als den Gartengeräteschuppen würde man ihm nicht gönnen.
Das erklärt alles, und es entschuldigt nichts. Das Tragen von Brioni macht keine guten Manieren, der Hausbesitz ist keine Grundlage für Ehrlichkeit, und in der Demokratie werden Menschen gemeinhin auch nicht gewählt, weil sie mit Krebslöffeln umzugehen verstehen. Und wer einmal vor den Tapisserien im Herkulessaal der Residenz auf Ministerwunsch einen Bierkrug geschenkt bekam, mit der Aufschrift „B2B in Upper Franconia means Beer and Business”, empfindet keinen weiteren Wunsch, den stetig strebend sich bemühenden Politiker als einen solchen auf höhere Daseinskonzepte zu erheben. Alle wundern sich über die seltsamen Freunde der Politiker. Ich wundere mich, was für Leute sich mit solchen Politikern befreunden, und sie in ihre Gartengeräteschuppen auf einer Subniveauinsel namens Malle verbringen.
Und wäre so gesehen vielleicht doch kein so ganz unpassender Vater für dieses unverschämte Balg, das seinen Mund nicht halten will.