Des wahr wia da feddn Sau an Oasch gschmiaht
Grosstante M., wenn man sie fragte, ob man ihr etwas zu Weihnachten schenken könnte
Geschenke bringt man natürlich mit. Essen schleppt man später wieder nach Hause. Den neuen Partner lässt dazwischen man besser bei seinen eigenen Eltern. Keiner will dumme, insistierende Fragen, warum und wieso und Vergleiche, ob das Neue jetzt besser oder noch schlimmer als der oder die Letzte ist – die üblichen Probleme der Kompatibilität der Lebensentwürfe zwischen den Generationen. Mit etwas Glück hat sich ein anderer gerade scheiden lassen und den gesellschaftlichen Abstieg in ein Neubauviertel in einem Schlafdorf mitgemacht. Dann kann man das Thema unter dem Weihnachtsbaum an anderen aufhängen und zu sich selbst schweigen. Zu grundsätzlichen Debatten um die anstehende Patenschaft auch, denn es wird nicht nur getrennt, es wird auch gezeugt und da müssen Paten her. Daheim aber kämen nur dumme Fragen, so etwa wie „Warum nimmt Deine Bekannte denn keine Verwandten” oder „Wenn Du das machst, wird es teuer” oder „Ja haben die denn keine Erbtante, die ihnen etwas vermachen könnte?”
Nun – nicht wirklich. Das hat sich früher ja durchaus angeboten, das 20. Jahrhundert kannte weitgehend die Pille noch nicht, aber dafür jede Menge männermordende Kriege, sowie lange keine Emanzipation, was Frauen – bei aller Ungerechtigkeit – davon abhielt, sich in einem Beruf qua Leistungsdruck von den Zigaretten über Pillen und den Burnout bis zum vergleichsweise frühen Tod zu entwickeln. Dafür wurde der Tod im Kindbett früh besiegt. Das 20. Jahrhundert ist demographisch eine Epoche des Frauenüberschusses und sozial das Zeitalter der Erbtanten. Egoman, wie wir sind, sprechen wir von einer Erbengeneration; aber in Wirklichkeit sind wir nur eine Generation der Erbtantenprofiteure. Wir tun nichts, es kommt einfach von allen Seiten: Tischdecken, Porzellan, Möbel, Bibliotheken, Häuser, Aktien. Die Erbtante wurde von der Familie und vom Staat umsorgt, die Erbtante stammt aus der schlechten Zeit und kann sparen, die Erbtante ist die buchstäbliche Familiengrube, aus der man das Geld schaufelt.
Es ist angenehm, das zu wissen, denn es entbindet den Nachwuchs in dieser Zeit auch vom Frust zu sehen, was die Eltern schon damals, vor 20, 30 Jahren finanzieren konnten: Auch da pflegten Erbtanten im Hintergrund zu agieren, die richtigen Grundstücke von Bekannten zu erwerben, die Zahlungsmodalitäten zu vereinbaren, wenn es sicher schien, dass alles in den richtigen Bahnen war. Keine Scheidung, das Grundstück, zwei Kinder, das Haus. Man muss fairerweise zugeben, dass es in besseren Kreisen so etwas wie einen umgekehrten Generationenvertrag gibt, zumal man auch die Erbschaftssteuer – die natürliche Todfeindin jeder Erbtante – hasst und fürchtet. Das kann während der Pubertät auch für die neueste Generation erfreulich sein: „Solange Du Deine Füsse unter meinen Tisch…” „Es ist nicht Dein Tisch, den hat Tante Babette damals beim Schreiner U. Für Euch massfertigen lassen.” „Wegen Dir kommen wir von Federn auf Stroh.” „Tante Gertrud sagt, die Immobilien in Hamburg reichen für mein Leben.”
Entsprechend respektiert und privilegiert was folglich auch das Dasein der Erbtante, wobei man auch sagen muss: Was sie an Sonderrechten nicht bekam, nahm sie sich einfach. Reichtum und Sparsamkeit machten die klassische Erbtante eher klug und gewitzt denn zurückhaltend und asketisch. Man musste Erbtanten schon verstehen können: „Fahrt ihr da ruhig ohne mich hin” konnte vieles heissen, selten aber, dass man darauf mit einem saloppen „OK, Tschüss” antworten sollte. Bekam die Erbtante den Eindruck, dass es ohne sie keinesfalls Freude bereiten würde und man sich verloren fühlte, wäre sie nicht im Cafe dabei, und ausserdem möchte man wirklich wissen, wieso Karl-Heinz das damals gemacht hat…
Dann sprach man die gleiche Sprache des höheren Beziehungstechnik. Technisch gesehen war das nicht weniger als fair, denn die Erbtante dachte auch an die Erben, zumeist sehr sogar, das muss man sagen, und im Abstand der Jahre und Jahrzehnte werden auch die menschlich ein klein weniger komplexeren Exemplare schöne Erinnerungen. Allein, so viel Zeit, wie man sie damals zur Erbtantenpflege brauchte, hat man heute bei der Beziehungspflege nicht. Auf einer rein technischen Ebene unserer dysfunktionalen Familien hat heute eine Patentante, die nicht verwandt ist und deshalb im Nervfall auch einfach abgesprengt werden kann, enorme Vorteile in Sachen Unverbindlichkeit. Sie erfüllt halt ihre Pflicht solange es geht, und wenn es nicht mehr geht, schafft man sie ab. Wie man das Gesellschaftsspiel, den Kaffee am Sonntag und einen Nebenaffaire abschafft. Man erbt in solchen Fällen nichts. Aber das mit dem Erben ist bei unserer heutigen Lebenserwartung und Finanzkrise auch nur eine Art Lehmanzertifikat auf die Zukunft mit hohet emotionaler Dauerbelastung.
Wichtiger als das allgemeine Desinteresse an Verpflichtungen ist für das Aussterben der Erbtante jedoch exakt jene Generation, die diesen Traditionsbruch bemäkelt: Es gibt einfach zu wenig Kinder, die sich zur Erbtante entwickeln könnten. Zeugte man früher noch Kinder auf Vorrat, weil man nie wissen konnte, was alles kam, werden Nachfahren in den letzten vier Jahrzehnten strategisch geplant und durchgerechnet. Man will wissen, was alles kommen wird. Man will es bestimmen. Man muss in solchen Kreisen nur mal verlauten lassen, die eigenen Kinder wären ganz sicher nicht hochbegabt – die Blicke sagen einem alles. Da ist kein Platz mehr für Minderleister, Nebenprodukte und fehlgeschlagene Experimente. Ich kenne viele Leute: Wirklich erbtantentaugliche Nachkommenschaft sehe ich nur in vier oder fünf Familien. Ob sich daraus echte Erbtanten entwickeln, muss sich erst noch zeigen. Ich bin skeptisch. Das Leben eines heutigen Singles ist gemeinhin teuer, und Sparsamkeit kann man sich nicht leisten, wenn man als angehende Erbtante der Illusion nachhängt, man könnte doch noch jemanden finden. Ich sehe den Nachwuchs nicht. Und ich sehe die Erbtantentugenden nicht.
Was ich dagegen sehe, sind Ersatzerbtanten: Gut und verantwortungsvoll klingende Finanzprodukte, die es dem Nachwuchs später einmal leichter machen sollen. Anstelle der langfristigen Geschenkströme treten Bildungsfonds und Bankberater, die einem vermutlich nie erzählen werden, wieviele Zigarren Hausfreund Paul pro Tag rauchte. Es müssen viele gewesen sein, denn die Bücher riechen heute noch. Es gibt den ökonomisch begründeten Bedarf nach Erbtantendienstleistungen, das allerdings frei von Eierlikör und Torte und der Frage, wohin man eigentlich die ganzen Photoalben entsorgen kann.
Nun; ich habe keine Kinder, ich will auch keine haben, und in meinem Umfeld ist es auch nicht anders: Es gibt kein Erbtantenmaterial mehr, nur noch Erinnerungen und den Glauben, dass eine kleine Flasche Sekt am Tag sicher über die 90er-Schwelle trägt. Was ich noch habe, sind diese Alben und Geschichten und Erinnerungen. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen, aber ich bin mir sicher, dass wir einen schweren Verlust erleiden: So ein Bankprodukt hilft dann, wenn sein geplanter Zweck eintritt. Das, was Bankster als Flexibilität für niedrigere Rendite dazu verkaufen, hat die Erbtante schon in der Basisversion bereit gestellt: Sie war für jedes Problem da. Man konnte bei ihr Erkundigungen über die Familienverhältnisse anderer Leute einholen, man konnte auf ihre Hilfe zählen, sie brachte einem das Betrügen beim Kartenspiel bei, und ihre Alben sind auch schicker als das, was Bankster heute bei Facebook zeigen.
Aber wie die Erbtanten immer so treffend sagten: Für mich hat es wirklich noch gereicht. Nach mir der Vermögensberater mit dem günstigen Darlehen.