Warte, warte nur ein Weilchen,
bald kommt Haarmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen,
macht er Hackefleisch aus dir.
Man muss nur eine kleine, vergleichsweise verdachtsunabhängige Razzia der Steuerfahndung in der Nachbarschaft haben, und schon hängt der Haussegen in besseren Kreisen schief. So geschehen vorletzte Woche im italienischen Cortina d’Ampezzo, das so eine Art italienisches St. Moritz für jene ist, die zwar gerne unter Ihresgleichen, aber lieber nicht unter Schweizern sind. Dort hat die Finanzpolizei die Fahrer teurer Automobile herausgeholt und überprüft, ob denn die Gefährte auch mit dem versteuerten Einkommen in Einklang sind.Und ganz offensichtlich gab es da durchaus welche, die mehr PS als Verstand und Benehmen gegenüber der Allgemeinheit hatten. Die Folgen waren ein entsetzter Aufschrei der Lokalpolitik, das Versprechen der Polizei, als ausgleichende Steuergerechtigkeit bald auch andere Orte heimzusuchen, und spöttische Kommentare, man würde in Cortina allenfalls römische Metzger erwischen, aber nicht die wirklich besseren Kreise.
Nun, die Metzger sind so eine Art historisch gewachsenes„Meme” der Herabwürdigung, oder auch eine allgemein gültige Diskriminierung. Man sagt tatsächlich nicht einfach nur neutral Neureich. Wer das verschärfen möchte – und wer will das in unserer an Abgrenzung eher armen Zeit nicht – macht es gleich richtig und unterstellt Menschen, von denen er gar nichts weiss, die seien Metzger. Oder der Metzger Gattinnen. Warum das so ist – und nicht etwa Bäckermeister, Konditoren und Rechtsanwälte, kann ich ganz einfach erklären: Wir haben das so und nicht anders gelernt. Schon meine Grossmutter pflegte diese Vorurteile, und sie selbst dürfte das auch nicht erfunden haben. Historisch betrachtet ist es aber so, dass innerhalb der städtischen Hierarchie vergangener Epochen die Metzger und Fleischer wegen der Abfälle, des Lärms und der Gerüche gemeinhin dort angesiedelt wurden, wo die besseren Leute nicht mit ihnen in Kontakt kamen: An den Flüssen, hinten an den Stadtbächen, nur knapp vor den mit Jauche arbeitenden Gerbern, unten, wo das Regenwasser hinunter lief. Metzgerviertel waren früher nie gute Viertel. Ein reicher Metzger war also zwangsläufig ein nach oben gekommener Slumbewohner, um es einmal derb zu sagen.
Man übernimmt es und arbeitet damit. Für uns, die wir im Schweisse unserer Smokings und Abendkleider um Studentenkarten für die Oper anstehen mussten, war das halbe Parkett voll mit Fleischern und ihren Angehörigen. Man musste doch nur mal in die Gesichter schauen. Die dort, die so auf den Stöckelschuhen watschelt, die reicht ansonsten in Neuperlach den Aufschnitt über die Theke. Der fette Sohn verspeist sicher jeden Abend das, was in Riem noch so an Leberkas da ist. Riem und Neuperlach, das hielten wir in unserer Verblendung für Slums, aber wir wussten ja nichts von der Existenz von Neukölln, Bremerhaven, Eppendorf, Essen und Grunewald. Wir waren direkt aus dem Westviertel in die Maxvorstadt gezogen und hatten von der Welt – den Tegernsee kannten wir schon – nur das kennengelernt, was man als zivilisierter Mensch kennen sollte. Die da mit der verrutschen Frisur mit zu viel Blauviolett drin und den drei Kilo Gold am Arm, die kann mit dem Bolzenschussgerät besser als mit dem Klavier umgehen. Wir waren jung, unschuldig und kannten von daheim die Anzeigen eines Vordorffleischzerlegers, der mit seinem Logo und den verwobenen Anfangsbuchstaben seines Namens eine bekannte Automarke nachäffte. Da hatten wir den Beweis, der Rest war nach dem Warten auf die Karten verdiente Freude. Wozu geht man denn sonst in Turandot?
Und natürlich haben wir uns auch ausgemalt, wie draussen in Ramersdorf oder gar Dachau die Gattin brüllt: ÄÄÄÄgon, etzd kimm endli, de Niwälunga fongan friara oh! Und Egon zurück: I ko ned!! De Sau is no ned hi! Wir sahen sie überall. Auf der Maximiliansstrasse, auf dem Weg zum Käfer, bei Holly’s, wo sie fragten, ob man das nicht weiter machen könnte, bei Teresa, wenn sie über die Pferde sprachen – ganz klar, Pferdemetzgertöchter. Wer einen Hammer hat, fängt an, die Welt nur noch als Nagel zu sehen. Und wie es so ist mit den Traditionen der Vergangenheit: Es mag sein, dass sich viele tatsächlich bemühen, wie ein reicher Metzger zu erscheinen. Aber um Metzger zu sein, sind es zu viele. Banales Abzählen reicht aus. Man kennt leider so viele Parvenüs, man sieht so viele schräge Gestalten, es sind so viele Menschen in Düsseldorf auf der Kö und im Quartier 207 in Berlin, und Sylt, ich habe es mir jetzt endlich auf der Karte angesehen, ist sogar recht gross: So viele Metzger kann es gar nicht geben.
Und dazu kommt ein anderes Problem: Man kommt in Altbayern gar nicht umhin, auch Metzger oder hinter der Theke deren Gattin kennenzulernen. Zum Beispiel meine Semmelknödel: Die besten Knödel der Stadt sind bei einem Metzger in der Käsetheke. Oder mein Olivenciabatta: Der Holzbackofen steht auf einem Hof, wo vor allem Fleisch verarbeitet wird. Man ratscht natürlich, man bekommt Einblicke, die Vermögenssituation ist wahrlich nicht schlecht, aber sie nehmen nicht Studenten die Opernkarten weg, sie ziehen einfach noch ihre Kinder gross, und haben wegen der EU-Verordnungen etwas Angst um ihre Existenz. Denn nicht der Metzger wird heute reich, sondern der Grossbetrieb. Die Metzger sterben aus, denn gerade die reicheren Menschen, die beim Fachmann kaufen, essen weniger Fleisch, und die Ärmeren nehmen im Supermarkt das Hackfleisch für was immer es eben kostet. Da ist aber kein Metzger mehr, nur noch eine Value Chain mit einer schlecht bezahlten Verkäuferin als Schnittstelle zum Kunden. Der Schlachter wird nicht reich, der Wurstmacher wird nicht reich, reich werden nur noch Konzerne, Manager, Anteilsbesitzer, Investoren. Kurz: Den reichen Metzger meiner Grossmutter gibt es nicht mehr.
Dazu kommt, dass ich im letzten Sommer einen Sohn jenes, mit der Automarke spielenden Fleischproduzenten kennenlernte. Der ist gar nicht so, wie man vielleicht glauben möchte. Der ist Arzt, seriös und freundlich. Wäre da nicht der Familienname, nie im Leben würde man denken, er könnte in alte Schemata des Klassenkampfes passen. Und er erzählt, dass ein anderes, grosses Problem dieses Geschäftsfeldes der Nachwuchs ist. Die Metzger werden nicht nur verdrängt, die Kinder studieren lieber, und gehen normalen Westviertelberufen nach. Die bekannte Altstadtmetzgerei bei uns in der Stadt wurde liquidiert, und ist jetzt eine Renditeimmobilie im Besitz der Erben. Kurz: Es heisst wie so oft Abschied nehmen von alten, traditionellen Gewohnheiten der Ausgrenzung. Jahrhunderte waren sie gut. Heute müssen wir uns bei den Metzgern entschuldigen.
Und nachdenken, was wir späteren Generationen als würdigen Ersatz mitgeben, denn auch in 100 oder 200 Jahre werden die einen die anderen ausgrenzen wollen. Und das muss sitzen, es darf nicht schlechter sein als unsere Kampfmittel. Auch in 200 Jahren wird es Opernhäuser geben und Leute, die bei der Castingshow besser aufgehoben wären, und Feinkostgeschäfte, in die man nicht geht, und Tanzhäuser, die Fussballspieler und Kinderpr0nautorinnen nicht an der Türe aussondern. Meines Erachtens bietet sich für diese Zwecke der Abmahnanwalt an, oder der Finanzdienstleistungsanbieter: Auch die kommen oft aus dem gesellschaftlichen Nichts, vollziehen ihren Aufstieg an allen akzeptablen Strukturen und Brandmauern vorbei mit oft fragwürdigen Geschäften, waten durchaus auch im Blut und haben nie Zeit gehabt, sich richtige Manieren ancoachen zu lassen. Und, schlimm genug: Sie werden auch nicht weniger werden. Bekannten Beispielen dieser Gattungen sieht man an, wie sehr sie ihr Geltungsbewusstsein treibt; sie lassen sich in der Springerpresse oder AD ablichten, und ihre Kinder versuchen sich an Stilkolumnen, oder auch Einrichtungsgeschäften, um sich selbst ganz vorne zu inszenieren.
Dort, wo sie nichts verloren haben. Man wird sie nicht davon abhalten können, sich ein paar Brocken von anderer Leute Familiengeschichte dazu zu liieren, aber das kennt man auch schon aus dem Feudalismus, dessen gerümpfte Nase man hier als Abwehr übernehme. Man erkennt sie, wenn sie zu viel von den Eltern der Partner erzählen. Und wenn man sich dazu entschliesst, so ein Finanzkonstrukt auch nur als Metzgerei zu betrachten, und ihm nicht mehr Charme als dem Bolzenschussgerät zuspricht – man lasse ab und an die Worte Maddof oder Gr***nreuth fallen – ist alles wieder im Lot, und der Corso der Opernhäuser wird auch weiterhin ein Ort nicht billiger, aber angemessener Freuden sein, wo man das Schlachten ganz unblutig mit Worten vollziehen kann.
Und wir Alte, die uns nicht mehr umgewöhnen können, sollten überlegen, ob diese Leute da nicht wie Geflügelmastbetriebsbesitzer aussehen. Doch, ja, ich denke, das kommt hin.