Es ist keine gute Zeit für die S.. Die S. ist beliebt und wird auf alle Vergnügungen mitgeschleppt, aber nicht beliebt genug, als dass ihr dort jemand sein Herz zu Füssen legen würde. Es ist etwas an der S., das einen ahnen lässt, sie würde ohnehin nur darauf herumtrampeln. Der schöne Spruch „A helluva fun to be with, a hell to live with” würde sehr schön auf sie passen, und ihr Ex-Ehemann und etliche nachfolgende, bei der Tröstung gescheiterte Liebhaber geben beredt und beratscht Auskunft über all die erduldeten Grausamkeiten. Ich kenne die S. noch aus der Zeit, als sie einem Freund den Kopf so verdrehte, dass der eines Nachts mit dem Porsche seiner Mutter – er war gerade 17 und konnte nicht fahren und sie war krank in St. Johann, nach drei Flaschen Sekt aufgrund der Wette mit – obwohl, das geht Sie, liebe Leser, gar nichts an und das zusammengebrochene Bett hat am Ende die Versicherung bezahlt, jedenfalls, ich kenne die S. schon ein wenig länger, sah Männer zu ihr kommen und von ihr meistens eher schnell gehen, und darob ihre Laune nicht besser werden. Manchmal kommt die S. hier vorbei, schaut mir sarkastisch beim Verspiessern zu, möchte nette Dinge über sich hören, macht Pläne, vielleicht doch noch wegzuziehen, in einen Ort, wo die besseren Kreise grösser und weniger übel nachredend sind. Diese Eigenschaft kann man ihr nicht übel nachreden, sie ist, in schlechter Stimmung, eher übel vorredend.
Schon wieder ein neues Bild, sagt sie und zeigt auf jene Stelle an der Wand, wo jetzt eine genetisch problembehaftete Habsburgerin den Besucher anschielt. Ja, sage ich und drücke die Tür zur Bibliothek zu, denn dort hängt noch etwas, das ich mir nicht herunter reden lassen möchte. Du hast bald keinen Platz mehr, meint sie. Ich mache es wie Dein Vater, antworte ich, ich kaufe irgendwann einfach noch eine Wohnung dazu. Ihr Vater, muss man wissen, ist durchaus ein versierter Sammler quer durch die Kunstgeschichte und kommt kaum an einem Antiquitätengeschäft vorbei, und hat obendrein auch die Mittel, nicht gross nachdenken zu müssen. Das grosse Überlegen kommt erst beim Aufhängen, denn dafür braucht man Platz. Für solche Persönlichkeiten ist bei der Drittimmobilie die Wandfläche mindestens so wichtig wie die Wohnfläche, und böse Zungen wie die seiner Tochter behaupten, nur aus diesem Grunde wäre das Treppenhaus bei ihnen so üppig ausgefallen. Was gelogen ist. Die meisten Bilder kamen erst, als die S. aus dem Haus war.
Wenn ich das einmal erbe, sagt sie, und es kann kein Zweifel daran sein, denn sie ist Einzelkind und eine der letzten Spitzen einer grossen, möglicherweise aussterbenden Sippe, dann verkaufe ich das alles. Schluss. Aus. Ich kann das nicht mehr sehen. Ich verstehe sowieso nicht, wieso du glaubst, all diese Bilder dein ganzes Leben lang sehen zu können, tagein, tagaus. Irgendwann kennt man die doch. Und ausserdem, erkärt sie, sei Kunst doch nur was für alte Leute, die ihr Geld aufgrund der wenig ansprechenden Körper nicht mehr zum Schneider tragen können und dann eben Leinwand kaufen, und auch das nur im Wissen, dass sie es nicht mehr lang werden sehen müssen. Man könnte doch nicht erwarten, dass die Kinder später die Fehlkäufe ihrer Eltern das ganze Leben lang weiter mit rumschleppen, so, wie das früher einmal war. Ich hätte auch die Tür zu meinem Schlafzimmer schliessen sollen, da wuchtet nämlich das Jugendstilmonster von meinem Urgrossvater den Raum zu. Wie schon bei den anderen Generationen dazwischen.
Vielleicht bin ich Angehöriger des letzten Generationsbruchstücks, ein Relikt vergangener Tage, als man sich noch freute, etwas Solides zu bekommen, und es sich nicht anschaffen zu müssen. Ich meine das an den diversen Streitereien feststellen zu können, die auch heute noch um Erbschaften entbrennen: Da geht es nicht mehr um Schmuck, oder gar Bettwäsche oder was früher sonst das gute Leben ausmachte, sondern nur noch um Geld, Wertpapiere und Immobilien. Alles andere landet unbesehen auf dem Müll, erfreut die Antiquitätenhändler oder die Caritas, die damit jene ausstaffiert, die die inzwischen auch horrenden Preise von Möbellagern nicht bezahlen können oder wollen – zu denen übrigens auch ich gehöre. Denn ich war dort, und habe mir das tatsächlich angeschaut und die Preisschilder gelesen.
Ich bin gar nicht so vernarrt in altes Zeug. Ich habe mir einreden lassen, dass am Tegernsee ein neuer Kleiderschrank, oder wenigstens ein neues Bettgestell doch mal nötig sei. Hier die Preisfrage – wie viele günstige Rokokoportraits kann man in wie viele alte Kleiderschränke im Keller meiner Eltern stapeln, bis sie die Kosten eines biologisch-dynamischen Einbauschrankes aus billigerem Holz und keinesfalls Kirsche oder Mahagoni erreichen? Ich war im Einrichtungshaus und auf Auktionen und kann sagen: Es ist so einiges. Deshalb steht am Tegernsee jetzt der alte Kleiderschrank meiner Urgrosstante, aussen Ahorn und innen indisches Mahagoni und im Gesimse ägyptische Einflüsse, und an meiner Wand und ihrer Überfüllung stört sich die gehässige S.. Die sich möglicherweise auch ein paar Illusionen über die Wiederverkaufswerte der Malerei macht, die ihr Vater hortet: Ich habe keinen Zweifel, dass sie das alles an irgendjemanden verkaufen kann. Aber ich zweifle sehr, dass es eine schöne Zugabe zum Rest sein wird. Oder was nach Griechenland und Italien und Portugal noch da sein wird.
Nun ist natürlich nicht jedes Erbstück, sagen wir mal, allgemein gefällig wie eine Liege von Le Corbusier, die heutigentags der Nachweis für beruflichen Erfolg ist: Teuer, nichtssagend und der Beweis, dass der Besitzer noch gar keine Zeit hatte, vom katastrophalen Liegekomfort Notiz zu nehmen. Die Demographie des 19. Jahrhunderts und die Industrialisierung der Möbelindustrie bringt es mit sich, dass eine Vielzahl der Erbstücke in besseren Familien dem Historismus entstammen, dem deutschen Versuch, im Sinne von Art Deco zu gestalten, oder ähnlich fragwürdigen Epochen. Und aufgrund der Veränderungen des Geschmacks ist es nun mal so, dass die Spiegelkommode in meiner Bibliothek 1870 in diesen Raum gestellt wurde, dann im Arbeitszimmer bei meinen Eltern zwischengelagert wurde, aufgrund meines Widerstandes blieb und nicht auf den Sperrmüll ging, nochmal 10 Jahre im Keller zubrachte und inzwischen wieder an genau der Stelle den Betrachter beim ersten Blick erschlägt, wo sie schon meinen Vorfahren zum Beeindrucken der hiesigen Gesellschaft diente. 140 Jahre waren bisher für Familien eigentlich keine Zeit, ein paar Generationen, mehr nicht. Heute sind sogar Gemäldesammlungen, für die man nur zwei Schränke im Keller bräuchte, um es sich später noch einmal zu überlegen, im Bestand gefährdet. Und Schränke, das weiss ich, sind bei den Eltern der S. in grosser Zahl vorhanden.
Natürlich ist die Vorstellung, dass Geld und geldwerter Besitz nicht belastet, richtig. An die Inflation hat man sich irgendwie gewöhnt und auch an das Parodoxon, dass die Inflation niedriger als der Kaufkraftverlust ist, wie auch daran, dass es für Geld zwei Arten der Existenz gibt: Die Auslöschung in einer Währungsreform oder die Auslöschung durch Abwertung. Noch nie gab es eine Währung, die lange existiert und auch nur annähernd ihren Wert behalten hat. Vor allem aber ist Geld nicht wirklich identitätsstiftend: Das Problem, das der Neureiche so brutal, viel brutaler al meine Spiegelkommode vor Augen führt, ist der Umstand, dass Geld ohne Spuren auftauchen und verschwinden kann, ansonsten aber im Falle des Vorhandenseins ganz ekelhaft gleichmachende Tendenzen hat, schlimmer als jeder Anarchosyndikalist mit Höllenmaschine. So einem schnorrenden Politiker ist es doch vollkommen egal, ob er von einem Fondsanbieter oder einem ehrlichen Unternehmer eingeladen wird, der deutsche Film ist ihm wie die Marmelade. Geld, das haben wir in den letzten Wochen lernen müssen, macht die Menschen nicht besser, sondern nur upgradiger, sie werden nicht empfänglich für Traditionen, sondern für den gemieteten Pomp von Grand Hotels. Geld kann fraglos ein Distinktionsmerkmal sein, aber sich darauf zu beschränken, macht angreifbar von jenen, die besser mit dieser Entität umgehen können.
Und da sollte man den Realitäten ins Auge schauen: Wären die Reichen besser im Umgang mit dem Geld, gäbe es die Neureichen nicht. Hinter jedem gekauften Adelstitel steht einer, den man nicht kleinzuhalten verstanden hat, als es noch möglich war. Hinter einem Wusch, die S. zu heiraten, stand jemand, der nach oben kommen wollte und dafür bereit war, alle Nachteile bis zuletzt zu schlucken, und dass Gütertrennung das Schlimmste verhinderte, ist ihren Eltern geschuldet, und seiner Fehleinschätzung, diese Familie überleben zu können (im Vertrauen, das habe ich ihm damals bedeutet, aber er glaubte es nicht und bot mir an, die Sache draussen auszutragen. Naja.). Natürlich ist auch die bessere Gesellschaft ökonomisch definiert, aber zur besseren Gesellschaft macht sie erst die Fähigkeit, auf dieser Basis Geschichte, Vorurteile und Abgrenzungsmechanismen zu entwickeln, die als effektive Klassengrenzen funktionieren. Man kann als Zugeständnis an die Moderne gern Tore in die Mauern brechen und für die da draussen in den Gräben und Tretminenparcours Parks anpflanzen, man kann sich darüber weg unterhalten und Papas Gemäldesammlung zeigen.
Aber sich allein auf das Geld zu verlassen, wie es jeder Erbsenzähler in einer Bank tut, macht nicht nur geschichts-, sondern auch schutzlos. Das hätte ich der S. sagen sollen, das wäre eine gute Argumentation gewesen, aber ich war zu lange abgelenkt, die fade Biedermeiertante, wie sie es nannte, zu rechtfertigen; also schreibe ich es hier. Vielleicht haben ja auch manche Leser Töchter, die nur danach trachten, Gemälde, Fahrzeuge und Ferienwohnungen zu versilbern.