Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Rentenausfall ist sicher

Wer nicht früher sterben will, soll wenigstens länger arbeiten: Mit dieser Therapie soll die Wirtschaft nach Expertenmeinung von Steuern und Abgaben gesunden. Das kann für Bewohner der falschen Landesteile unerfreulich werden.

Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.
Mt 4,8f

Wieder nahm ich den Rodel mit mir und zog ihn auf einen gar nicht so hohen, aber mit exzellenter Aussicht versehenen Berg, schaute auf all die Reichen in Rottach und die Pracht der Landschaft, und sagte zu mir: Das alles braucht Dir keiner mehr zu geben, Du musst Dich auch nicht niederwerfen und irgendwelche Vorgesetzten anbeten, dass sie Dir einen Tag Urlaub geben, denn Du wohnst ja hier und kannst jederzeit hinauf, und, seien wir ehrlich, natürlich sind die Menschen in Rottach wirklich reich und Du bist, relativ gesehen, einer der Ärmsten hier, aber 30.000 ist es vergönnt, hier zu sein, und von diesen 30.000 sind auch nur 20.000 so einigermassen vermögend, und davon sind viele noch berufstätig und gerade in München oder auf Besprechung in Berlin, und andere alt und krank und gar nicht mehr in der Lage, hier hoch zu kraxeln. Oben am Himmel hob sich ein Flugzeug voll mit einer Arbeit Nachgehenden weg aus dem Panorama, und es ging mir richtig gut, wie es geschrieben steht in diesem Blog.

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Aber wie es nun mal so ist auf dem Berg, trat nach der Versuchung auch der Zweifel zu mir und zeigte mir den Biergarten oben am Haus auf dem Berg, wo entlang der Mauer sich ein Rentner nach dem anderen zum Hautkrebs sonnte. Einem Dutzend dynamischer Rentner war ich beim Aufstig schon entgegengekeucht, drei hatten mich überholt, als wäre der Tod hinter ihnen her, wobei es vermutlich nur der Wunsch war, nachher im Internet in einer Bergläufercommunity mit ihrer Steigleistung anzugeben, und hier oben waren nochmal ein paar Dutzend. Ich war, bei genauerer Betrachtung, der jüngste Mensch auf dem Berg. Und dabei bin ich doch gar nicht mehr so jung.

Ich bin mir mit meinem begrenzten Verständnis von Gesellschaftsentwicklung – etwas, das man in meiner Position eher als Störung denn als erfreulich auffasst – relativ sicher, dass wir es hier mit einem Problem der Überalterung zu tun haben, und ich meine auch, dass es manche verbittern könnte: Jene, die nicht hier im Sonnenschein sitzen, sondern da unten unter der Smogdecke arbeiten und Abgaben leisten müssen. Wie Hohn würde es ihnen scheinen, würden sie es mitbekommen, aber es liegen ein paar Kilometer, einige arbeitsrechtliche Hürden und 700 Höhenmeter dazwischen; vielleicht sollte man sie ruhig weiterarbeiten lassen und sich die Frage stellen, wie man das ändern könnte.

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Hin und wieder und in letzter Zeit sehr oft nämlich tauchen in den Berliner, Hamburger, Düsseldorfer und anderer Herren Medien, gerade jenen, die Vertreter des wirtschaftlichen Liberalismus nach der liberalen Wirtschaftskrise ungebremst weiter schreiben lassen, was in meinen Augen sehr generös ist, Beiträge zum Renteneintrittalter auf. Und mit der Tendenz, diese Regulierung – teuflisch wie alles, was von diesem Staat kommt ausser den Banken- und Eigenesdepotrettungsmilliarden – vehement abzulehnen. Weil: Die deutsche Wirtschaft braucht erfahrene Fachkräfte. Die einfach so in Rente gehen zu lassen, wäre eine zynische Verschwendung nach allem, was die Wirtschaft in diese Leute investiert hat. Man sollte doch bitte die Regelung ganz streichen, dann kann jeder so lange arbeiten, wie es ihm geraten scheint. Zumal wir im Alter heute auch alle sehr viel gesünder und leistungsfähiger sind. Und gerade die leistungsfähigen Eliten ja auch weiter arbeiten wollen. Um ehrlich zu sein, das sieht hier bei uns nicht ganz so aus, aber die Leute, die so etwas schreiben, müssen auch arbeiten und können sich trotzdem keine Zweitwohnung am Tegernsee leisten, und sehen das alles auch gar nicht und dann schreiben sie halt sowas.

Nun wäre ich der Letzte auf Gottes weiter Erde, der einem Jungdynamiker mit ehrgeizigen Karrierezielen eine Ernüchterung ersparen möchte, weil ein alter Manager beschliesst, ihn nochmal fünf Jahre in der Assistentenhölle braten zu lassen mit der Aussicht, dass er nun den Zeithorizont seines Aufstiegs um eben jene 5 Jahre erweitern kann. Möchte aber zu bedenken geben, dass das steigende Renteneintrittsalter in aller Regel, das lehrt uns die sog. Austerität in Europa, ganz hässliche Folgen bei der Jugendarbeitslosigkeit hat. Und man muss kein Zyniker sein, um zu sehen: Auch davon würde die deutsche Wirtschaft profitieren, Niedrigere Einstiegsgehälter, mehr befristete Arbeitsverträge, mehr Überqualifizierte in wenig qualifizierten Berufen. Die Älteren würden bei guten Konditionen länger arbeiten. Und die Jüngeren bei schlechteren Konditionen auch, wenn sie Arbeit finden. Man ahnt düster: Was der Jungarbeiter an Altersvorsorge für die jetzigen Alten spart, wird er an Lohn nicht erhalten. Und die Billig- und Nichtarbeiter müssen dann vom Staat mitversorgt werden, und der wiederum müsste sich die Kosten bei den Arbeitenden holen. Liberalismus ist eine Gleichung mit dem Kosten der anderen, bei der darauf geschaut wird, was bei den Liberalisten herauskommt.

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Wie schon angedeutet: Mir könnte das egal sein. Wie überhaupt so ziemlich alles den 30.000 da unten egal sein dürfte, auch die Rentenanpassung und so: Wer das spürt, wohnt hier nicht in guter Lage, so einfach ist das hier am schönen Tegernsee. Allerdings meine ich durchaus, dass die Liberalisten, sollte ihnen mal jemand vorgerechnet haben, wo die Probleme des Vorschlages liegen, wenn man sie in der realen Wirtschaft betrachtet (und nicht in dem idealistischen Wolkenkuckucksheim, wo niemand Steuern vermeidet und Interesse am Niedergang des Sozialysteme hat); ich meine, dass diese Liberalisten mit einem anderen Vorschlag kommen werden, der etwas jugendfreundlicher ist: Es gibt dann eben noch genau das an staatlicher Rente, was eingenommen wird. Sonst nichts. Und diejenigen, die dachten, sie hätten sich Rentenansprüche erarbeitet. Entschuldigung, ich muss mal eben in den idyllischen Bergwald und wieder lachen.

Die armen Rehe, die haben einen Schock für’s Leben. Wo war ich? Ach so, ja, also, der Vorschlag wird lauten: Ihr bekommt das, was da ist. Wer sofort in Rente will, bekommt das ausbezahlt, was halt gerade so da ist und dabei bleibt es. Bei 20% Kaufkraftverlust des Euro in vier Jahren und drastisch steigenden Energiepreisen ist das vielleicht nicht so schön, aber es ist ja nicht das Problem des Staates, wenn sich das Alter damit von 30 auf 20 Jahre verkürzt. Manche sagen, dass Armut tötet, aber man kann auch sagen, langfristig entlastet sie die Rentenkasse. Die anderen können eine Wette eingehen: Nochmal ein paar Jahre draufsatteln, und mit dieser Zeit die Berechtigung erhalten, dass danach die Rente auch schön steigt. Wer leistet und mit recht guter Wahrscheinlichkeit bis zum Ende der Leistungsfähigkeit überlebt, bekommt dann eben mehr als derjenige, der den ganzen Quatsch vom Traumschiff mit 65 geglaubt hat, und ihn jetzt leben möchte. Und die Jungen, die ohnehin das Leistungsprinzip schätzen, weil sie nicht daran denken, wie kurz das Leben nach 65 sein kann, bekommen jetzt erst mal ihre Erleichterung. Und später dann, nun, später sehen wir weiter und kennen Sie schon Hans-Günther, den freundlichen Berater Ihrer privaten Zusatzrente auf Kapitalbasis?

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Der Hans-Günther nämlich hat ganz tolle Werbung, der wird sie damit ganz an die Spitze des gesellschaftlichen Berges führen, und alle ihnen Reichtümer und Pracht zeigen, die solche Leute in Prospekten abdrucken lassen, die Pracht von alten Menschen in Liegestühlen auf Seeterrassen mit Blick auf die Berge und sagen: Das alles kannst Du haben, wenn Du hier unterschreibst. Tatsächlich sind die Bilder so einer Organisation da unten, gleich bei mir um die Ecke aufgenommen, weil es gar so schön ist.

Möchte zu bedenken geben: Dafür haben wir hier, wenn wir es voll durchgentrifizieren, maximal 30.000 Plätze. Die sind besetzt mit denen, denen das alles reichlich wurscht ist, und ihren Nachkommen ins dritte und vierte Glied, denn der Gott der Reichen fäkaliert immer auf den gleichen Haufen. Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass einer durch die Anbetung von Hans-Günther hierher kommt. Fraglos wird die Sache mit dem Alter eine blanke Katastrophe werden. Und sie wird gleich hinter Moosrain anfangen, mit dem Smog, wo die Nicht30.0000 wohnen. Aber es wird nicht unsere Katastrophe sein. Ich habe natürlich nicht die geringste Ahnung, was bei diesen Gleichungen für die Liberalisten wirklich herauskommt. Hauptsache, sie kommen nicht hier heraus.