Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der göttliche Unheilsplan

Von der Erlösung der Seelen bis zum bedingungslose Grundeinkommen: Heilspläne sind immer dann besonders schön und lukrativ, wenn sie nicht eingelöst werden müssen.

Wenn jeder auf seinem Platz das Beste tut, wird es in der Welt bald besser aussehen.
Adolf Kolping

Das ist aber schön, sagte ich, eine Vollbremsung hinlegend. So etwas suche ich! Und farblich würde es auch genau zu meinem Leinensakko von Pascali passen, und vielleicht stehen im Stall auch jene Büffel, aus denen solche Gürtel wie meiner gemacht werden, den mein Schuster in Verona fertigt, oder meine Schuhe von Carniari. Es vergeht keine Sekunde, keine 5 mal schwingt die Unruh meiner Rolex Yachtmaster, und schon sagt die ortskundige Beifahrerin: Das gehört einer Nebenlinie der Gonzaga. Oder für mich ins Deutsche übertragen: Da brauchst Du Dir vorerst mit Deinem verbeulten Fiat keine Hoffnungen machen. Ein jeder auf seinen Platz. Das hier ist der Platz der Gonzaga.

 

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Jeder auf seinen Platz wird es auch heute heissen, wenn ich über die staubige Poebene, vorbei an verfallenden Häusern und Höfen der Region Cremona, Kurs auf die Riviera nehme. Der Wind wird sanft über mich hinweg streifen und die grauen Vorhänge verwirbeln, mit denen sich die Hierbleibenden gegen den Schmutz der Strasse schützen, der Putz wird von den Häusern bröckeln, und Kinder am Strassenrand auf kaputten Rädern, die gerade nichts zu tun haben und sich in der Krise langweilen, werden sich fragen: Warum sitzt der im Cabrio, warum fährt der an die Riviera, was schaut er so missmutig bei der Erinnerung an die Gonzaga-Villa, offen über die Ebene fliegend und hoch zu den Pässen über dem ewig blauen Meer, das im Sonnenlicht gleisst, warum er und nicht ich? Ein jeder auf seinen Platz, das ist alles, was ich sagen könnte.

So sagt es der Don Camillo dem Peppone, so sagt es der Hinduist, so steht es bei Konfuzius geschrieben, so verkündet es das Grosse Welttheater des Calderon de la Barca, so ist das seit jeher Bestandteil der christlichen Theologie. Man nennt das Prädestination, und bei Augustinus von Hippo, Ambrosius von Mailand und vielen anderen Kirchenvätern war das auch ein Anlass, um allen zu sagen: Es passt schon, wie es ist. Es hat alles seine Richtigkeit, der Bischof thront, der Kaiser regiert, der Beamte verwaltet, der Arianer wird verjagt und die Synagoge geschändet. Andere Denker wie Pelagianus, die dem Menschen grössere Feiheiten zugestehen wollten, hatten in diesem System als Ketzer natürlich auch ihren angemessenen Platz. Für alle wird gesorgt. Dahinter läuft ein unergründlicher, für den begrenzten Menschen unverständlicher Mechanismus Gottes ab: Der Heilsplan. All das Leid, die Schmerzen, das Elend, die Jugendarbeitslosigkeit in Italien und der Umstand, dass ich diese Gonzaga-Villa nicht besitze: All das hat seinen tieferen Sinn.

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Nämlich die Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft. Mal leidet man darunter, mal wohnt man dort, wo andere sich den Urlaub nicht mehr leisten können, und ich habe noch nie gehört, dass sich ein Tegernseer am Ausbleiben eines Staus der Münchner auf der Uferstrasse gestört hätte. Oder ein Corso von Menschen aus Rottach versucht hätte, einmal in einem Industriegebiet in München Nord eine Stau als Revanche zu verursachen. Ein jeder auf seinen Platz. Unerbittlich läuft der Heilsplan. Nun schon etwas länger. Die Gonzaga dürften diese Villa schon seit Jahrhunderten besitzen. Wann kommt eigentlich mal der Punkt in diesem Heilsplan, der da lautet: Günstiger Verkauf der Villa an einen Deutschen auf dem Rückweg von Monte Carlo, in dessen Hotelzimmer am Hafen der vorher hier wohnende Oligarch aus Russland den Koffer mit den kleinen, gebrauchten Scheinen und grossen, funkelnden Steinen vergessen hat?

Vermutlich nie. Und überhaupt ist es wirklich nicht leicht, es ist sogar sagenhaft schwer, in der menschlichen Geschichte so etwas wie einen Heilsplan zu erkennen. Es kann keinen Zweifel geben, dass es Vorbestimmung gibt, sonst blieben nicht die Reichen reich und die Armen treue Kunden der Kühltheken mit Klebeschinken. Es ist umgekehrt klar, dass in einer Welt der abnehmenden sozialen Mobilität der ganze Kampf, die ganze Anstrengung allein daraufhin ausgerichtet ist, den Status zu erhalten. Das ist nur logisch, wenn das fixiert ist – ich mein, niemand hat den Heislplan je wirklich gelesen, auch wenn manche behaupten, dass es ihn gibt. Vielleicht aber ist alles ganz anders, und es gibt einen Unheilsplan. Und der Stand der Welt wäre gar nicht so, wie er ist, um uns zu prüfen – seien wir ehrlich, der Nichtbesitz einer Gonzaga-Villa zum Beispiel ist jetzt auch nicht eine wirklich harte Prüfung – sondern halt so, wie er ist, damit alles so bleibt, wie es ist: Never change a running System. Ein jeder auf seinen Platz. Bitte keine Beta-Versionen. Das klingt, alles in allem, durchaus vernünftig.

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Und das muss noch nicht mal im Gegensatz zu den neuen Heilsversprechen der Politik stehen, die im Laizismus gerne als Fortführung des göttlichen Willens auftreten – ganz im Gegenteil. Denn auch in Deutschland gibt es Zurückbleibende des Trosses nach Monaco zur Steueroptimierung, und die finden gerade Gefallen an einem bedingungslosen Grundeinkommen, wie es die Piraten gerne einführen möchten. Es wird behauptet, dieses BGE würde enorme soziale Kräfte und Kreativität freisetzen, ein jeder könnte das tun, was am besten zu ihm passen würde. Klingt verwegen, ist aber nur die neue Form des „Ein jeder auf seinen Platz“ in der Ausführung für Wohlstandsverwahrloste. Bleibe, wo Du bist, und tue, was Du für richtig hältst. Irgendwie wird das Rad der Geschichte schon  weiterrollen, das war noch immer so, nur muss man unter der Grundannahme eines göttlichen Unheilplanes keinerlei Sinn mehr suchen: Es ist dann halt, wie es ist. Man überlässt den Menschen seinen Wünschen und Freuden und hofft, dass dabei das Beste herauskommt. Nur Freunde eines echten Heilsplanes würden erwarten, dass dabei etwas Gutes herauskommt. Mit einem Unheilsplan kann man da gar nicht falsch liegen. Und so gross, dass alle möglichen Zwangsgeldgeber so eines hier doch eine Bedingung habenden, bedingungslosen Grundeinkommens nach Monte Carlo ziehen könnten, ist das Land am Meer auch nicht.  Es wird schon irgendwie, irgendwem Heil bringen.

Freunde des BGE werden hier natürlich argumentieren, dass man so wie ich nicht reden kann: Vielmahr löse das BGE auch neben allen Heislversprechen auch den Wunsch des Menschen ein, von der Vorbestimmung befreit zu sein. Darüber sollten wir uns alle freuen! Das sind, heilsgeschichtlich gesehen, schon ziemlich gute Zustände, niemand muss mehr Alte pflegen und am Band Autos zusammenbauen, jeder kann podcasten und erzählen, wie schon das alles ist und wie gut er sich fühlt. Und weil es allen gut ginge, könnte man wieder enorm sparen, weil man dann weniger Polizei, Beamte und Fahnder bräuchte, denn wer genug hat, muss nicht mehr anderen Probeme verursachen – was in etwa so sicher ist wie der Umstand, dass alle Reichen am Tegernsee, die jetzt schon mehr als genug haben, keinesfalls ihr Geld in die Schweiz bringen, um mehr zu haben. Heilspläne sind schon eine feine Sache, wenn man sie theoretisch durchrechnet.  Und es ist ja nicht so, dass sie in der Theorie nicht funktionieren: Die Kirche musste 2000 Jahre den Nachweis für ihre Versprechungen nicht antreten, und gut ist es ihr dabei gegangen. Die Piraten stehen bei 10% der Stimmen oder mehr, möchten ein BGE, und trotzdem erst mal in der Opposition bleiben.

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Bei Calderon de la Barca ist es übrigens so, dass das göttliche Heilsversprechen mindestens zwei Seiten hat: Für manche erweist es sich nach dem Tode als feine Sache, andere dagegen haben eine eher nur so mittelgute Zeit. Auch für die Seelen der Verstorbenen gibt es ein kleines Monaco und ein grosses Ostdeutschland nördlich der Mainlinie. Das Heilsversprechen ist also eher so eine Art Option, eine Möglichkeit für manche, aber kein Muss für alle, auch hier wird es viele geben, die nicht gut wegkommen. Entkleidet man das Versprechen mal von Moral und Anstand, kommt dabei eine Fortführung des immer gleichen, ungerechten Zustandes heraus; die einen haben und die anderen nicht, die einen geniessen und die anderen leiden, nur eben mit vertauschten Plätzen.

Ach so, und: Niemand fährt bei Calderon nach Monte Carlo. Vielleicht ist die Annahme eines Unheilsplans, das Akzeptieren der Welt als Ort des minder Schönen und des Versuches, sich trotzdem ordentlich zu benehmen, gar nicht so schlecht im Vergleich zu all den garantiert irgendwann wirksamen Heilsplänen.