Hau ab, du Trottel!
Nicolas Sarkozy
Ich verlasse Monaco, was hier, genau genommen, bedeutet, dass ich mit meinem verbeulten Fiat zwischen einem russischen Spyker und einem als Rolls Royce verkleideten BMW hindurch die Hoteleinfahrt hinunterrolle und rechts abbiege. Schon bin ich in Frankreich. Und sofort zeigt sich die Verbitterung der hier lebenden Menschen über die Härten der Politik:
Früher sagte man, der Erfolg der Rechten im Süden hätte viel mit den hier tätigen Konglomeraten aus Politik, Wirtschaft und anderen Bevorzugten zu tun, von denen man zumindest in Deutschland weitaus weniger hört, als von der sizilianischen Mafia. Dieses System würde schon wissen, wie man die Leute unabhängig vom Einkommen dazu bringt, die Kreuze an jenen Stellen zu machen, wo es den Angehörigen des Systems etwas bringt. Allerdings komme ich frisch aus Monaco, jenem kleinen Staat, wo die sozialen Unterschiede noch etwas grösser als andernorts sind, und muss sagen: So sicher bin ich mir da gar nicht. Vielleicht sind die Wähler ja auch nur klug genug, sich für eine Entscheidung, die sie ohnehin treffen würden, von den Profitierenden freundlich behandeln zu lassen. Die letzten Tage in Monte Carlo und in Südfrankreich haben mich da nämlich ein wenig klüger in Fragen von Heil und Unheil werden lassen.
Denn Sarkozy hat durchaus Anhänger. Dass die Reichen auf seiner Seite sind, ist keine Überraschung: Sarkozy hat es nie an Belegen fehlen lassen, dass er sich an ihrer Seite einfinden möchte, sei es bei einer luxuriösen Feier zu seinem Wahlsieg, sei es beim Urlaub bei vermögenden Freunden, sei es bei seinem Plan, missliebige Gestalten ohne Möglichkeit, die Geschicke seiner Partei finanziell zu fördern, von der Strasse kärchern zu lassen. Dass er sich nicht nur als Führer eines starken Frankreichs, sondern auch als Freund der starken Franzosen sieht, daran wird kaum jemand hinter Stacheldraht und Alarmanlage zweifeln. Davor wird das nicht anders gesehen, die Leute sind ja nicht dumm. Viele wählen ihn trotzdem. Denn es ist ja nicht so, dass es ihnen unter den Reichen schlecht gehen würde.
Das fängt beim Müll der Reichen an, den sie mitunter wenig stilvoll sogar in Hotelfluren hinterlassen, trotz Videoüberwachung. Vermutlich gibt es auf diesem nur so mittelschönen Erdenrund niemanden, der gern und freiwillig anderer Leute Dreck wegräumt, aber hier ist das ein Beruf, und dieser Beruf umfasst nun mal Müll, den es so andernorts kaum geben dürfte. Die Verursacher dieses Systems machen sich vermutlich keine Vorstellung davon, wie wenig erfreulich Müll an anderen Orten sein kann. Es ist nun einmal so, dass mit der Klasse auch die Qualität des Mülls abnimmt, wie man feststellen kann, wenn man die Schritte des Abendspaziergangs zu einem einem Schnellrestaurant lenkt, und dort die überquellenden Abfalleimer betrachtet. Man muss schon ziemlich weit oben in der Hierarchie stehen, um zu glauben, Müll sei Müll. Im täglichen Umgang mit dieser Sache gibt es Ecken, die erfreulicher als andere sind.
Für mich, das gebe ich ehrlich zu, ist der Kult rund um Yachten eher eine Art Beispiel dafür, wie Vermögende andere zu Sisyphusarbeiten verurteilen: Zumeist liegen diese Spielzeuge im Hafen, verursachen Kosten, und werden auch bei Nichtbenutzung von einer grösseren Menge an Mitarbeitern – oder hier besser, Fürarbeitern – in Schuss gehalten. Geputzt, gescheuert, poliert, damit auch wirklich alles blitzt und glänzt, wenn der Besitzer ein paar Stunden zum Sonnenbad auf das Meer fahren möchte. Was, wie man hier sieht, nicht oft der Fall ist. All die Mühe, all die Arbeit, all die Leistung, reichlich sinnlos. Aber ist sie deshalb unangenehm, und möchte man deshalb, dass der Besitzer mit 70% besteuert wird, wenn man hier arbeitet? Mit 70% Steuern, wie von Hollande versprochen, wird hier manche Yacht schnell ein zu teures Vergnügen, denn Franzosen werden auch in Monaco besteuert. Und so viele Luxusyachten an dieser hübschen Hafenpromenade gibt es auch nicht, dass dann alle Mitarbeiter neue Arbeitsplätze finden. Die christliche Seefahrt hat viele unerfreulichere Arbeitsplätze, als am Tau von Monaco zu schaukeln.
Was ich aus Monaco – neben einer Parkplatzrechnung über 60 Euro und einem Badequietschseepferdchen – mitnehme, ist die Erkenntnis, dass hier niemand erkennbar darüber nachdenkt, wie er all die sozialen Abgründe zu den Reichen überwinden könnte. Das geht nicht, das dürfte allen wohl bewusst sein, damit hat man sich hier abgefunden. Die Sorge ist nicht der ausbleibende Aufstieg. Die Angst ist vielmehr, dass die Zeiten für Reiche härter werden könnten, dass sich das goldene Zeitalter der Umverteilung eintrübt, und damit die Elite der Beihelfer, die unter der gleichen Sonne am gleichen Strand wie die Elite weilt, weniger generös behandelt wird. Wenn niemand bei der Kundschaft auf das Kleingeld achtet, weil es von den Machthabern ohnehin zugewiesen wird, werden hier auch die Barmänner ihren Freundinnen Luxustaschen schenken können. Wenn die Kundschaft jedoch den weicheisernen Griff der Sozialisten an der finanziellen Gurgel spürt, wird vielleicht doch eher das Doppelzimmer als die Suite gebucht. Am nächsten Morgen müssen in der Bar weniger Champagnerflaschen nachgefüllt werden.
Die Entkoppelung der Schichten, die Undenkbarkeit der sozialen Mobilität nach Oben richtet den Blick zwangsläufig allein auf die Frage, wie es Unten weitergehen wird. Braucht man dann noch Leute, die alle halbe Stunde einen Ferrari in die Garage fahren, jedes Jahr ein neues Schild, das befestigt werden muss, einen Anstreicher, der sich in der salzigen Seeluft vor Aufträgen bislang nicht retten kann, fünf Damen am Empfang und all die hilfreichen Geister, die dem Besucher jede Anstrengung gerne abnehmen? Für diese Reichen unter den Armen, für die Oberschicht der Dienenden ist Hollande, ist jede Änderung der Umverteilung eine existenzielle Gefahr. Vermutlich machen sie sich wenig Illusionen, was sein wird, wenn man sie hier nicht mehr benötigt. Und wo sie dann landen werden. In Menton, Nizza, Vintimiglia, Imperia, die ganze Küste bis nach Genua hinunter gibt es überall das gleiche Problem mit dem volatilen Luxus. Man hat so viele Menschen dafür gebraucht, man hat so viele hier ahnen lassen, wie schön es sein kann, man hat so viele in die Nähe des Glücks und der Zufriedenheit gebracht, und manch eine, so hört man, schafft sogar den Aufstieg und eine formidable Karriere. „Soziale Gerechtigkeit“ verliert schnell jeden Reiz, wenn man dafür erst einmal sozial absteigen muss. So eine Yacht kann in ein paar Tagen zu einem Steuerparadies in der Karibik auslaufen. Die anderen müssen hier bleiben.
Sie sind natürlich unersetzlich, das alles wäre ohne sie nicht möglich, aber sie sind es nur als Struktur, als funktionierendes System der Beihilfe für ein schönes Leben. Dieses System gibt es überall, es kann global redupliziert werden. Wenn nur genug Reiche da sind, sieht es überall nach ein paar Jahren genauso aus, und wie es für die Zurückbleibenden in von den Reichen verlassenen Regionen aussieht, kann man auf dem Weg nach Genua betrachten. Dort mehren sich die Hotelruinen, dort werden die Strassen rissig, dort bröckelt der Putz, und die alte Grösse der mondänen Badeorte ist vor allem alt. Die Sonne scheint auch hier natürlich für alle, egal wen sie wählen, und wenn man auf das Meer blickt, vergisst man vieles. Aber in der Wahlkabine ist kein Meer und keine Sonne, sondern nur die Frage, wie es weitergehen soll. Am besten so, wie es bisher war, sagen sich viele. Und beschmieren den Hollande, während der Sarkozy auch als Verlierer immer noch auf das blaue Meer schaut, wie man das hier gerne tut. Hier ist nicht derjenige der Mann des Volkes, der höhere Steuern verspricht, sondern der andere, der weiss, wem er zu dienen hat.