Everyone wants to be Cary Grant. Even I want to be Cary Grant.
Cary Grant
Es ist nicht mehr so einfach, gibt sie zu.
Heute hat Cezanne die Farben für das Meer und den Himmel gemischt und nur ein paar ferne Wolken hineingetupft, es ist noch nicht zu heiß, und hier, in den holzgetäfelten Räumen, ist sicher irgendwo eine Klimaanlage, von der man nichts hört. An den Wänden sind Erinnerungen an die grosse Zeit, die, wenn man die seitdem rapide gewachsenen Yachten, Privatflugzeuge und Villen berücksichtigt, eigentlich gar nicht so gross war. Grace Kelly zum Beispiel fährt als Millionenerbin in „Über den Dächern von Nizza“ einen Sunbeam Alpine: der Wagen ist kleiner als ein moderner Golf, und entsprach damals der oberen Mittelklasse. Wo damals noch in kleinen Bergdörfern Hühner über die Strasse liefen, laufen heute die vermögenden Russen. Trotzdem, sagt sie, ist es nicht mehr so einfach. Und das, obwohl sie es selbst lebt, und dabei wirklich sehr erfrfeulich aussieht.
Aber das hier sind holzgetäfelte Wände und über 100 Jahre Tradition; da sagt man nicht so leicht Lebewohl formeller Kleidung, zu Kostüm, Blazer und Krawatte. Man hat Photos aus dem gesamten 20. Jahrhundert um sich herum, und immer sehen die Menschen so aus, wie es sein soll. Bügelfalten, lange Hosen, Krawatten, vermutlich auch Manschettenknöpfe. Würden sie so aus den Bildern steigen, wären sie für die meisten gesellschaftlichen Anlässe perfekt und für den Alltag der Gegenwart viel zu gut angezogen. Und vermutlich wären sie in all ihren Haltungen und Handlungen auch viel zu steif. Es ist tatsächlich nicht mehr so einfach. Das Ideal lebt fort, mehr kann es nicht tun, und draussen schert sich niemand mehr darum. Ich fürchte, ihr Kampf ist aussichtslos wie der einer vergessenen Adligen um 1800, die in ihrem holzgetäfelten Salon nichts von der Abschaffung von Perücke und Korsett wissen wollte. Draussen stellt sich eher die Frage, welche Luxusuhr man für welchen Ärmel man wählt, aus dem kein Hemd mehr hervor scheint.
* * *
Das Tempolimit auf den Strassen – es sind wenige und überall stehen Videokameras, damit sich alle benehmen – wird hier wie vermutlich nirgendwo sonst in der Welt überwacht. Die Bewohner befürworten das, schliesslich leben sie hier, und wer hat schon gern die Rennstrecke der Vermögenden in seiner Stadt. Aber diese Stadt ist nun mal untrennbar mit dem Motorsport verbunden, und die Hotels, deren Auffahrten ansonsten makellos sind, erlauben durchaus, dass besonders seltene Rennwägen hier stehen bleiben. Damit auch jedem klar ist, wer hier wohnt. Die Garage, die in meinem Hotel die Autos versorgt, trägt den Namen einer besonderen Marke. Es gibt hier natürlich ein Geschwindigkeitslimit, aber kein Beschleunigungslimit, und kein Lärmlimit. Es macht den Anschein, als hätten sich die Autobauer genau überlegt, wie man trotz der Beschränkungen den Benzinverbrauch möglichst auffällig umsetzt. 50 km//h mag wenig auf einer Autobahn sein, aber es ist viel in einem Kreisel.
Und wie es nun mal so ist: Die einen machen es vor. Und die anderen gehen zum Autoverleih und machen es nach. Zumindest für eine Stunde, oder einen halben Tag, das kann sich jeder leisten. Das ist für so einen Ort wie die Wahl zwischen Pest und Cholera: Natürlich könnte man es ganz verbieten und alle zwingen, auf diese lustigen, kleinen E-Mobile umzusteigen, die für den Stadtverkehr hier völlig ausreichen. Natürlich würden dann jene, denen kleine E-Mobile nicht reichen, überlegen, wo es sonst noch solche roten Mietwägen und Strassen am Meer gibt. Man kann dem Schnösel gewisse Grenzen setzen, man kann ihm einen Platz zuweisen, auf dem er zufrieden ist. Man kann ihn aber nicht mehr disziplinieren. Im Geiste ist er auf der Rennstrecke. Dafür kauft er nachher, wenn es reicht, auch die Daytona für das Handgelenk.
* * *
Vielleicht war das in den Zeiten strenger Türen noch anders, vielleicht gab es wirklich eine Epoche, während der man die Neureichen erst disziplinierte, und sie danach, wenn sie sich richtig verhielten, einliess. In der Zeit von „Über den Dächern von Nizza“ jedenfalls war das schon vorbei; die Mutter von Grace Kelly drückt eine Zigarette in einem Spiegelei aus, womit viel gesagt wird. Die Mutter der Dame im holzgetäfelten Raum hat es ihr ziemlich sicher anders beigebracht, sie versteht auch noch die Kunst, sich im Zeitalter der für angemessenes Verhalten herausfordernden Buffets richtig zu benehmen. Es sind auch noch andere Personen anwesend, das Programm ist voll, und so ist Koordination gefragt: Das Besteck richtig hinlegen, aufstehen mit der richtigen Haltung und dem richtigen Takt, sich vorstellen oder vorstellen lassen, in die richtige Sprache wechseln, so, wie man das gelernt hat. Und in den Augenwinkeln sehen, wie andere sitzen, ja man muss fast sagen, hocken bleiben. Hocken trifft es gut. Aber bitte, doch keine Umstände.
Das ist locker, das kann man so machen, und wie man es hält, ist auch nicht von der Kleidung abhängig. Da sind welche, die den oberen Teil des Gesichts anheben und in den Nacken fallen lassen, während die Kinnlade dort verweilt, wo sie war, unter Hinterlassung eines Schlundes, der es jedem Zahnarzt leicht machen würde, die Qualität der Dentalarbeit abzuschätzen. Manche werden vielleicht sagen, dass die Bügelfalte ein veraltetes Relikt ist, aber ich wäre dann sehr dankbar – auch zugunsten der feinen Dame – wenn man mir erklären könnte, was von den verneuerten Relikten zu halten ist, die heute als lässig gelten, da man zwar für den Körper kilometerweit läuft, aber sich für den Menschen nicht mehr erhebt.
* * *
Das Internet im Hotel möchte nicht so, wie ich will, und weil es spät ist, möchte ich das Personal nicht mehr inkommodieren. Natürlich stehen sie 24 Stunden zur Verfügung, aber wer steht schon gerne als der Irre da, der Nachts um drei plötzlich noch Zugang zum Netz braucht. Das sind entweder, ahem, Einsame oder Arbeitssüchtige, also schickt es sich nicht. Daher muss ich erst wieder Mantua erreichen, um zu erfragen, was das eigentlich für Leute waren, die bei mir so oft im Fahrstuhl auftraten und im ersten Stock ausstiegen, wo sie ihre Tagungsräume verschluckten. Die Fahrstühle sind unaufgeregt langsam und weiträumig, jedoch nicht gross genug, um nicht zu hören, was diese Amerikaner in dem, was in Amerika als Freizeitkleidung gilt, zu sagen haben. Aha, eine globale Vertriebsorganisation für Finanzprodukte, das verbirgt sich hinter dem Logo. Ich kannte es noch nicht. Es muss ihnen aber etwas bedeuten, denn die modernen Schlüsselbänder, die mit Krawatte absolut unvereinbar sind, haben sie auch draussen getragen. Erkennbar in der Freizeit. Ziemlich viele blaue Bänder, die durch die mediterranen Lüfte flatterten.
In den holzgetäfelten Räumen gehört man dazu, wenn man die richtige Krawatte und die passenden Manschettenknöpfe trägt, und das definiert dann den Rest; weniger geht dann einfach nicht. Jetzt sind es diese Schlüsselbänder mit Aufdruck. Kein Wunder, weil diejenigen, die es erhalten, nicht wie früher eine Jacke tragen, an denen man so ein Schild an der Tasche befestigen kann. Man schaut sich gegenseitig dann eher auf den Bauch. Eine Krawatte ist da wirklich störend, das Ideal dürfte dann Freizeitkleidung sein, und das formelle Vorstellen hat sich dann auch erledigt, ach, Sie sind, äh, moment, ich schaue auf Ihren Bauch, ach so, der Herr von der FAZ. So kommt man sich schneller näher, man muss weniger sagen, und das Aufstehen hat sich auch erledigt, nach hinzten fallen und den Mud aufmachen erleichtert dafür die Lesbarkeit. Die Leute im Aufzug, die sich zu ihrer Konferenz treffen, beherrschen das aus dem Handgelenk heraus. Wo eine dicke Uhr baumelt, und keine Manschette zu sehen ist. Sie reden über Autos und dass sie nachher nach Frankreich fahren. Und lachen. Ja, das gute, alte Europa und seine Freuden.
* * *
Ich war wirklich sehr angetan von der Frau im holzgetäfelten Raum.