Es gehört jedem, der stark genug ist, es zu nehmen.
Attila der Hunne
Die Generalprobe auf der sonnigen Dachterrasse über der Altstadt war ein grosser Erfolg, aber die Premiere des mediterranen Gratins musste dann doch in geschlossenen Räumen stattfinden: Dunkel grollende Wolken hatten die I. und mich zur Übezeugung kommen lassen, dass Kerzenschein in der Bibliothek zwar nicht so schön wie ein sommerlicher Sternenhimmel ist, aber was bleibt einem schon übrig, wenn draussen Unwetter drohen. Obwohl, ich formuliere es lieber anders, man weiss ja nicht, wer hier alles mitliest: Eigentlich kam nur eine durch die Scheidung ruinierte Bekannte für eine Kartoffelauflauf vorbei, und was nach weiträumigem Stadtpalast klingt, nennen andere in der Familie „de oide Kalupp’n”. Man kann die Geschichte so oder so erzählen; aus der Sicht eines Grundeinkommensfreundes, der 1000 Euro im Monat für seinen Lebensstil als ausreichend betrachtet, war allein die oberpfälzer Herkunft der Pilze im Gratin verschwenderischer Luxus. Aus Sicht eines Reichen sassen da zwei Geringverdiener unter zweitklassigen Gemälden in einer überteuerten Provinz ohne Privatstrand, und träumten ohne Dienstboten von einem Eigenheim in Meran mit Weinberg. So also war das. Draussen drohte peitschender Regen, drinnen wurden Luftschlösser gebaut und südtiroler Bergapfelsaft von Kohn getrunken.
Dann ging die arme I. zurück in ihre kleine Behausung, ich spülte ohne Dienstboten ab und ging zu Bett. Ich weiss, mein Bett mit Goldbrokat unter dem Kronleuchter sieht nicht wirklich bescheiden aus, aber als ich hier einzog, war ich arm dran und musste etwas aus dem familiären Bestand nehmen. Manche würden sagen, ich schlafe unter schwerem, alten Damast, andere dagegen würden meinen, dass von der Verwandtschaft so viel Aussteuer übrig geblieben ist, dass es noch für Generationen reicht. Dann wachte ich auf, tapste über das historische Fischgrätparkett – aus Sparsamkeit auch nach 200 Jahren nichr erneuert – und liess mich auf dem Sofa – damals ein Geschenk, so etwas könnte ich mir nie leisten – nieder. Schaltete den natürlich gebraucht gekauften Rechner ein, denn wer 1000 Euro für so ein Glump ausgibt, der müsste sich Sünden fürchten. Schrieb der I. eine Mail, in der ich für den schönen Abend dankte und der Hoffnung Ausdruck gab, irgendwann einmal, wenn man nur ganz fest daran glauben möchte, dann werde Meran Wirklichkeit. Die kleinen Träume armer Menschen eben. Und dann las ich diesen Beitrag im Handelsblatt über einen Vorschlag des DIW, eines Forschungsinstitutes für angwandte Hunnentaktik im Reichshauptslum. Und schlagartig war ich reich.
Es gibt da in der Familiengeschichte einen dieser Fälle des Aussterbens eines lang vergessenen Zweiges, dessen Vermögen dann plötzlich jemandem zufällt, einfach so, und den Betreffenden dann schlagartig vermögend machte. Das ist einerseits toll und andererseits nicht ganz fein; wer seine Verwandten vergisst, sollte nicht unbedingt erben. Und nun ist mir das auch widerfahren, aber ganz ohne Todesfall, über Nacht, dank des Instituts. Das DIW setzt eine Grenze, 250.000 Euro mit allem, was man hat, Geld, Immobilien, Aktien, Anlagen, und sagt: Wer darüber ist, ist reich. Dazu gehört bei uns eigentlich gar nichts ausser in dem Haus zu bleiben, in dem man geboren ist. Bei den hiesigen Quadratmeterpreisen sind sogar Leute reich, deren Behausungen hier „Hundehütten” oder „Locher” heissen, oder gar in „Klein-Kasachstan” liegen, ja sogar in Berlin gäbe es dann Reiche. Gestern war man noch ein armer Schlucker in einem alten Haus, der sein Leben lang nicht weiter kam, heute ist man schon vermögend in einer hoch bewerteten Immobilie. Ohne einen Cent mehr, aber bald viele Cents weniger.
Denn das DIW schlägt nun vor, arme Gratinköche wie mich und meine Freunde ab dieser Grenze mit einer Zwangsabgabe zu belegen. Ich glaube, ich kenne kaum jemanden, den das nicht betreffen würde, und davon sind nur die wenigsten nach meiner Vorstellung reich. Aber was zählt, ist nicht meine Meinung und der Umstand, dass das Vermögen nur entstand, weil unsereins eben gern Gratin kocht, statt im Urlaub in den ersten Häusern das Beste zu bestellen. Es zählt nicht die Sparsamkeit, mit der angehäuft wurde und nicht die Entsagung, sondern allein die nackte Zahl. Wer hat, dem wird genommen. Wer dagegem verprasst hat, der darf behalten. Das DIW legt damit die Axt nicht nur an die klassischen Profiteure der globalen Umverteilung, sondern auch an das bürgerliche Selbstbewusstsein. Würde man alten Besitz ausnehmen (sagen wir mal, vor dem Einmarsch der DDR 1990), dann könnte man durchaus auch in besseren Kreisen darüber reden. So aber werden alle zusammen geschoren, sie Schuldigen und diejenigen, die gar nichts getan haben. Ich sehe schon Steuerberater Modelle entwerfen, wie man sich unter diese läppischen 250.000 rechnet. Ein teures Automobil auf Kredit kaufen, das könnte helfen. Oder ein paar Schulden für eine Gemäldesammlung aufnehmen – auch das könnte man gut rechnerisch brauchen.
Was rechnerisch dagegen überhaupt nicht hilft, ist die Ehe. 250.000 für einen, 500.000 für beide, das ist entweder eine Verhöhnung oder aber eine Einladung zu unpassenden Hochzeiten. Denn in meinem Umfeld ist es nun mal so, dass Gleich und Gleich sich gern gesellt. Seien wir ehrlich und rational, mit 500k braucht man zu zweit nicht mit weiteren Lebensentwürfen anfangen; das geht allein schon für ein mittelunprächtiges Haus drauf. Das ist kein Reichtum, sondern allenfalls Substanz, und wenn von allem, was dazu kommt, zusätzlich abgeführt werden soll – nun, das DIW ist sicher auch so eine Berliner Kaschemme, wo die Angestellten ihre Pilze für das Gratin bei Aldi aus dem Plastik pullen. Da fehlt es einfach am grundsätzlichen Verständnis für Microökonomie. Der Vorschlag ist bestens geeignet, Leute wie meine Bekannte K. zu züchten, die alles, was über die Substanz hereinkommt, mit vollen Händen in den Boutiquen wieder ausgibt. Warum auch nicht. Wenn der Staat als alles verschlingender, nach einer Art Grundeinkommen gierender Mitesser am Tisch sitzt, lohnt es sich nicht, mehr als nötig für eine Zukunft des Clans heranzuschaffen.
Die langfristigen Folgen derartiger Selbstbedienung werden natürlich gern übersehen: Will man beispielsweise doch Kinder, möchte man auch ein gewisses Polster erarbeiten, damit die es später mal nicht schlechter haben. Erschwert der Staat aber diese Polsterbildung, werden eben weniger Kinder produziert, weil andere Anlageformen – prassen, verschwenden, verschleudern – sehr viel attraktiver und kurzfristig auch risikolos, ja gar steuerlich begünstigt sind. Es ist ja nicht so, dass dieses Verhalten in uns nicht angelegt wäre. Jetzt käme nur noch ein Staat dazu, der jene bestraft, die Vorsorge treffen. Dann halt nicht. Jedes Kind in diesen Kreisen wird zwar nicht mehr mit Schmerzen geboren, sehr wohl aber sauber durchgerechnet: Wenn die Kosten durch Zwangsabgaben auf das Vermögen weiter steigen, wird so ein Kind schnell unrentabel. Man sucht sich andere Möglichkeiten, das Geld anzulegen. Irgendetwas wird sich schon finden, denn auch die genetische Ausmerzung der Akademiker führt zu guten Geschäften. Die Zwangsabgabe kann man heute sicher mit heftigen Frühverlusten aus Fonds zum Bau von Billigmärkten verkleinern – in 10, 20 Jahren ist das dann sicher ein Bombengeschäft.
Wollte man wirklich so eine Zwangsabgabe einführen, müsste man das mit einer Familienkomponente verbinden: 250k für Alleinstehende, 750k für Verheiratete, und pro Kind ein weiterer Freibetrag von 250k. Das wäre dann so halbwegs, auf Kante genäht, gerade eben, eventuell machbar und mit dem Ideal einer vernünftigen Erziehung vereinbar. Sonderluxus wie Pferde, Cabrio mit 18 und Studium an der Ostküste wären damit natürlich noch nicht ohne Bedrohung durch Sonderabgaben finanzierbar, aber es wäre zumindest ein Anreiz, sich nicht gleich gegen Kinder und langfristige Investitionen in die Zukunft zu entscheiden. Es wäre immer noch nicht genug, um mich an Nachwuchs denken zu lassen, aber der Idee, eine Zweckehe – auch das ist heute schon was! – mit der I. einzugehen, die wäre dann nicht mehr ganz weltenfern. Alles andere, fürchte ich, wird nur zur weiteren Steigerung der Verschwendungsfreude beitragen. Wenn ich überlege, was meine Eltern alles getan haben, um aus mir einen anständigen Menschen mit einem vorzüglichen und dennoch kostengünstigen Gratin zu machen… und was jetzt vom DIW getan wird, um mich zu überzeugen, dass all die Raucher, Säufer, Kaviarangeber, Porschefahrer, schnorrenden Berlinhocker und 5 mal im Jahr in den Urlaubfahrer doch alles richtig gemacht haben…
Deutschland ist bislang eigentlich ganz gut damit gefahren, dass weite Teile seiner Elite sparsam, fleissig und ordentlich gelebt haben. Es hat das Land vor Verwerfungen wie in Spanien, England, Irland und den USA geschützt, und es hat gute Gründe gegeben, sich anzustrengen. Das kann man natürlich auch aufkündigen und alle bestrafen, die nicht alle zwei Jahre eine neue Polstergarnitur aus China kauften, sondern langfristig dachten. Man kann armen Schluckern, die seit Generationen immer die gleiche Gemäldegalerie anschauen, die immer gleichen Häuser bewohnen, zigmal den gleichen Stuck streichen und ihre Rolex dem Onkel verdanken, natürlich auch einreden, dass sie reich sind, und deshalb mehr zahlen müssen. Man rikiert aber, dass sie sich dann auch wie Reiche benehmen werden. Firmen sollen ausgenommen werden, dann überführen wir es einfach in eine Verwaltungsgesellschaft auf den Kanalinseln. Ob Deutschland damit gut fährt, noch dazu, wenn die Beute allein verwendet wird, um Schulden abzubauen, die durch Bankenkrisen und EU-Haftung entstehen, wird man sehen.
Die I. jedenfalls macht bei Auktionen eine ganz phantastische Figur.