Amongst our weaponry are such diverse elements as: fear, surprise, ruthless efficiency, an almost fanatical devotion to the Pope, and nice red uniforms – Oh damn!
Monty Python, The Spanish Inquisition
Eine Ergänzung zu diesem Beitrag, der gestern in der Zeitung stand.
Wenn Sie einmal ins schöne Bayernland kommen, in seine vollbeschäftigt florierende Mitte, sei es zu einem Vorstellungsgespräch, oder auch nur auf der Durchreise nach Süden, so möchte ich einen Besuch in einem kleinen, verschlafenen Dorf namens Bergen bei Neuburg an der Donau anraten. Denn obwohl ich direkt neben einer der schönsten Rokokokirchen des Kontinents wohne, ist Bergen häufig das Ziel meiner langen Radtouren – in Bergen nämlich steht ein weiteres Kleinod dieser Epoche. Nur hat sich das noch nicht so herumgesprochen, und mit etwas Glück hat man diese Kirche dann für sich allein. Man kann darin wie in einem Festsaal wandeln, es ist alles beschwingt und heiter, und ganz anders als die Residenzkirche im nahen Neuburg, die noch ganz dem bitteren Ungeist der Religionskriege huldigt. Errichtet und ausgepinselt wurde die Kirche um 1755, von Jesuiten zwar, aber schon im Lichte der Aufklärung, denn die Jesuiten hatten verstanden, dass man mit Angst vor ewiger Verdammnis, Höllenqualen und Verfluchung nicht mehr allzu weit kommt. Bergen ist seichte, religiöse Unterhaltung, es ist dem heiligen Kreuz gewidmet, das hier gar nicht mehr sonderlich an Martern erinnert, und erfreut sich mit dieser Gelassenheit auch heute bei Hochzeiten besserer Kreise grosser Beliebtheit.
Vermutlich wäre Bergen nicht so vorzüglich erhalten, vermutlich hätte sich im Inneren die Erneuerungswut Bahn gebrochen, wie es nun mal so ist im Kirchenbau – hätte nicht die damals einkehrende Geistesfreiheit dem Trubel der Wallfahrten Einhalt geboten. Denn 1755 verursachten diese aufgeklärten, weltlichen Jesuiten in Frankreich auch einen höchst weltlichen Finanzskandal, in Portugal wurde ihnen 1759 die Verwicklung in einen Mordanschlag auf den König nachgesagt, und 1773 wurde der Druck auf den Papst so gross, dass er die Jesuiten aufhob. Nur 18 Jahre konnten sie also das himmlisch bemalte Bergen als Kirche betreiben, dann kam die Revolution, die Veräusserung des Kirchenbesitzes, und keiner fürchtete sich Sünden, als dieses Rokokojuwel zur Pfarrkirche eines kleinen Dorfes herabsank. Zyniker werden sagen: Die Kirche hat jahrhundertelang erfolgreich ihren Gläubigen die Hölle heiß gemacht, aber wenn sie nur ein paar Jahre schön tut und nette Bilder an die Decke malt und liebliche Musik aufführt, damit sich alle freuen – schon wird sie abgeschafft, geplündert und abgewertet.
Danach, im 19. Jahrhundert während der Restauration, versuchte man es prompt wieder mit steifer Neorenaissance und Neugotik, in Erinnerung an jene Zeiten, da die Kirche gross, furchteinflösend und allmächtig war. Angst und Schrecken hatten wieder Konjunktur, durch staatlich erzwungene Nachfrage, und so kann man sich fragen, ob es nicht vielleicht so etwas wie wirtschaftliche Zyklen gibt, in denen hin und wieder Freiheit und Freude im Angebot ist. Und dann wieder Furcht und Unterwerfung. Wie im Moment, unter die sog. Märkte, denen gerade jetzt, da ich dies schreibe, vom Parlament dieses Landes Unsummen in den Rachen geworfen werden, so viel Geld, dass man den ganzen Weg von mir bis nach Bergen mit Rokokokirchen zupflastern könnte. Und dann immer noch genug für ein ordentliches Autodafe für Staatsschuldscheine hätte. Mit Grossinquisitor.
Manche neigen dazu, diese Ängste vor den Märkten als gegeben hinzunehmen. Möglicherweise sind das sogar recht viele, aber in meinem Fall ist da das Problem des persönlichen Umfeldes, dieser Kohorte, die in einer Zeit aufwuchs, als die alten Ängste vor dem Atomkrieg und dem Russen schwanden und neue Ängste nicht so schnell verfügbar waren. Unsere Eltern hatten das Wirtschaftswunder miterlebt, sie hatten sich prächtig entwickelt, die Häuser und Autos wurden grösser, die Reisen exotischer, und die Kinder hatten nichts zu befürchten. Natürlich gab es den Druck, mindestens das Abitur zu erreichen, und Arzt wäre schön gewesen; aber alle, zumindest in meinem Umfeld, lebten in der Gewissheit, dass nichts passieren kann. Es war genug da, eventuelle Lücken galten als überbrückbar, und wenn man nichts allzu Krummes anstellte, hatte man nichts zu befürchten. Schon gar nicht von irgendwelchen Arbeitgebern. Wenn ich Ihnen jetzt erzähle, dass einmal die Süddeutsche Zeitung eines meiner Blogs kaufen wollte, und ein paar Ideen zum Thema Auto dazu, dann ist das halt so gewesen: Absurd komisch mit Personal aus einer schlechten Sitcom. Dass beim Gespräch mit den Chefs der Onlineredaktion dem G. das zu kurze Hemd heraushing, als er sich streckte – das war eben so. Und dass er mich fragte, was ich sagen würde, wenn denn BMW den Mini als Diesel bringen würde, was etwas peinlich war, denn BMW hatte ihn längst als Diesel verkauft – und so ein Experte sitzt dann in einer Verkaufsverhandlung… also, ich kann darüber lachen. In diesem Leben brauche ich den Herrn G. eh nicht mehr zu sehen, und dort ist jetzt ein neuer Chef, der ihm klugerweise vor die Nase gesetzt wurde.
So ist das bei uns. Ich kann das hier so niederschreiben, ich habe keine Angst, und bevor ich von der Süddeutschen Zeitung abhängig sein sollte, würde ich eher daheim urige Hochzeitskeller vermieten oder anders reich werden, was man halt sonst noch tun kann. Ich habe mich damals schon über diese Leute öffentlich amüsiert und tue es noch heute. Aber letzthin bat ich eine 15 Jahre jüngere Bekannte, mal hier im Blog etwas über ihre haarsträubenden Erfahrungen in einem dreistufigen Bewerbungsverfahren zu erzählen, gegen die die SZ wirklich nur ein müder Witz war. Für unsereins, die oft nie so richtig wissen, wie das mit dem Bewerben geht, wozu hat man denn Nachbarn in verantwortlicher Position, wozu will einen denn sonst die SZ kaufen, und die immer nur über diese tollen Bewerbungsmappen staunen, für unsereins ist so etwas durchaus neu.
Nein, war die Antwort, für kein Geld der Welt, wenn das herauskäme, wer sie ist, wenn die das lesen, das wäre ja schrecklich. Ich fragte eine Studentin einer Eliteuni, ob sie vielleicht Lust hatte, etwas über das Zustandekommen von Jahrgängen zu schreiben, deren Eltern zufällig alle reich sind – oh Gott nein, sagte sie, das ist undenkbar, wenn die das merken – und dabei war die Geschichte doch so hübsch. Es gibt grandiose Geschichten aus dem Innenleben einer Grossbank, wo Manager wie die unreinen Paarhufer gehalten und mitunter geschlachtet werden, nach einem Punkteverfahren – und ich darf sie hier nicht mal erwähnen. Es könnte ja jemand mitbekommen, wer da geplaudert hat. Die Abteilungen, die heute Human Ressources heissen, verfügen über einen Ruf, den in der Patristik Leute wie Ambrosius von Mailand und Johannes Chrysostomos haben: Knallharte ideologische Schinder, Rübeabspezialisten, Terroreinheiten des Firmenglaubens. Und das, obwohl die Leute in diesen Abteilungen oft keinen geraden Satz herausbringen – die Jesuiten haben ihre Inquisitoren fraglos besser ausgebildet. Aber, so wird mir berichtet, so sei das Geschäft heute eben. Die Jüngeren haben Angst. Sehr viel Angst. Schon das erste Praktikum muss möglichst gut sein, es könnte sich später rächen.
Es gibt eine Menge Gründe für den G., sich längere Hemden zu kaufen, korrekt sitzen zu lernen und den Bauch nicht zu zeigen, aber keinen Grund, sich über diese Angst lustig zu machen. Denn die Angst ist lebens- und karrierebegleitend. Es beginnt mit der Angst, erst gar nicht einen aussichtsreichen Beruf zu bekommen, setzt sich dann mit der Angst fort, in eine Sackgasse zu gelangen, und mündet mit Mitte 40 in die Sorge, ausgebootet und aussortiert zu werden, um dann keine Arbeit mehr zu finden – und das in einem System, das die Lebensarbeitszeit verlängern will. Das sind insgesamt keine lustigen Aussichten, und als ich bei einem Vorgespräch zum Thema dem genauen Gegenteil dieser Entwicklung, einem sehr gefragten Manager erzählte, was ich über das Hemd des G. schreiben wollte, war er entsetzt: Das könnte man auf gar keinen Fall tun, niemals, das sei ein Donteventhinkof, man muss doch wissen, wann man besser schweigt. Die Angst ist also immer da, im besten Falle schläft sie in einer Ecke, ist aber stets bereit, sich zu Wort zu melden. Und ein erfolgreicher Gründer und Investor in Startups sagt mir dann, wie sehr er die feigen, gelackten Kriecher hasst, die ihn jeden Tag anlügen und die Zahlen polieren. Im Top Quarter muss man in diesem Bereich sein, im obersten Viertel, und dafür tut man alles, aus Angst, und dafür fälscht man schon mal eine Bilanz, einen Zinssatz oder Bewertung. 25% Eigenkapitalrendite kommen nicht aus dem Nichts. Nur ganz oben kann man Versicherungen für solches Geschäftsgebaren abschliessen, darunter zahlt man mit der Existenz. Und deshalb haben sie Angst.
Und deshalb wollen manche aus dem Angstzirkel generell aussteigen, und lieber ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine Art privaten Neoliberalismus, der Menschen jenen Bailout gibt, wie ihn die Banken bekommen. Ohne dass man dafür irgendetwas tun müsste. Im besseren Fall: Kein Leistungsdruck unter dem gesetzlichen Mindestlohn mehr, kein Zwang zu Managerspielchen an Steilhängen, dafür immer eine Sicherheit, aussteigen zu können und dem Chef zu sagen, er sollte sich einen anderen Blöden suchen. So, wie ich – in gewissen Grenzen – auch erzogen wurde. Mit dem Gefühl, dass man sich zwar anstrengen soll, aber nicht alles nötig hat. Dass ein heiteres Rokokolächeln, eine lichte Seeligkeit einer Kirchendecke, das Glück eines fetten Trompetenengerls zum Leben dazu gehört. Dass man den Saal des Daseins ausmalen kann, ohne in jede Ecke den Teufel pinseln zu müssen. Aber ich entstamme eben der kurzen, glücklichen Phase des bayerisch-bürgerlichen Rokoko, und dorthin führt vermutlich kein Weg zurück. Für die Ärmeren ohnehin nicht, aber auch nicht für die Kinder meiner Altersgenossen, die schon im Kindergarten Englisch lernen.
Und so hat man eben auf der einen Seite die Radikalen des Anspruchsdenkens, die sich aus der Leistungsfalle zurückziehen, und auf der anderen Seite jene, die alles tun, was sie können, um dort voran zu kommen, wo es alle anderen auch versuchen. Im Sumpf dazwischen stehen die Brontosaurier des Wohllebens der Nach-68er wie ich, lachen über den Mangel an Sitzhaltung vom G., fressen dickes Gras aus dem Morast der alten Beziehungen, und halten zusammen, weil sie auch morgen noch gemütlich Rokokokirchen anschauen wollen, ohne von den Eliten der Leistung und Leistungsverweigerer geschlachtet, zerteilt und gefressen zu werden. Ich habe keine Angst um mich, ich überlebe das alles, aber auch ich habe eine nicht gerade kleine Angst: Dass wir, von den Extremen zerrieben, aussterben.
Und dann vor lauter humorlosen Untertanen niemand mehr, heiter wie das Rokoko, über den nackerten Bauch vom G. lacht.