In unserm Puff kriegt jeder, was er braucht.
Francois Villon
Eigentlich wollte der B. erst mal Leute totschiessen, aber heute rettet er als Unfallchirurg Leben, und das kam so: Als unsere Schulzeit zu Ende ging, standen wir alle vor der Frage, wie wir uns gegenüber dem Militär verhalten sollten. Es gab, grob gesagt, vier Möglichkeiten. Die Untauglichkeit war angenehm, blieb aber nur wenigen vorbehalten, darunter auch einem, dem das zu einer früher Karriere als Berufspartymacher in München verhalf – dem Autor dieser Zeilen nämlich. Dann gab es besonders unter den Söhnen liberaler Familien viele Verweigerer, was damals in Bayerns Schulen schon mal als Vaterlandsverrat gebrandmarkt wurde. Es gab die Militärfreunde, die sich auf Führerscheine, Schlammrobben und Schiessprügel freuten und nicht ahnten, wie öde das alles werden würde. Und es gab junge, ernste Männer wie den B., die alten, ernsten und konservativen Familien entsprangen und den Dienst mit der Waffe als Teil ihrer staatsbürgerlichen Pflichten schulterten. Der B., in der Schule sehr gescheit und mit einem famosen Abitur ausgezeichnet, hatte das Glück, den Pionieren zugeteilt zu werden, die in der Stadt lagen, und konnte sich Hoffnung machen, die damals im kalten Krieg noch lange, lange Zeit beim Barras gut herumzubringen. Zumindest für die ersten Tage unter dort ebenfalls eingewiesenen Jungen aus der Oberpfalz.
Eines Abends jedoch wurden sie vom ihnen zugewiesenen Unteroffizier in einen Bus verfrachtet, und fuhren in das neben der Militäranlage gelegene Industriegebiet. Dort wurde ihnen erklärt, wo welche Bordelle sind, welche Preise verlangt werden, worauf sie zu achten hätten und wie ihr Benehmen sein sollte. Die Oberpfälzer beklagten sich über die Preisgestaltung, fragten nach den besten Damen und brachten diesbezüglich jede Menge Erfahrung mit, die dem B. als Abkömmling einer guten Familie natürlich vollkommen fehlte. Seine Kameraden probierten das Angebot aus, er blieb allein zurück, und musste sich den Rest des Abends wenig erbauliche Dinge anhören, sei es über die Ereignisse im Bordell, sei es über die ihm fortan unterstellte Homosexualität.
Und so kam es dann, dass der B. sich schleunigst mit seinen konservativen Eltern unterhielt, die nicht wirklich begeistert von den Zuständen der Truppe waren. Anwälte und Ärzte wurden konsultiert, und der schauspielerisch ansonsten überhaupt nicht begabte B. legte, getrieben von der Angst vor Monaten mit diesen Oberpfälzern, eine reife Leistung hin: Für einen, der vor dem Abitur noch mit grösster Selbstverständlichkeit dem nächstbesten Russen in den Bauch geschossen hätte, bekam er einen erstklassigen Nervenzusammenbruch in Verbindung mit neu entdeckten, ultrapazifistischen Neigungen. Es folgte ein kleiner Klinikaufenthalt und einiges an gezogenen Strippen, die hier jeden Rahmen sprengen würden, und letztlich fand sich der B. als Zivi in einer Unfallklinik wieder, wo er sein Talent im Umgang mit anderen Oberpfälzern lernte, die hier am Wochenende in mehr oder weniger Teilen angeliefert wurden. Der B. war sehr gescheit und universell begabt, er hätte mit seinem Abitur alles machen können und wusste nicht wohin mit sich – in der Klinik fand er seine Berufung, und so setzt er heute noch Leute zusammen, die es auf dem Weg von Disco zum Bordell zu eilig hatten.
Und dass wir heute doch von einer alternativlosen Dame aus Ostdeutschland mit FDJ-Vergangenheit beherrscht werden, geschah ohne eine Schuss und ohne Russen. 1987 hätte man sich das schwerlich vorstellen können. Aber es war eine andere Zeit, in den bayerischen Städten hatten sich die alten Eliten noch behauptet, und die Regeln waren streng und unbedingt einzuhalten. Keine Verbot jedoch war so strikt wie jene drei, die man gar nicht erst verkündigte, weil eine Nichtbeachtung in dieser Gesellschaft undenkbar war: Keine Drogen (Bier ist in Bayern bei bis zu 10 Flaschen Grundnahrungsmittel und darüber hinaus auch nur menschlich). Keine Glücksspiele (Schafkopf spielt der Bayer als Traditionspflege, das zählt nicht, und die mondänen Spielbanken gehören dem Staat). Und keine Bordelle. Da gibt es nun wirklich keine Ausnahmen. Das war einfach nicht vorstellbar.
Mit einem aufgeflogenen Besuch in einem Freudenhaus hätte man sich aus der bürgerlichen Gesellschaft auf immer entfernt. Die Bordelle, einst in der Altstadt beheimatet, wechselten die Standorte, hinaus in Industriegebiete und Dörfer, aber selbst dort wäre das Risiko der Entdeckung gross gewesen. Wer hier aufwächst weiss, dass die Wände, besonders die Aussenwände, tausend Augen und Ohren haben. Jeder schaut nach dem anderen, und jeder schaut dem anderen nach. Und käme auch nur so ein Verdacht auf, wäre es mit der gesellschaftlichen Stellung vorbei gewesen. Ein Ehebruch aus Leidenschaft, auch das hätte vernichtende Folgen gehabt, wäre aber menschlich verständlich gewesen. Weil das erstens jedem passieren kann und man zweitens auch nicht will, dass jemand die alte, aber sehr ähnliche Geschichte von der Tant’Theres und Gustl von 1912 wieder aufwärmt, schliesslich verdankt man den Millionen der Theres vieles, und sie war trotz dieser Geschichte eine respektable Frau, solange keiner darüber redet. Aber Unzucht im Freudenhaus, kalt berechnet und mit klingender Münze bezahlt: Das ist nicht nur Sünde und Unzucht und Ehebruch, sondern auch Vergeudung von Vermögen. Da wird gegen alle Vorgaben auf einmal verstossen. Beim Militär mag das, siehe David Pretaeus oder die Oberpfälzer, anders herum sein, aber wir sind nicht umsonst Zivilisten. Bei uns gelten andere Regeln, nämlich die unseren, und das Standgericht gehört uns auch.
So zumindest war es noch 1987. Seitdem ist die Sexualisierung der Gesellschaft aber mindestens so vorangeschritten, wie die Kolonialisierung des Westens durch den Osten, und nun leben wir in Zeiten, da der organisierte Bordellbesuch offensichtlich zu den Soft Skills gewisser Teile des deutschen Managements gehört. Noch immer beklagt man sich wegen der Verschwendung, noch immer ist das nicht moralisch sauber, und noch immer kann das zu schlimmen Folgen in der Ehe führen, aber man muss auch sehen: Es ist längst Teil der Populärkultur, bekannt aus Buch, TV und Film, sei es modern und tätowiert oder mittelalterlich und wandernd. Allerdings kann man sich mit anderem Kauf von Frauen auch anderweitig soziale Probleme einhandeln; vor eine Weile etwa war bei mit die Grosstante einer Freundin zu Gast, die das Haus schon als kleines Kind besucht hatte, und nun, von den Erzählungen der Lieblingsgrossnnichte angetan, das Wiedererstehen in alter Pracht mit Stuck und Kronleuchtern betrachten wollte. Zwischen Parkett und Stuck seien auch Gemälde des Rokoko zu sehen, und die Grosstante kam, betrachtete, lobte steif und ging wieder. Im Auto stellte sie dann klar, dass ihr Herzblut keinesfalls bei so einem Wüstling mit all den Nackerten enden sollte: Die Gemälde mit viel Fleisch und wenig Anstand (Sie, liebe Leser, sehen auf den Bildern einen Ausschnitt des Angebots, und zwar den, der halbwegs jugendfrei ist) waren auch nach 250 Jahren nicht akzeptabel.
Seitdem machen in der Stadt wüste Gerüchte die Runde, egal wie viel ich von jüngst erworbenen, zugeknöpften Biedermeierdamen und jugendlichen Klosterschülerinnen erzähle. Ich hätte da so ein Kabinett der tausend Brüsten, was völlig übertrieben ist, aber die öffentliche Meinung ist an der schnöden Realität hinter meinen Mauern ebenso wenig interessiert, wie an der Banalität der käuflichen Sexualhandlung. Ich bin Nichtraucher, Drogenfeind, Antialkoholiker und kaufe nur auf dem Wochenmarkt, aber dieses eine Zimmer ist wirklich moralisch fragwürdig. Dabei bin ich keinesfalls Oberpfälzer, sondern nur Kulturhistoriker und sammle gern. Andere hängen TV-Geräte an die Wand und lassen Privat-TV darüber flimmern, das stört niemanden. Aber wehe, man steht zu seinen Leidenschaften. Dafür wird man verflucht und geschnitten.
Bordellbesucher hätten es da vielleicht sogar leichter, schliesslich verzeiht man dem einsichtigen Sünder. Würde ein Oberpfälzer sagen, er distanziere sich von den Schandtaten seiner Jugend, die nur mit den Zuständen bei der Bundeswehr zu erklären sind, mit den sozialen Druck und der Angst, als Schwuler gebrandmarkt zu werden, würde man ihm das nachsehen. Sagte er gar, er habe sich vollkommen gewandelt, und würde heute sein Geld lieber in Öl und Leinwände des Rokoko investieren, er wäre Kunstsammler geworden und es würde ihm schlecht werden bei dem Gedanken, was er damals alles verpulvert hat, statt sich ganz den Musen hinzugeben, die besseren Kreise würden aufhorchen. Stellte er am Ende fest, dass er das alles tue, um dem Haus seiner Vorfahren all die Pracht vergangener Epochen wiederzugeben, würde man ihm vielleicht sogar wieder eine mitgiftfreie zweifach Geschiedene mit Kindern von einem anderen überantworten, wenn das Haus gross genug ist.
Aber ich kaufe Frauen ausserhalb der Bordelle und hänge sie auf, ohne ein Gefühl der Scham, und sage auch noch, dass mir diese natürliche Ausstellung der weiblichen Reize das Geld wert ist. In solchen Räumen, sagt die öffentliche Meinung, möchte man keine Enkelkinder sehen. Die BRD ist verschwunden, der kalte Krieg ist vorbei, die Kasernen werden gerade durch Luxuslofts ersetzt und die Bordelle werben heute mit Leuchtpalmen und auf Taxis. Das sittliche Verderben aber ist an meinen Wänden. Das kommt davon, werden sie munkeln, dass der Autor nie beim Bund Zucht und Ordnung gelernt hat.