Das geht zu weit!
Also, natürlich nicht der Aufständische im Osten Kongos. Und auch nicht die Nürnberger Justiz, die Herrn Mollath in der Psychiatrie verrotten lässt, was eine Bank und schwarzgeldige Personen nicht wirklich störte. Auch der drohende Schuldenschnitt für Athen, Kundigen auch bekannt als „Erleichterung auf Steuerzahlerkosten, damit Athen wieder eifrig anderes Steuerzahlergeld an die Banken zahlen kann“, mag zwar über alte rote Linien gehen, aber noch nicht zu weit. Was wirklich zu weit geht, ist eine Praline, die ein Russe hier, im schönen Tegernseer Tal, in Auftrag gegeben hat. Sie gilt – zusammen mit einem wenig geschmacksicheren Brillantring der Sorte Ice Cube, also des Glitzerbrockens, den sonst nur noch die alten Frauen am Tegernsee tragen, und der postmortal so gut wie immer in Auktionen landet, weil das niemand ausser Russen und kongolesischen Warlordfreundinnen mehr tragen kann – als teuerste Praline der Welt. Ein Russe hat sie hier in Auftrag gegeben, um sie einer Frau zu schenken. Na ja. Der Russe halt. Der hat es vermutlich nötig, ereifert man sich hier.
So muss sich der Berliner im Mai 1945 gefühlt haben. Aber die Sache trifft natürlich das Selbstbewusstsein der Hiesigen, die damit gezeigt bekommen, wo im internationalen Kapitalismus der finanzielle Vorschlaghammer hängt. Denn mit einem Schlag klingt das kleine Pralinenpackerl mit der Bemerkung „Für Nikolaus, von (üblicher Name einer seeweit bekannten Manufaktur)“ ein klein wenig schal. Die ganze Welt weiss jetzt, was da alles möglich wäre, und das ist der Exklusivität des Geschenks nicht zuträglich: Mit der S-Klasse vom Berg ins Tal gefahren, ein Plastiktüchten füllen lassen, ein Schleiferl drum und ein Bapperl drauf, und dann mit der S-Klasse wieder hoch – das galt vielleicht einmal als vermögend, aber es ist weltenfern von Russen, die ihre Beauftragten mit dem Privatjet schicken. Für eine einzige Praline. Der Russe mag wohl nicht, dass seine Frau oder wer und was immer das ist Gewicht ansetz
Es ist nicht so, dass wir hier russenfeindlich sind. Ganz im Gegenteil, also wir brauchen diese neue Klinik da oben am Nordende des Sees sicher nicht, weder zur Verschönerung unserer Frauen, die gar nicht so toll aussehen sollen, so wie wir daneben ausschauen, bayerisch-rustikal halt, und wir brauchen sie auch nicht zur Lebertransplantation oder was die vermögenden Russen dort so mit sich anstellen lassen. Man hört, das Medizinzentrum sei eine kleine Welt für sich: Das ist schön, dann kann man dort bleiben und gesund werden und muss auch gar nicht an den See, der im Übrigen auch viel kleiner als das Schwarze Meer oder auch nur der idyllische Hafen von Murmansk, und Atom-U-Boote, die man an die drüben in Rottach sommerfrischenden Araber verkaufen könnte, gibt es hier auch nicht. So spricht der Volksmund der normalsterblichen Kleinmillionäre, was nicht eben nett ist.
Aber wer will schon beim Pralinenmacher zur Seite geschoben werden, nur weil der Gesandte des russischen Oligarchen mit Securitypersonal kommt, und als bevorzugter Kunde bevorzugt behandelt wird. Alles, was man möchte, ist anderen eine kleine Freude machen, sie ein klein wenig beschenken, als Hinweis, dass man an sie gedacht und für die Kleinigkeit nicht wenig bezahlt hat. Womit man überhaupt nichts anfangen könnte, wäre ein unter dem Esstisch heranrobbendes Modell in Glitzerkleidchen, das entzückt kieksen und dann das tun würde, was man denkt, dass es solche Modelle tun. Das passt vielleicht in das Umfeld der peinlichen Millionaire Fairs und zu Parvenüs, die sich die vom lupenreinen Demokraten geschenkte Zigarre mit Erdgasgeld anstecken, aber nun wirklich nicht in diese Region, in die man zieht, damit man genau das nicht erleben muss.
Wie der Oligarch im fernen Russland das hiesige Treiben aber sehen wird? Vielleicht erzählt er der Beglückten etwas von der Geographie, von den weissbezuckerten Tannenwäldern und der Manufaktur in einem Bauernhof am Fusse des Berges, wo ein einzelner Künstler zusammen mit einem Goldschmied diese Köstlichkeit geschaffen hat; die in dieser Region lebenden Leibeigenen und andere Schwerreiche erscheinen in diesem Capriccio wie die Zwerge aus Mittelerde, die lodenberockt ganz ohne Gucci durch den Schnee stapfen, in kleinen 300-Quadratmeter-Höhlen am Leeberg hausen und staunen, wenn sich einmal ein Karibikfisch oder ein ganz normaler Hummer, wie ihn hier nur die Hunde und Parteikader bekommen, in ihre Fischerei am See verirrt. Dort also, in diesem armen Tal voller armer Bayern, werden diese Pralinen geschaffen und nach Russland gebracht, während die Eingeborenen über dem Buchenholz barbarische Fleischstücke rösten, und nicht mal Anna Karenina auswendig können, geschweige denn Krieg und Frieden.
So gesehen erscheint Reagan heute wie ein Zauberlehrling, als er sich vor eine Wand stellte und verlangte, dass sein russischer Gegenspieler diese niederreissen möchte. Es geschah, niemand schickte Atomraketen aus Moskau, aber gedemütigt und materiell ausmanövriert wird man trotzdem. Eigentlich muss man sogar noch froh sein, dass es nur bei der Praline bleibt: Denn wer solche Süssigkeiten verschenken kann, könnte sich hier auch die ein oder andere Villa kaufen, und damit Alteingesessene vertreiben. Und noch eine Villa für die Frau und noch eine für ihre Mutter… der Russe, früher eine ferne Bedrohung hinter einem roten Knopf, wird angesichts seiner Potenz zur realen Gefahr hinter dem internationalen Immobilienmakler. Bislang ist man nur Pralinenhoflieferant des Oligarchen, aber wer weiss, vielleicht ist man bald auch Nachbar. Oder gar nur Exbewohner des Hauses, an dessen Stelle jetzt das Helipad des Russen ist.
Viel Unruhe herrscht also im langen, vor die Tür reichenden Stau der üblichen Konditoren, wo man geduldig auf sein Stück Torte wartet und derweilen das Angebot betrachten kann, mit dem man hierzulande noch Menschen erfreut. Nervöses Gekicher beim Witz der Unterlegenen. Diese andere Welt, die sich da hereindrängt, wird abgewiesen mit der Selbstverständlichkeit, dass man hier nur das kauft, was schon seit jeher erworben wurde, als das Haus noch Hoflieferant oder Stätte der Tröstung für Ludwig Erhardt war. Wenn der Russe etwas anderes will, dann soll er es auch bekommen, das ist zum Glück nicht unser Problem, solange es nicht hier ist. Hier wird bald Weihnachten sein, wie in Russland auch, und für die Grossnichte Christina, die so einen Ice Cube gar nicht zu schätzen weiss und sich auch sonst das letzte halbe Jahr aus Amerika nicht mit einem einzigen Ton gerührt hat, tut es auch so ein kleines Schachterl mit Nikolaus und Tanne.
Vielleicht wird alles gut, vielleicht findet die Beschenkte den Ring auch einfach nur vulgär, und die Folgewirkungen sind für den Oligarchen ähnlich angenehm, wie eine im Startkanister hochgegangene SS-20-Rakete. Man weiss das ja nicht, man kennt die auch nicht, das ist die Sache der Russen. Sollten sie aber tatsächlich einmarschieren, und dann ihre Bediensteten hierher in die Schlange schicken, wird man sicherlich genau und lang überlegen, ob man nun eine Punschtorte möchte, oder nicht doch einen Baumkuchen, das war’s dann schon oder nein diese Himbeertorte, und sagen Sie mal die Christina, also die ist so Halbveganerin, kann die jene bayerischen Trüffelpralinen überhaupt essen… alle Zeit der Welt der Russen wird man sich lassen. Man wird sich stur zu wehren wissen, und wenn es sein muss, auch mannhaft untergehen, mit einem letzten Vorurteil gegen die Globalisierung des Reichtums auf den Lippen, und in Puderzuckergewittern.
Doha soll übrigens auch ganz nett sein, hört man, also, nicht für Bayern natürlich, aber da hat man mehr Achtung vor den teuersten Pralinen der Welt.