Kruzifixe und keine Kopftücher
Markus Söder
In unserer schnellen Zeit vergisst man fast schon heute, was morgen erst sein wird, und es wird dem hier auf bayerische Mordtaten hoffenden Leser daher erstaunen, wenn ich Äonen weit in die Vorgeschichte zurück gehe, indem ich frage: Erinnern Sie sich an die dritte Startbahn des Flughafens München?
Richtig, das war dieses Jahr im Sommer, da sich die Münchner zusammentaten und gegen die Wühlarbeit vieler Medien, der Industrie und fast sämtlicher Einheitsstaatsparteien CSU und die ihr angeschlossene SPD sagten: Gehzweidadösbraachmaneed („Ziehet mit den Vorschlägen von hinnen, wir benötigen dergleichen nicht”). Und danach gab es in den Medien einen grossen Aufschrei, München verspiele seine Zukunft und seinen Wohlstand und die Geldströme würden es in Zukunft meiden. Das war vor der Razzia bei der Deutschen Bank und der Schliessung von Opel in Bochum und der Einstellung der FTD in Hamburg, und die gleichen Zeitungen titeln heute, dass die Immobilienpreise in diesem zurückbleibenden München schon wieder exorbitant gestiegen sind. Und sie titeln auch, dass der Seehofer nicht so, wie er es letzthin getan hat, mit seinen Leuten umgehen darf. Dabei hat der Seehofer es doch eigentlich nur den Münchnern nachgemacht und Leute wie den Söder zu seiner privaten dritten Startbahn erklärt. Und das Abschaffen von solchen dritten Startbahnen ist in Bayern nun mal populär.
Und ich sage hier auch all den medial Entsetzten über das Blutbad, das Seehofer da angerichtet hat: Es wird ihm in diesem schönen Lande ebenso wenig schaden, wie München das „Nein” zur dritten Startbahn geschadet hat. Denn dieses schöne Land funktioniert nun mal nach drei historisch bedingten und unabänderlich fortwirkenden Prinzipien, die stets und immerdar zu erfüllen sind:
1. Der Ober schlägt den Unter.
2. Das Blut läuft zusammen.
3. Ein Prosit der Gemütlichkeit.
(Die vierte Regel, die da lautete: Die Partei, die Partei, die hat immer Recht! wird momentan in Richtung „Der Horst, der Horst, der weiss schon was er macht” von den Hofpanegyrikern des Bayerischen Rundfunks umgedichtet, aber weil das etwas mit Sprache zu tun haben tut, wird es wohl noch ein wenigerlein brauchen)
Wie man sich im gemütlichen Bayern vorstellen kann, sind diese Regeln natürlich nur allgemeine Empfehlungen, die nicht immer mit der Schärfe jenes juristischen Schwertes umgesetzt werden, das im Moment den Ruf der Deutschen Bank in kleine Stücke zerteilt. Nicht immer muss der Ober den Unter schlagen, man kann sich auch kommod unterhalten, und wenn das mit der komischen Basel nicht gelingen will, dann läuft halt auch das Blut nicht immer so, wie es soll. Hauptsache ist, man lebt gemütlich. Solange es gemütlich ist, braucht es die anderen Regeln gar nicht.
Beim Seehofer, und das dürfte hier allen ausser den gefährdeten Mitgliedern der CSU klar sein, lag der Fall ganz anders. Sicher, wenn man sein Verhalten mit dem klassischen Politikstil vergleicht, wo man seinen Ärger hinunterschluckt, den Staatsanwalt in einem leeren Büro trifft, ein paar Emails beseitigt und für das grosse Ziel zusammenhält, wirkt Seehofer brutal und grobschlächtig, ja geradezu menschenvernichtend. Aber Seehofer ist nun mal kein „Crazy Horst”, sondern ein Bayer vor der schwersten Aufgabe seines Lebens, nämlich: Sein Testament zu machen. Er wird abtreten müssen, das weiss er, und wie jeder normale Bauer und Multimillionär will er das, was Generationen erschaffen und teilweise auch ruiniert haben, intakt weitergeben. Ein paar hundert Meter von Seehofers Geburtshaus entfernt etwa steht ein Hotel einer Familie, das früher einen guten Namen hatte, und dessen Erbe dem Ruf nicht gerecht wird: Da ist das Urteil endgültig. Seehofer weiss vermutlich, dass das Urteil, das über ihn und sein Verhalten gesprochen wird, nicht das der Medien ist, sondern das der bayerischen Grosstanten auf dem Wochenmarkt.
Und da ist es nun an der Zeit, sich den Söder anzuschauen, den keiner „den Markus” nennt, sondern immer nur „den Söder”. Das ist in Bayern gerade bei einem Junior ein schlechtes Zeichen, denn die Verwendung des Vornamens deutet per so schon darauf hin, dass man mit der Person per du ist, sie leiden kann und, wenn der Aufstieg erfolgt, den respektvollen Nachnamen dazu stellt. Die Karriere ginge also so: Der Söder Markus (kennt noch niemand) → der Markus (kennt man) → der Söder (da gibt es nur einen) → und letztlich da oid’Söder, wenn es einmal so weit ist und wenn Er, der keinen Namen, aber das letzte aller Wörter hat, einmal kommt. Der Söder war nie so richtig der der Markus mit dem Aspirantenstatus, er war immer nur der Söder, und wenn Seehofer nun öffentlich sagt, „der Markus” sei nun wieder unten, dann ist das viel schlimmer, als wie wenn er gesagt haben würde: „der Söder”. Diese bayerischen Feinheiten gilt es zu berücksichtigen, und so kommen sie auch draussen an. Der Markus. Mit den Schmutzeleien. Kein Glühwürmchen, halt der Markus. Ich war auf dem Wochenmarkt, da kauen die Grosstanten gerade dem von der Erbfolge ausgeschlossenen Markus seine Knochen ab. Mit sichtbarem Vergnügen. Weil der Ober den Unter geschlagen hat.
Nach meiner bescheidenen Meinung ist der Söder übrigens wirklich unten. So richtig. Das muss in Bayern so sein, denn wir haben hier generell die Primogenitur, der erste Nachkomme erbt alles, der zweite geht zum Militär und der dritte in die Kirche und danach wird es so richtig bitter. Man kann so ein Land und eine Partei nicht einfach aufteilen, das hat gerade Bayern historisch übelste Erbfolge- und Bruderkriege und schlimmes Chaos eingebracht, und seitdem vererbt man grössere Komplexe ungerecht, aber erfolgreich an einen einzigen – wie man das besser nicht macht, sah man beim Erbenduo Huber und Beckstein, wo man primitivste Bauernvorsicht ignorierte.
Das Blut kann nur zusammenlaufen, wenn die Verhältnisse geklärt sind. Deshalb ist das heute bei den Bauernhöfen so, das macht man selbst heute noch bei Schlössern so, und sollte es doch einmal anders sein, dann wird es immer einen Teil der Familie geben, der versucht, sich wieder des Ganzen zu bemächtigen. Es weiss natürlich keiner, ob der Söder nicht schon vor dem Abgang des Horst versucht hat, sich der ganzen Erbschaft zu bemächtigen – zutrauen würde man es ihm. Und so etwas kommt in einem traditionsverbundenen Land wie Bayern stets nicht wirklich gut an. Gerade Erbschleicherei bleibt Generationen kleben, und schon als Kind besserer Kreise bekommt man die vielen unglücklichen Anekdoten zu hören, wie es manchen Erbschleicher erwischte: Den einen traf bald der Schlag, der andere fiel von Berg, der dritte lebte 40 Jahre mit der Walburga und der Ignaz wurde auf der Jagd mit einem Hirsch verwechselt. Man will, dass das Blut zusammenläuft und sich nicht selbst vergiesst: Wer da abweicht, wer da vorschnell profitieren möchte, gehört halt nicht zum Blut dazu. Und wenn das geklärt ist, kann es auch wieder gemütlich werden, ausser für den blutauslaufenden Unter, natürlich. Aber so ist das Schafkopfspiel und das Leben.
Jetzt kann man natürlich noch fragen, ob man denn so eine Erbfolge so öffentlich austragen muss. Wäre es nicht besser, das still und dezent zu regeln? Weiss der Bayer als ein solcher nicht, dass es den Ruf schädigt? Einerseits ist es, das zeigen die Reaktionen, nicht wirklich elegant. Andererseits ist das so ursprünglich, wie es gemacht wurde, immer noch honoriger als ein stilles Wegmeucheln, indem Schmutzeleien irgendwelchen Journalisten zugespielt werden. Es ist halt eine sehr volkstümliche Art, das Erbe zu verteilen, und zwar so, wie das alle alten Leute gern tun: Erst mal an sich selbst, bloss nichts hergeben, alles notariell auch nach dem Tod festschreiben, und zu den anderen sagen:
Ia weadzas scho no dawoatn kenna – Ihr werdet es schon noch erwarten können.
Die nächste Aigner Ilse nach dem Söder kann das auf jeden Fall. So geht das im gemütlichen Bayern, auch ohne dritte Startbahn.