Weihrauch und Myrrhe sind am 24 schon vergeben, also muss Ersatzgenuss her – und was ein echter Patriot im Sinne des deutschen Wirtschaftswunders und des fetten Gänsebratens ist, greift natürlich zum deutschen Wein. Nachdem ich selbst nur über das vegetarische Menü im Bachmaier in Rottach werde berichten können (sagen Sie jetzt nichts, ich werde gezwungen) – obliegt es Christoph Raffelt, die Ehrenrettung deutscher Rebensäfte vorzustellen:
Die Krähen schrei’n / Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt.
Bald wird es schnei’n – / Weh dem, der keine Schäumer hat.
(frei nach Nietzsche)
Früher gab es bei uns jedes Jahr am Heiligen Abend eine süßliche Soße mit Sauerkraut und Mettwürsten. Die Soße hieß auf Schlesisch Pulsche Tunke, auf Hochdeutsch also Polnische Soße. Diese Tunke hat meine Großmutter im Vorfeld in größeren Mengen zubereitet und an ihre Kinder geschickt. Das Rezept hatte sie aus ihrer schlesischen Heimat. Soweit ich mich erinnere, ist es das einzige Rezept, das sich in meiner Familie von dort gehalten hat – das allerdings auch nur, solange meine Großmutter lebte. Mit ihr ist diese Tradition erloschen und mit dem Aussterben ihrer Generation sind in meiner Familie fast alle anderen Festtagsbräuche ebenfalls verschwunden.
Als Kind habe ich dieses feste Gefüge geliebt; denn ich wusste immer genau, an welchem Weihnachtstag ich bei welchen Großeltern feiern würde, und wer sonst noch da sein und welches Essen gereicht würde. Manchmal zieht mir an Weihnachten der Duft der Pulschen Tunke, dieses Süßlich-Schwere von Lebkuchen und Rosinen, wieder in die Nase – ein Proust’scher Moment aus lange vergangenen Tagen.
Wein wurde erst zum Festtagsbraten im Kreise der größeren Familie gereicht. Wenn ich mich recht erinnere – es war noch nicht die Zeit, in der ich mitgetrunken hätte -, waren es vor allem deutsche Weine, gerne Mosel, später Franken, und Rotwein trank man selten. In anderen Familien aber wurden meist französische Weine gereicht. Da durfte es dann auch schon einmal Champagner sein zum Aperitif, ansonsten gerne Bordeaux oder Burgund. Heute werde ich die familiäre alte Tradition der deutschen Weine zum Weihnachtsfest einmal so uminterpretieren, dass ich für Champagne und Bordeaux auf die Suche nach Alternativen gehe.
Bei Burgund ist das eher nicht schwierig. Abgesehen von der kleinen Handvoll burgundischer Spitzenerzeuger, deren Gewächse sich wohl kaum einer von uns leisten mag, gibt es auf allen Ebenen ausgezeichnete Alternativen, und das in fast allen deutschen Weinbaugebieten: Ahr, Rheingau, ja sogar Mosel, bestimmt Nahe und sicher Rheinhessen, noch bekannter sind die Spätburgunder der Pfalz, Frankens und Badens und man sollte auch Württemberg nicht außen vorlassen.
Weniger bekannt und mit Sicherheit auch seltener sind die hiesigen Alternativen zu Champagne und Bordeaux. Doch auch da lassen sich Weine finden, die erwähnt werden sollten – man muss sie nur suchen. In der Champagne gibt es das relativ neue Phänomen der Winzer-Champagner. Der Begriff mutet ein wenig seltsam an, ist jedoch der Tatsache geschuldet, dass die bekannten Markenchampagner ja nicht mehr aus der Hand eines Winzers stammen, sondern das Produkt eines Prozesses sind, an dem ein größere Anzahl von Personen beteiligt ist. Schließlich ist es der Chef de Cave, der Chiefwinemaker, der den Stil eines Champagnerhauses bestimmt und festlegt, aus welchen, teils hunderten Grundweinen, die Champagner dann zusammengesetzt werden. Immer mehr Winzer jedoch, die meist jahre- oder jahrzehntelang ihr Traubengut aus den wenigen Hektar, die sie besitzen, an große Häuser abgegeben haben, entschließen sich dazu, ihre eigenen Champagner zu produzieren und zu vermarkten. Die Champagner dieser Winzer haben einen anderen Stil – ich habe es vor einem Jahr mal an gleicher Stelle an Hand dreier Champagner-Witwen erläutert. Um es kurz zu machen, der Stil ist deutlicher vom Jahrgang geprägt und meist purer, kantiger. Es sind Champagner, die deutlicher das spezifische Terroir besonderer Lagen widerspiegeln und häufig auch die Rebsortentypizität klarer herausarbeiten. Nun gibt es in deutschen Landen Winzer, die genau in diesem Stil arbeiten und Sekte erzeugen, die in der Liga spielen, die in der Champagne gerade einen starken Aufschwung erlebt.
Die einsame Spitze bildet in Deutschland Volker Raumland aus Flörsheim-Dahlsheim in Rheinhessen. Er hat sich ganz auf die Schaumwein-Produktion verlegt, und gehört damit zu einer überschaubaren Minderheit. Es gibt in Deutschland nomalerweise entweder große Abfüller wie Mumm oder Rotkäppchen, oder Betriebe, die neben der Stillweinproduktion vielleicht auch den einen oder anderen Schaumwein produzieren. Die Raumlands, die regelmäßige Gäste in der Champagne sind, nehmen sich die kleinen Champagnerhäuser ganz bewusst als Vorbild und arbeiten ähnlich. Entsprechend liegt hier nicht der Fokus auf dem Riesling, für den diese Region Rheinhessens eigentlich berühmt ist, hier werden die klassischen und selteneren Sorten der Champagne ausgebaut, und zwar als Cuvée oder sortenrein, mit Reserveweinen oder als Jahrgangssekte. Die Grundweine bleiben dabei ebenso lange in den Tanks oder Fässern, wie es bei gutem Champagner üblich ist. Manch ein Jahrgang reift mittlerweile locker ein Jahrzehnt, bevor er in den Verkauf gelangt. Die Preise für die Spitzenprodukte orientieren sich dann auch schon an denen der Champagne, die Einstiegscuvée und die teilweise brillanten sortenreinen Sekte allerdings sind deutlich günstiger zu haben. Wer beispielsweise die Cuvée Marie-Louise oder die Cuvée Katharina probiert hat, wird bei jedem Discount-Champagner zum gleichen Preis die Nase rümpfen. Wer sich eine Flasche Chardonnay Prestige Brut 2007 gönnt, dürfte begeistert sein und sich in Zukunft den Griff zu Moet, Taittinger oder Veuve Clicquot mindestens zweimal überlegen. Das ist puristische Chardonnay-Frucht, mit dem Duft von frisch gebackenem Brioche, von Mandeln und Nüssen. Dazu ist der Sekt klar und präzise, harmonisch und lang. Für mich ist das ganz klar ein Lieblingswein aus dem Hause Raumland und einer der schönsten deutschen Sekte, die ich kenne.
Nicht ganz so radikal wie die Raumlands hat sich das Pfälzer Haus Winterling auf die Schaumweinproduktion verlegt. Auch wenn hier parallel eine ganze Reihe Stillweine produziert werden, findet sich jedoch ein reichhaltiges Angebot an prickelndem Stoff. Was mich kürzlich beeindruckt hat, ist das Geliebte Gretchen. Die kleine Produktion, deren Flaschen von Hand beschrieben werden, ist ein Unikum im deutschen Weinbau: stoffig, massiv, opulent und so charaktervoll, wie ich selten einen Schaumwein probieren durfte. Zum Fest empfehlen würde ich jedoch eindeutig den 2009er La Coulée d’Or. Schon der Name deutet Richtung Champagne und die Auswahl der Rebsorten bestätigt das. Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier bilden hier eine stimmige Cuvée.
Deutlich deutscher, was die Rebsorte angeht, stilistisch gesehen jedoch vielen Winzer-Champagnern ebenfalls sehr nah, sind die Riesling-Sekte der beiden Nachwuchs-Weingüter Immich-Batterieberg und Lubentiushof von der Mosel. Beide werden von Weinfreaks geführt, die ihr Handwerk verstehen und an Mittelmosel (Immich) und Terrassenmosel (Lubentiushof) seit einigen Jahren hervorragende Rieslinge produzieren. Andreas und Susanne Barth betreiben dabei den Lubentius in Niederfell mehr oder weniger im Nebenerwerb, denn hauptberuflich betreut Andreas Barth das renommierte Saar-Weingut van Othegraven, Gernot Kollmann dagegen hat lange Jahre das ebenfalls an der Saar beheimatete van Volxem-Weingut zurück in die erste Liga gebracht und nutzte dann die Chance, Immich-Batterieberg aus dem Dornröschenschlaf zu küssen. Beide Weingüter verfügen über teils wurzelechte Schieferlagen und geben ihren Weinen viel Zeit auf der Hefe. Die beiden Sekte unterscheiden sich stilistisch deutlich. Der 2007er Riesling Brut vom Lubentiushof ist der betont frische Vertreter, dabei allerdings vielschichtig und rund. Eine leichte Dosage harmoniert ausgezeichnet mit der knackigen Riesling-Säure. Der 2008er Jour Fixe vom Immich-Batterieberg hat keine Dosage, ihm wurde also keine Süße zugegeben. Gleichzeit wirkt der Schaumwein so, als habe er etwas weniger Druck. Dabei weist der Riesling-Sekt reife Noten vom mürbem Apfel auf, die darauf hinweisen, dass das Traubengut reif gelesen wurde, sodass neben Fruchtsüße und Extrakt die Dosage nicht mehr notwendig ist. Solch charaktervolle und ungewöhnliche Schaumweine trauen sich auch in der Champagne nur ganz Wenige zu machen.
Gibt es Alternativen zu Bordeaux? Sicherlich nicht zu den wenigen, teils vierstellig gehandelten Spitzengewächsen. Wer jedoch einen Vergleich zu guten Cru Bourgeois oder etwas einfacheren klassifizierten Gewächsen sucht, der kann auch fündig werden. Da meine Zeilen begrenzt sind, beschränke ich mich auf vier Weine.
Im Land des Spätburgunders, Trollingers und Schwarzrieslings, führt der Cabernet Franc ein Schattendasein. Der Cabernet Franc war und ist immer der kleinere Bruder des so bekannten Cabernet Sauvignon gewesen. Trotzdem gibt es an der Loire und im Bordelais, genauer gesagt auf der rechten Seite der Gironde, einige wunderschöne Exemplare, die deutlich vom Cabernet Franc dominiert werden. Die bekanntesten davon sind Château Cheval Blanc und Ausone. Will man die Unterschiede der beiden Cabernets charakterisieren, von denen der Franc die ältere Sorte ist – denn der Cabernet Sauvignon ist eine Kreuzung aus Cabernet Franc und Sauvignon Blanc – fällt auf, dass der Cabernet Franc weniger Tannin besitzt und etwas mehr vordergründige Frucht und Würze aufweist. Reinsortiger Cabernet Sauvignon dagegen braucht eine längere Zeit, bis die massiven Gerbstoffe im Laufe der Jahre runder und zugänglicher werden. Reinsortige Cabernet Francs sind eine Seltenheit, auch wenn man an der Loire erfahren kann, welches Potential in dieser Sorte steckt. Entsprechend gespannt war ich auf die beiden Vertreter aus Rheinhessen und Württemberg.
Hans Hengerers Cabernet Franc Fréderic kenne ich nun schon etwas länger. Er ist der deutlich schlankere Vertreter der beiden Weine, um die es hier geht. Frucht und Würze stehen stärker im Vordergrund als das Tannin, der Ausbau im Holz ist ganz dezent vonstattengegangen. Der Wein, der von noch jungen Rebstöcken stammt, ist harmonisch, ja geradezu fein mit einer präsenten Säure, die ihn sehr frisch macht. Zum Fest würde ich ihn eher zu hellem Fleisch servieren oder zu kurzgebratenem Fisch. Der rheinhessische Vertreter vom Weingut Peth-Wetz dagegen strotzt nur so vor Kraft, Frucht und Würze. Erinnert der Wein aus Württemberg eher an einen schlanken Loire-Wein, ist dies hier die tatsächliche Alternative zu St. Émilion und Pomerol. Der Holzeinsatz ist deutlich in Form von Mocca-Röstnoten spürbar und will man diesen 2009er jetzt genießen, sollte man ihn ein paar Stunden vorher dekantieren. Dann macht dieses Unikum aus deutschen Landen Freude. Christian Peth, der bei seinen Weinen auch auf Konzentration und Opulenz setzt, gehört zur neuen Generation rheinhessischer Winzer, deren Namen man in Zukunft sicherlich noch häufiger hören wird.
Etablierter, wenn auch ebenfalls noch zur jungen Generation gehörend, ist Daniel Wagner vom Weingut Wagner-Stempel. Daniel Wagner hat diesen Teil Rheinhessens, der auch Rheinhessische Schweiz genannt wird, mit seinen Großen Gewächsen aus dem Siefersheimer Heerkretz und dem Höllberg praktisch im Alleingang berühmt gemacht. Davon profitiert heute auch Christian Peth; denn auch er besitzt dort mittlerweile einige Hektar. Auch wenn Wagner ein – und ich übertreibe nicht – begnadetes Händchen für weiße Sorten hat, so beeindrucken doch auch die Rotweine, allen voran der noch junge 2008er Merlot. Wieder kann man einen Vergleich ziehen zum rechten Ufer der Gironde, wo reinsortige Merlots keine Seltenheit sind. Wagner zeigt, dass diese Sorte auch hier ihre Berechtigung hat: in der Nase feine Würze und ein Duft von Zedernholz, am Gaumen dann ein voller Körper, kräftiges, aber weiches Tannin und eine schöne Länge – keine Spur von Unreife oder grünen Noten. So macht Merlot, der einem viel zu häufig als dünnes Fruchtwässerchen präsentiert wird, wieder Spaß. Auch hier gilt: Der Wein ist jung und sollte ordentlich Luft ziehen, bevor man ihn zum Entrecôte serviert. Allerdings passen hier auch Wild oder Lamm ganz ausgezeichnet.
Zum Schluss geht es an den Aloisiushof in St. Martin in der Pfalz. Wie schon im November-Artikel deutlich wurde, gibt es in der Pfalz eine ganze Menge Tüftler, und der junge Phillip Kiefer gehört definitiv dazu. Was er vor allem kann: Er hat ein Händchen für den Einsatz der richtigen Fässer. Und diesem Fall hat er für den 2009er Ambrosia Cabernet Sauvignon Reserve eines des vielleicht besten Küfers Frankreichs, François Frères, genommen. Das wirkt sich aus. Der Wein, der gerade erst nach 24 Monaten Fassreife in den Markt gekommen ist, erinnert in seiner Dichte, Eleganz und Frucht an feinen Pauillac. Auch wenn der Wein noch sehr jung ist, hat er mich beeindruckt. So viel Perfektion in einem deutschen Cabernet hatte ich einfach nicht erwartet. Wenn diese Weine die Zukunft französischer Rebsorten im deutschen Weinbau sind, dann bitte gerne, sehr gerne. Denn auch wenn die Weine für sich genommen nicht ganz günstig zu haben sind, kosten sie natürlich nur einen Bruchteil dessen, was für guten Bordeaux mittlerweile zu berappen ist. Ein Festessen, wie wir es an den kommenden Tagen ausrichten werden, bereichern diese Weine dabei ungemein.
Was ich zur Pulschen Tunke denn reichen würde, mag sich manch einer schließlich noch fragen. Nun, bei mir gäbe es Trappisten-Bier aus Belgien. Ein Tripel in die Soße und ein Dubbel auf den Tisch. Ich wünsche genussvolle Weihnachten.