Besser eine doppelte Moral als gar keine.
Geheimes Motto der Bayerischen Staatspartei
Der Fortschritt gilt gemeinhin als ein zweischneidiges Schwert, und nirgendwo trifft das mehr zu als beim gehobenen Bürgertum: Man kann sich bestens auf beiden Seiten damit sehr weh tun. Sei es nun, dass einem die Unfähigkeit zum Wandel vorgeworfen wird, weil man sich an das alte Herkommen klammert, oder sei es der Verrat alter Prinzipien, weil man unter dem Modernisierungsdruck vieles aufgegeben hat, was die Identität und Selbstdefinition ausgemacht hat. So oder so liegt hier stets der Verdacht der Bewusstseinsstörung und der Doppelmoral nahe, es beschleicht den Chronisten das ungute Gefühl des Verderbens einer ganzen Klasse durch Verlust der ethischen Substanz, und eine vorzeigbare Vereinigung von Tradition und Zukunft erscheint unmöglich. Wir lassen uns nicht mehr vom Tod scheiden, die Familie ist ein Dramma Giocoso mit wechselnder Besetzung, beim Todesfall werfen wir das meiste weg und behalten kaum mehr als Geld, Immobilien und Andenken, wir gehen modernsten Berufen nach und blättern verheult in Zeitschriften, in denen jene Plätzchen gebacken werden, für die wir weder Zeit noch Raum in unserem Kalorienplan haben, wir stehlen uns am 24. noch schnell in die Christmette, obwohl wir zum ersten Januar wegen der Steuer aus der Kirche ausgetreten sind. Und nur selten, ganz selten, sind wir in der Lage, Anspruch, Wirklichkeit und Tradition unter einen Hut zu bringen, und zwar so, dass eine neue Dauerhaftigkeit entstehen kann.
Zu Weihnachten gelang das zum letzten Mal im Jahre 1953, und es ist nicht ohne Ironie, dass dieses Kunststück nicht wirklich von Angehörigen der besten christkatholischen Kreisen geschaffen wurde. Die Autorin Joan Javits entstammt der jüdischstämmigen Oberschicht der amerikanischen Ostküste, und die Sängerin Eartha Kitt hatte eine durchaus schwere Jugend, bevor sie zum Star und zur Geliebten diverser Magnaten wurde. Um so erstaunlicher ist es, dass beide zusammen ein Weihnachtslied populär machten, das man bis heute vielleicht nicht in der Kirche singt, aber doch der Basso Continuo sämtlicher Festlichkeit ist:
Santa Baby, just slip a sable under the tree, For me.
been an awful good girl, Santa baby,
so hurry down the chimney tonight.
Santa baby, a 54 convertible too,
Light blue.
I’ll wait up for you dear,
Santa baby, so hurry down the chimney tonight.
So singt Eartha Kitt, und mit dem Wunsch nach Zobel – ein natürlicher, nachwachsender Rohstoff, garantiert biologisch-dynamisch, wie mir die ebenso wieder nachgewachsenen Freundinnen von Pelz versichern – ist man natürlich ganz auf der Höhe der Zeit. Nicht weniger dem Wunsch nach Naturnähe entsprechend ist auch das Verlangen nach einem offenen Sportwagen; er steht exemplarisch für die Anpassung an die Gegebenheiten des Klimawandels und erlaubt es an Tagen wie heute – 15 Grad am Tegernsee – auch ohne energiefressende Klimaanlage von München zum Weihnachten auf dem Biobauernhof zu fahren.
Danach wendet sich Eartha der Frage des richtigen Benehmens zu. Es ist angesichts der Scheidungsrate nicht ganz zu bestreiten, dass wir ein gewisses Problem mit der ehelichen Treue haben; und zudem eines, dessen Lösung so gut wie ausgeschlossen scheint. Insofern ist es nur folgerichtig, nicht die Fehltritte, Assistenzärztinnen und Tennislehrer der Tochter herauszustellen, sondern zu betonen, was man trotz der, vom Wertewandel erzwungenen, gesteigerten sexuellen Attraktivität alles hat bleiben lassen. Man weiss um die Pflichten der Moral und orientiert sich an ihnen, wenn man sich an ihnen orientiert:
Think of all the fun I’ve missed,
Think of all the fellas that I haven’t kissed,
Next year I could be just as good,
If you’ll check off my Christmas list,
Santa baby, I wanna yacht,
And really that’s not a lot,
Been an angel all year,
Santa baby, so hurry down the chimney tonight.
Auch hier haben wir mit Lichtgeschwindigkeit den Sprung in die Moderne geschafft: Natürlich sind auch bei uns die Wunschlisten bei Amazon einsehbar, natürlich bestehen wir auf prompte Lieferung, und der Dienstleistungscharakter der Santa-Tätigkeit wird von uns wohlmeinend zur Kenntnis genommen, wenn DHL und Hermes auch am Sonntag noch die Waren ausliefern. Eine Yacht, noch so ein Ausdruck des naturnahen Lebens im kommenden klimakatastrophalen Sommer – und vielleicht auch ganz hilfreich gerade für Bewohner küstenüberfluteter Regionen – ist auch heute, fast 60 Jahre nach diesem Lied, fraglos ein Wunsch, den man öffentlich vorbringen kann.
Sicher, wir haben 2013 immer noch eine Finanzkrise, da mag so ein Wunsch etwas verschwenderisch sein, aber als moralisch gefestigte Vertreterin echter Werte wusste Eartha Kitt schon früh, dass so ein teures Hobby natürlich auch eine saubere Finanzierung nötig hat. Im weiteren Teil beschäftigt sie sich mit all jenen defensiven Werten, die, das darf ich nach dem Abendessen im Bachmair am See hier sagen, auch sonst allgemein das Thema waren:
Santa honey, one little thing I really need,
The deed
To a platinum mine,
Santa baby, so hurry down the chimney tonight.
Santa cutie, and fill my stocking with a duplex,
And checks.
Sign your ‘X’ on the line,
Santa cutie, and hurry down the chimney tonight.
Gerade der Wunsch nach einem Duplex-Appartment zeigt: Hier ist keine reine Verschwenderin am Werk, die überzogene Ansprüche hat, sondern eine auf Sicherheit bedachte Anlegerin, die angesichts der wachsenden Geldmenge, siehe Blankoschecks, genau weiss, dass man sich auf schnödes Geld allein nicht verlassen darf. Und dass bei Quadratmetern das Denken in kleinen Dimensionen letztlich auch nur kleine Gewinne in der Immobilienspekulation nach sich ziehen wird.
Wie schon erwähnt, ist die Autorin dieser Zeilen nicht christlich-abendländischer Tradition entsprungem, sondern mehr so der jüdisch-abendländischen Tradition, die man heute ja auch dringend haben sollte, und die zu betonen kein Politiker der Staatspartei müde wird, wenn er vor städtischen Publikum spricht. Insofern ist der freundlich-direkte Umgang mit Santa-Baby, an den man glaubt und der auch an einen glauben soll, nicht nur eine Transformation modernen Commitment-Vorstellungen, sondern auch die Einführung der jüdischen Vorstellung eines Paktes, bei dessen Nichterfüllung es dem Gläubigen durchaus erlaubt ist, mit dem höheren Wesen zu rechten. Pacta sunt servanda, das ist eine Grundlage des besseren Kreise, Vertrauen gegen Vertrauen, und die Frau, die sich nicht freut, wenn die Ketten am Christbaum echt sind und das ihren Freundinnen erzählen kann – die wurde zumindest in unseren Kreisen noch nicht geboren. Überhaupt eine nette Idee gegen den Verpackungswahn! Ein ausgeprägtes Empfinden für wertstabile Marken zeigt das richtige Standesbewusstsein:
Come and trim my Christmas tree,
With some decorations bought at Tiffany’s,
I really do believe in you,
Let’s see if you believe in me,
Santa baby, forgot to mention one little thing,
A ring.
I don’t mean on the phone,
Santa baby, so hurry down the chimney tonight,
Hurry down the chimney tonight,
Hurry, tonight.
Der abschliessende Wunsch nach einem Ring – und nicht nach einem schäbigen Anruf auf dem Mobiltelephon – zeigt dann auch, wie wichtig eine dauerhafte, soziale Bindung ist. Vermutlich werden manche das Lied missverstehen und denken, hier singe eine habgierige und moralisch fragwürdige Frau für Luxus, Verschwendung und Ausplünderung, aber je öfters ich das höre, während mein Telefon klingelt, und mir die A. die neusten Details aus ihrem Scheidungsweltenbrand erzählen will, und je mehr ich darüber jene Dame im Bachmair vergesse, die ein goldenes Leopardenmuster auf ihrem schwarzen Kleid trug, und darüber ein gelbes Tuch mit Tigern – desto öfters drücke ich verträumt auf den Knopf und höre mir das an und finde es eigentlich ganz…
romantisch, für so eine stille und heilige Nacht an Orten, wo man wohnt, weil sich dort andere die Urlaub nicht mehr leisten können. Wir können mit Eartha Kitt kuschelig feiern und dennoch die Herausforderungen der Moderne bestehen, und wenn schon nicht mehr die Gesellschaft als Ganzes, so doch uns selbst stützen und stehen bleiben, wenn auch tausende neben uns fallen.
Ihnen allen schöne Feiertage!