Schwoaze Libbn greane Hoaar, do konnst jo Ongst kriagn wiakli woah.
STS, I wui wida hoam
Wie jede schlimme Geschichte von Diskriminierung und Ausgrenzung beginnt auch diese hier vollkommen harmlos, an den Gestaden des Tegernsees, mit die Knirschen schmaler Reifen auf dem feinen Kies des Uferwegs. Es ist Sommer, es wird heiß, und weil tout München im Anmarsch ist, besetze ich schon früh am Morgen eine kleine, schattige Bucht mit ein paar Handtüchern, und hege sie mit meinem Rad ein. Dann kommt die I. und berichtet, dass sich die S. ein wenig verspäten wird. So lange gehen wir schwimmen, und als wir zurück kommen, schreitet die S. den Uferweg entlang. Die Luft ist heiß, aber das Wasser des Gebirgssees ist kühl, und so lassen wir die S. allein ein wenig schwimmen gehen. Da geht sie also behutsam ins Wasser, mein Blick ruht wohlgesonnen auf ihr und da sehe ich etwas auf ihrem Rücken. Und leichtsinnig, wie man eben so ist, wenn die Sonne scheint und die I. im Korb nach ihrer Sonnenbrille sucht, frage ich sie: Sag mal, ist das da auf der S. ein Tattoo?
Woraufhin die I. mir unmissverständlich bedeutet, dass eine vertiefende Debatte in Anwesenheit der S. nicht nur indiskret, sondern auch höchst unschicklich sei. Ja, das sei so etwas und nachdem die S. sowieso die Haare kurz trägt, wäre das Abschneiden nach dem letzten Liebesdebakel nicht in Frage gekommen und deshalb hat ihre generelle Unzufriedenheit mit dem Dasein ein anderes Ventil gesucht und gefunden. Die Eltern der S. fanden es auch ganz schrecklich. Zumal sie ja keine 13 mehr ist. Und so wirklich überzeugt davon ist sie auch nicht mehr. Und dass meine Haltung zu Tattoo mit dem Wort Geschmier gut ausgedrückt ist, und ich Menschen mit Piercinglöchern als Emmentaler bezeichne, weiss auch jeder, obwohl ich durch meine anderthalb Jahre in Berlin abgehärtet sein sollte, weil da alle so rumlaufen. Und deshalb, wenn ich weiterhin einen schönen Sommertag verleben will: Mund halten. Und nachdenken, ob meine generell ablehnende Haltung wirklich angebracht ist, wenn ich an der S. sehe, dass so etwas auch in den besten Familien passieren kann.
Ja, kann es. Draussen plätscherte die S. auf dem Wasser und am Ufer versuchte sich der Tropfen der Toleranz am Höhlen des heissen Steines meines Vorurteils, und so hielt ich also den Mund, und schob alles auf das Scheusal von Exfreund der S,. der in der langen Reihe anderer moralisch fragwürdiger Exfreunde von besonders niederträchtiger Gestalt, inwendig nahezu so scheusslich wie diese verkommenen Zausel mit Vollbart, die sich Hipster nennen, gewesen ist. Wir sprachen über ganz andere Dinge, ich sah die S. nicht von hinten und bin generell der Meinung, dass bessere Töchter auch nicht an den Uferbäumen des Tegernsees wachsen, weshalb man mit dem ohnehin bedrohten Bestand freundlich, nachsichtig und tolerant sein sollte, wenn es sich lohnt.
Das war meine Haltung im Sommer, am Strand, am Tegernsee, aber jetzt ist es Winter, es ist kalt, die S. hat schon wieder einen neuen Freund, und durch einen komischen Zufall bin ich gerade dabei, mich um zwei kleine Wohnungen in Münchens besten Innenstadtlagen zu kümmern. Dort, wo jeder gerne sein möchte, einmal bei den Museen in der Maxvorstadt und einmal zwischen Staatsoper und Gärtnerplatztheater. So sagt man es als junger Mensch seit jeher kulturbeflissen den Eltern, die nicht wissen, was die Feierbanane ist, und in welchen Cafes man das Studium in Schwabing bis zum Abbruch vorbeiziehen lassen kann. Überall zieht es die jungen Menschen in diese Lagen, und über die Entfernung von 500 Kilometer bemühen sich auch in Berlin drei junge Menschen, dortselbst kleine, teure Wohnungen in bester Lage zu erhalten. Was sich nicht ganz einfach darstellt; man kann nämlich ihren öffentlichen Profilen entnehmen, dass sie mehr Geld für Gekrakel und Emmentalerreifung denn für den Barbier ausgeben. Jüngst klagte eine, sie werde das nächste Mal ein Opfer bringen und das „Metall aus dem Gesicht nehmen”, um wenigstens mal zur Besichtigung eingeladen zu werden.
Das ist nett gemeint und, wenn ich das so als Vermieter sagen darf, vollkommen sinnlos. Ja, natürlich sagt das Grundgesetz, dass niemand wegen seines Aussehens diskriminiert werden darf, aber das Grundgesetz hat leicht reden, weil es, wenn erst mal davor alle gleich waren, keinerlei Wohnraum mehr vermieten muss. In den guten Wohnlagen in Deutschland werden 4 von 5 Immobilien über Makler vermittelt, und angesichts des Wohnungsmangels sucht sich der die besten Kandidaten heraus: Dass er dem Eigentümer dann ausgerechnet körpermodifizerte Ausnahmeerscheinungen vorstellt, kann man getrost ausschliessen. Selbst wenn die Eigentümer tolerant wären, würde kein Makler das einfach so voraussetzen. Diese Äusserlichkeiten sind immer auch ein Ausdruck der Ablehnung einer anderen Lebensauffassung, sie sind nun mal mehr RTLII denn das Publikum, das sich den Fernseher nur für Arte hält und nur beim Drüberklicken einen Eindruck von Leben, Kommunikation und Inneneinrichtung der Menschen mit absichtlicher Veränderung erhält. So eine Wohnung ist mindestens eine Viertel Million wert, und keine Bühne für die Neuaufführung von Unterschichtenproblemen. Vermietung ist eine Sache des Vertrauens.
Und das ensteht nun mal leichter, wenn die Chemie stimmt. Nach meiner Erfahrung heiratet und lebt man nicht nur innerhalb der Klasse, man vermietet auch entsprechend, wenn es möglich ist. Man kennt das von früher: „Arzt sucht für seine Tochter”, „Notar sucht für seinen Sohn”, stand in den Qualitätsblättern, wenn schon das eigene Netzwerk nicht eine Möglichkeit liefern wollte. Aber dieses Klassengeschäft wiederum verlangt mehr als die Miete: Es fordert auch die Unterordnung unter seine Normen. Wer da herausfällt und die Normen so offensichtlich nicht erfüllen will, muss eben in den Randlagen nehmen, was noch übrig ist. Oder, auch das ist denkbar, den höchsten Preis zahlen. Spöttisch darf ich hier anmerken, dass es somit ausgerechnet die besonders Unkonventionellen sind, die zum Erhalt des Systems der Konventionellen überproportional beitragen, sei es nun durch höhere Kosten oder die Selbstverbringung in Viertel, die nicht so hübsch sind. Dort sitzen sie dann und beklagen sich vermutlich über die Sterilität und Gentrifizierung ehemals lebendiger Innenstädte, während ein Tränchen den Eisenring im Mund rostig werden lässt und
Pardon, das ware jetzt beinahe nicht nett geworden. Auch nicht nett ist es, bei der Vorstellung genau zu schauen, ob sich nicht verräterische Reste irgendwo zeigen. Und absolut nicht nett wäre es, eine Studie zu machen und zu ergründen, welche Benachteiligungen denn so einer Person wegen ein paar Äusserlichkeiten entstehen, wenn sie die Folgen der Vermutungen und Ahnungen der Besitzenden hinnehmen müssen: Wenn diese Person noch nicht mal mit ihrem Gesicht zufrieden ist und es mit Eisen vernietet, vielleicht wird sie morgen auch Löcher im Putz der Wohnung haben wollen? Wird sie die Nachbarn wie eben jenes Monster anfahren, das auf ihren Schultern zu sehen ist, oder mit dem Dolch bedrohen, den man auf dem Arm erkennt? Und der Bärtige da, kann er denn aufräumen, wenn er sich nicht rasieren kann? An der Stelle könnte man übrigens Bilder bärtiger Menschen bei Twitter verlinken, die schlimmste Befürchtungen gradraus bestätigen. Aber das wäre nicht nett. Und so sitzen sie dann eben mit einer Bierflasche herum und warten verärgert über die Ungerechtigkeit der Welt auf die S-Bahn, die sie in ihre Randlagen verbringt.
(Mal wieder typisch für mich: Der einzige soziale Wohnungsbau, dessen ich auf die Schnelle in meiner Bilderdatenbank finden kann, steht in Monte Carlo)
Amüsanterweise entsteht dadurch dann eine Übereinstimmung im Gegensatz: Die Frustrierten in Berlin tauschen sich natürlich auch öffentlich über jene aus, deren Kunden sie nicht werden, und halten sie für intolerant, verknöchert, reaktionär, auf Äusserlichkeiten fixiert und natürlich auch Ausbeuter. Es sind die Momente, da sie, um die billige Wohnung im Zentrum gebracht, auf Ideen wie 100% Erbschaftssteuer ohne Ausnahme zu kommen, ohne zu bedenken, dass weder aus der Enteignung in der DDR noch der Spitzensteuersätze in der BRD jemals all die grosszügigen, billigen Wohnungen für Nichtsverdiener in bester Nähe zu Cafes und Discos entstanden, sondern eher genau das, was sie nicht möchten: Blocks in Gropiusstadt und Marzahn. Ein unauflösbares Dilemma, mag es scheinen, aber wenigstens kann man abschliessend festhalten: Vermutlich haben sie bei der Sicht auf Vermieter, die ein Leben ohne Arbeit am Ufer des Tegernsees verbringen, nicht ganz unrecht. Jenseits von Dreitagebart, Ohrlöchern für den Biedermeierschmuck der Urururgrossmutter und Drachen, die bitte auf Kimonos bleiben, ist es nicht ganz einfach mit uns. Ob wir mit unseren Vorurteilen auch recht haben? Wir werden es nie erfahren. So gerecht ist das eben in dieser Welt, niemand geht ohne Gewinn: Die einen haben die Bestätigung ihrer Vorurteile. Und die anderen nur finstere Ahnungen und ordentliche Mieter.