Möge diese edle Tat zu Ihrer Beruhigung, zu Ihrem Glücke beitragen.
Minna Wagner an Mathilde Wesendonck
Ich schreibe nun seit vier Jahren dieses Blog, und wir haben hier allenfalls am Rande über so spannende Fragen wie etwa die Bedeutung der Jesuiten in der Epoche der Aufklärung, besonders in Deutschland, gesprochen. Und ihre Spitzfindigkeiten im Diskurs. Die erinnert mich übrigens an die Debatte rund um die Datierungsproblematik des Übergangs zwischen LaTene C und D – hier kommt vor allem die einsetzende schriftliche Überlieferung der römischen Autoren auf fragwürdige Weise zum Tragen – und auch das fand bislang keinen Widerhall im Blog. Und gerade die nur begrenzt zuverlässige Quellenlage zu den Kelten, die den ein oder anderen Römer Falsches vermuten liess – welche Auswirkung hatte das wiederum auf das Nationenbild der Deutschen in Lichte des Streits zwischen Virchow und Kossina? Das müssen Sie doch auch so sehen.
Ja, das sind alles so Fragen. Fragen, die man stellen könnte, und generell hat man es natürlich leicht, wenn man ein paar Jahre die fraglichen Fächer studieren konnte. Und ich würde auch meinen, dass all diese Fragen durchaus ihre Berechtigung haben können. Lässt man dergleichen zu lange aus, lässt man nicht hin und wieder ein wenig sein immenses Wissen durchblitzen, könnte man vielleicht als ungebildet zu wirken. Also, dann sollten wir uns jetzt vielleicht mal… ich gehe nur mal schnell zum Bücherschrank, wo die Bücher aus meiner – im Übrigen sehr niedrigen – Unilaufbahn stehen und… ah! Das wäre doch ein schönes Thema: Der Übergang zwischen Mesolithikum und Neolithikum angesichts der Stratigraphie des Speckbergs. Nicht was Sie schon wieder denken, das hat nichts mir Südtirol zu tun, also, der Speckberg ist eine eminent wichtige, prähistorische Fundstelle des Silexabbaus, deren Varietäten früheste merkantile Verbindungen entlang der Donau vermuten lassen, und wenn sie die nicht kennen, dann kennen Sie vermutlich auch nicht die weiterführende Analyse von Rankes Meinung über das römische Papsttum? Nein? Wie wollen Sie dann mit mir eigentlich über Eusebius und die Tücken seiner Kirchengeschichte reden?
Nun, hoffentlich mit einem „Schleich Dich, Du aufgeblasenes Nichts von einem Angeber.” Das ist nämlich genau das, was ich mir auch immer sage, wenn ich auf diese Spezies treffe. Bei uns ist die gar nicht mal so selten, man trifft sie in Konzertpausen und bei Ausstellungen und Vorträgen, und ihre grosse Kunst ist es, mit möglichst abseitigem Wissen und glänzen. Der Klassiker: „Wie Wagner in den Wesendonckbriefen ausgeführt hat”. Gleichzeitig der inquisitorische Blick in die Runde: Sie haben doch sicher alle die Wesendonckbriefe auch parat, nicht wahr? Und halten Wagner trotzdem nicht für einen geldgeilen Schnorrer mit Unterleibsproblem?
Es ist mir persönlich vollkommen unbegreiflich, warum man so ein Verhalten im Bereiche der Kultur toleriert, während man im Bereich der Sachkultur schnell mit Verurteilungen bei der Hand ist. Auch dort gibt es höchste abseitige Dinge, ja, wir leben nachgerade in einer Kultur, die aufgrund ihrer materiellen Leistungsfähigkeit die scheinbar führenden Schichten dazu verdammt, sich mit solchen überzogenen Entwicklungen auszukennen und zu umgeben, um überhaupt noch so etwas wie einen Distinktionsgewinn zu haben. Auch nicht geschrieben habe ich hier über einen Freak, der mich mal verklagen wollte, weil ich mich über ihn lustig gemacht habe: Da gibt es also so einen Dienstleister, der reichen Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags helfen möchte und dann einen eher Unreichen wie mich anfaselt, weil man doch jetzt ganz andere Krawatten trägt. Der Mann ist ein lebendes Kompendium für Bedürfnisse, die man sich gar nicht vorstellen kann. Es gibt Zeitschriften, die 32 Seiten lang irgendwelche Zeitmesser zeigen. Es ist alles Pro, Evo, Special, Ultimate, Excellence.
Es kriecht mir nach, es nimmt mir den Lebensraum. In einem Hotel, das ich früher wegen seiner Mischung aus alt, gediegen und verrottet gerne besuchte, gibt es jetzt einen Spa-Attendant Teamleader, und der hat sogar ein Motto: „Wer aufhört besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.” Der Spruch kommt von Robert Bosch, heute ist es die Philosophie der Badewassereinlasser, Und es gibt immer einen, der da noch etwas draufsetzt und etwas aus dem Regal zieht, das sonst keiner einer hat. Wenn es nicht das Beste ist, ist es nicht gut.
Das ist peinlich. Es ist vor allem peinlich für uns, weil diese Art der Darstellung das Bild wohlhabender Menschen dominiert, die in Wirklichkeit ganz andere Interessen und Nöte haben, und daheim ihre Hausschuhe auch tragen, bis man sie nicht mehr flicken kann. Aber warum – wenn man diese Strategie des Übertrumpfens schon kennt und ablehnt – lässt man sie sich im Bereich von Wissen und Bildung gefallen? Denn nichts ist einfacher, als sich selbst damit zu überhöhen, es gibt so viel Wissen und immer einen Aspekt, den man sich schnell anlesen kann, um andere damit klein und dumm aussehen zu lassen.
Auch hier wird – wie in der Sachkultur – eine Strategie der stetigen Überforderung benutzt. Da wird schon als Basis ein üppiger Bildungskanon des 19. Jahrhunderts angenommen, der heute angesichts der zerfasernden Wissenswelten der Gegenwart gar nicht mehr zu erarbeiten ist. Und dann noch eins drauf gesetzt. Ma definiert die Basis schon so, dass andere nicht mehr mithalten können und „Äh so” sagen, und im zweiten Schritt führt man darüber noch die eigentliche Erkenntnis aus. Bildung Ultimate Evo. Jeder hatte mal so einen Lehrer, der ihn genau damit gedemütigt hat: Ach, der kleine Alfons, der kennt noch nicht mal die Grundlagen, und dabei müsste er doch schon viel weiter sein. Wenn man Glück hat, gibt sich der kleine Alfons trotzdem Mühe und versucht, sich Bildung anzulesen. Wenn es weniger gut ausgeht, lässt er es bleiben und verachtet alle zusammen, egal ob sie sich nun freiwillig fortbilden. Oder ihreLektion lernen und Bildungsnutzer werden, die sich über ihr Opernprogrammheftwissen definieren, und die Fähigkeit, immer noch einen Namen fallen zu lassen in der Erwartung, dass die anderen erst mal gar nicht wissen, wer das ist und wem dieser Umstand nun zur Ehre gereichen soll: Auch nur so einem Badewassereinlasser für Schaumworte und Dünkelseife. Kein Wunder, wenn die Kinder der Neureichen der Bildung dann alle hochbegabt sind, mit vier Jahren komponieren sollten und in der Kita Wittgenstein tanzen.
Es passt ganz gut in diese Epoche, in der sich alles unter der Definition neuer Standards ausdifferenziert. Es ist auch nur ein Ausdruck des Elends im Überfluss, wenn Wissen missbraucht wird, um andere zu erniedrigen, oder es wenigstens zu versuchen. Meine ideale Welt dieser speziellen Reichen sieht aus wie Monaco, wo dem Wassersomelier vom Spa Attendant Teamleader die Badetemperatur vorgegeben wird und der Yachtinneneinrichter mit dem Bildungshuber über die Holzqualität – wie bei Guarneri! – debattiert, bevor sie mit dem Evomodell zur Weinverkostung fahren und dort die neuesten Wellnesstrends besprechen, die man kennen muss, um dann entspannt beurteilen zu können, warum man durchaus mittelalterliche Quellen für Renaissanceaufführungen heranziehen kann:
Weil man dann nämlich ganz unter sich ist. Diese ganzen Fehlentwicklungen sollte man an einem Ort konzentrieren, wo sie sich gegenseitig animieren und prächtig entwickeln, und aneinander exzellent hochziehen, gestelzt und überzogen auf immer neue Gipfel olympischer Qualität. Die Biologie kennt Guanofelsen, auf denen sich Tiere nach oben fäkaliert haben, immer von oben auf das darunter liegende Niveau, und dort bleiben sie dann unter sich, so wie diese hilfreichen Geister dann alle in Monaco sitzen und nicken, wenn sie sagen: Ja, also der Monteverdi, der war schon als Komponist, aber auch als Geländewagen, richtig, also… Da passen sie alle gut hin, und RTLII macht dann eine Doku darüber: Prada, PS und Platon: Deutschlands Markenchecker drehen auf.
Man ist nicht arm, wenn man diesen Unsinn des Konsums nicht mitmacht. Und man ist nicht dumm, wenn man andere nicht mit Halbbildung beleidigt. Das ist nicht elitär, sondern unfein. Und deshalb sollte man auch in den kommenden vier Jahren, da bitte ich um Nachsicht, niemanden mit Bildung diskrimieren.
Es reicht ja schon, dass manche in Berlin leben.