Auf dem Berge Sinai sitzt der Schneider Kikeriki
Religiöse Extremisten verstehe ich nicht. So ziemlich jede Religion, die etwas auf ihre Mörder, Halsabschneider, Ausbeuter, Leutverderber und bigotten Heuchler gibt, hat auch eine Religionsgeschichte. Und wenn man die halbwegs neutral und um die Gegenseite angereichert liest, und zudem an die universellen Menschenrechte als zivilisatorischen Mindeststandard jenseits der amerikanischen Standgerichte, des Flughafen Heathrows und der britischen Terrorverfolgungsterrorbehörden annimmt, dann sieht man auch: Es führt auf Dauer zu gar nichts, wenn man es mit dem Glauben übertreibt. Da kann einem der schönste Gottesstaat um die Ohren fliegen. Jahhundertelang mag das irgendwie gut gehen, aber dann knallt es und dann wird es unschön.
Dazu fallen einem natürlich an erster Stelle die ägyptischen Muslimbrüder ein, die es in ihrer Heimat eigentlich in der Hand gehabt hätten zu zeigen, dass sie ihre moderaten Versprechungen während des arabischen Frühlings auch umsetzen. Angesichts der Schlächtereien, die jetzt Ägypten erschüttern, ist es sicher nur ein vergleichsweise kleines Unrecht ihnen nachzusagen, dass sie den im Westen geweckten Erwartungen nicht ganz entsprochen haben. Man mag sich nur ungern auf die Seite eines Militärs stellen, das derartig vorgeht, und natürlich auch nicht auf Seiten von Kirchenanzündern und Mördern aus dem Hinterhalt. Hier Böcke von Schafen zu scheiden, ist nicht einfach für einen aussen vor in grünen Wiesen Stehenden, aber generell denke ich, dass so ein Gottesstaat mit autoritärer Anwandlung mit etwas Augenmass machbar ist, der beide Seiten befriedigt. Ich weiss das, denn das grüne Gras hier nämlich gehört zu so einer mild gwordenen Civitas Dei.
Es ist jetzt gerade mal 250 Jahre her, da wohnten in meinem Haus zum Beispiel noch Leute, die sich ganz natürlich das Recht herausnehmen wollten, die weltliche Macht mit Gewalt und Mord niederzuwerfen, wenn sie sich dem Heilsplan widersetze. Es waren Leute, die Ungläubige abschlachten wollten, und wer auf die Idee gekommen wäre, diese Stadt zu besuchen, ohne der richtigen Ausformung der Religion anzugehören, den hätten sie religiös-ethnisch weggesäubert. Und weil das alles noch nicht genug war, gingen sie an Feiertagen auf die Strassen und geisselten sich vor Standbildern ihrer Religion blutig. So war das bei uns, in der jesuitisch geprägten, kleinen und damals sehr dummen Stadt an der Donau und folglich im ganzen, schönen Bayernland. Und was hat es ihnen gebracht? Nichts. 1773 setzte sich die Aufklärung durch, die Jesuiten wurden aufgelöst, an die Stelle des religiösen Fanatismus trat der Irrsinn der Nationalstaaten.
Und würde heute einer an einem Feiertag zu mir kommen und sagen, Du bist doch einer aus einem alten Stamme der Stadt, Du hast Vorbildfunktion, auf die Strasse mit Dir und peitsche Dich selbst auf’s Blut: Ich würde es nicht tun. Ja wo sind wir denn. Was ich jedoch mache ist, mit dem Rad durch das Land zu fahren und mich an Anstiegen zu schinden, und mit mir sind hier auch andere unterwegs. Und sie sehen die Zwiebeltürme der Kirchen über sattem Gras und finden das schön. Wir kommen vorbei an verharmlosend “Marterln” genannten Zeugnissen all des Leids, das der hier bestimmenden Religion innewohnt, und an Wahlplakaten, von denen uns die Photoshopzombies der Staatspartei anfletschen, und wir nehmen das hin. Weil es doch so schön ist. Und weil wir ein Ziel haben.
Einen See mit einem Kloster daran. Das ist nichts besonderes, an den meisten wunderschönen Seen des Alpenvorlandes lagen Klöster, wir nehmen das deshalb einfach so hin, ohne jeglichen laizistischen Eifer. Ausserdem ist ja wirklich Feiertag, da passt man bestens hinein in so einen Klosterbiergarten. Oben spielt die Blasmusik ländliche Weisen, und es tollen nach der Prozession Mädchen und Buben in Tracht herum. Ja, sicher, man hat genau diese Art des – aus Sicht der Aufklärung – Aberglaubens der Prozessionen in diesem Land damals verboten, aber das hat man schon immer so gemacht; jetzt macht man es halt wieder und ausserdem ist das doch eine wunderbare Gelegenheit, die Tracht des Landes auszuführen. Und obendrein den Heiland recht schön zu danken. Oder heute eben der Maria, deren Feiertag ist. Das ist es in den überwiegend katholischen Gemeinden des Landes. In den überwiegend evangelischen Gemeinden müssen sie dagegen arbeiten; das haben sie jetzt von ihren 97 Thesen in der DDR, rutscht es einem bösartig heraus und zu meinem Entsetzen stelle ich fest, dass ich das gesagt habe. Das meine ich nicht so. Ich bin ja noch nicht einmal katholisch, ich kenne mich nur etwas in Kirchengeschichte aus. Aber die Sonne scheint noch schöner, wenn man weiss, dass andere solche Feiertage nicht haben.
Es is wias is, sagt man in Bayern, und es ist nun mal ein so, dass der Tourist aus München, wohin er zugewandert ist, gern hierher fährt, um diese Prozessionen zu sehen. Und vermutlich hat er auch Landlust im Abo und weiss daher auch, dass an diesem Tag die Kräuterbüschel geweiht werden, die früher als abergläubischer Unfug dummer Bauern galten und heute, da man sich den Buddha in den 120-m²-Reihenhaus-Vorgarten in Harlaching stellt, wieder bestens ins homöopathisch-gnostische Weltbild passen. Und wenn es nicht hilft gegen Kinderlosigkeit, Hepathitis oder die Dochnichtausnahmebegabung des Nachwuchses, dann ist es doch wenigstens die Tradition, dass man das so macht. Es hat ja nichts zu bedeuten, es ist nur ein hübscher Brauch. Wie die Zwiebeltürme und was sonst noch zu einem Gottestaat in der Lightversion passt. Und wenn sie dann auf das Oktoberfest gehen, wissen sie natürlich genau, auf welcher Seite sie als züchtige Ehefrauen ihre pinkfarbene Polyesterdirndlschürze zu binden haben, damit jeder den Beziehungsstatus “bayerisch vergeben” erkennt.
Irgendwann verklingen die Weisen der Blasmusik, wir radeln weiter und kommen zu einem Dorffest in einem anderen Ort, wo wieder alle in Tracht vor der Kirche stehen, und sich Kinder um die Mitfahrgelegenheit in einer Kutsche drängeln. Wir passieren schön herausgeputzte Kapellen am Wegesrand, und weil es gar so schön ist, denken wir auch gar nicht daran, dass es heute ein Tanzverbot gibt. Doch ja, der Staat erlaubt zwar das Feiern und die Blasmusik im Biergarten des Klosters und die stammen Wadeln und Dirndl, aber tanzen darf trotzdem keiner. Das ist halt so. Daran hält man sich. Und da jammert hier auch keiner rum, weil da hinten schon wieder so schöne Kühe stehen, und noch so ein Zwiebelturm vor der Alpenkulisse. Fast ein wenig schade ist es, dass ich nicht noch durch unsere wirklich hübsche Barockdorfkirche führen kann, aber irgendwann ist der Tag auch vorbei. Wir waren anständig, züchtig, zumindest im Biergarten eines Klosters, haben die Schöpfung und Traditionen bewundert. Gut, wir haben uns nicht gegeisselt und gebeichtet und auch keine Ungläubigen vertrieben, aber in seiner Laxheit und seinem urwüchsigen Charme funktioniert Maria Himmelfahrt immer noch blendend. Alle sind aufgeräumt, wie es sein soll. Allen geht es gut, Jeder ist dankbar um das Land, bewundert die Schöpfung und bestellt vielleicht auch bald so ein züchtiges Dirndl statt der nächsten Handtasche für die ausserehelichen Nachtutensilien: Es ist der fettreduzierte Sodagottesstaat, den wir hier haben, mit Hollunderschorle und Blick auf die Berge. Und er funktioniert. Extrem gut. Der Gottesstaat fügt sich, wenn er nur sanft betrieben wird, formschön in die moderne, rastlose Sinnsuche ein. Weshalb ja dann auch isabellaweisse Hochzeiten und Taufen heute mit einem Pomp gefeiert werden, als wäre der blaue Kurfürst noch im Amt.
Natürlich hat es seit der Auflösung der alten Jesuiten 240 teilweise extrem unschöne Jahre und etliche Kämpfe gedauert, bis man diese Balance gefunden hat, zwischen der Moderne im Alltag und dem Segen der Feiertage, aber jetzt läuft es und es lafd wia gschmiad. Dazu lächelt das Staatssystem, das Herrn Mollath in die Psychiatrie und dem Abgeordneten die Leica brachte, unverhohlen von den Plakaten, und man würde Muslimbrüdern und ägyptischem Militär hier wirklich gern vor Augen führen, wie friedlich und zu aller Nutzen die Koexistenz von Religion und halbaufgeklärtem Absolutismus sein kann. Die Touristen kommen ja gerade deshalb hierher und füllen unsere neu gebauten Luxuswohnanlagen, sie mögen die heile Welt, bei der Kirche und Moschee und Spähpanzer im Dorf gelassen werden.
Und wenn nebenan in Bad Aibling der NSA-getriebene Täter an solchen Tagen in unseren Mails nur Landschaftsbilder findet, dann hat alles seine Ordnung, und alle sind zufrieden. Treten Sie näher, Herr Mursi und Herr Sisi und nehmen Sie Platz bei mir – meiner wird nämlich gleich frei, denn nächte Woche um diese Zeit verlasse ich dieses schöne Land und fahre in ein noch schöneres. Und nehme Sie, liebe Leser, natürlich gern mit.
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