Mann der Arbeit aufgewacht, und erkenne Deine Macht.
Diese ganze Debatte um den Mindestlohn ist wirklich schwierig. Nehmen wir ein nahe auf einem Sofa der Bielefelder Werkstätten liegendes Beispiel: Mich. Ich habe einmal ausgerechnet, was eigentlich mein Mindestlohn sein müsste, wäre ich der beklagenswerten Situation, mein Dasein von dem vollumfänglich zu bezahlen, was ich bei der FAZ verdiene: Mein fraglos menschenwürdiges – und für diese Tätigkeit am Tegernsee unabdingbares – Dasein wäre auch ohne Barockgemälde ganz sicher so teuer, dass seine volle Finanzierung andernorts zu bösen Einschnitten führen müsste, denn meine Kosten wären erheblich; allein die Pralinen für das Catsitting… Und weil das nicht geht und andere dann wirklich davon leben müssen, reicht ihnen diese Unterfinanzierung im Schreibhandwerk eben wirklich nur soweit, dass sie oft nur einen Wohnsitz haben. Und der ist dann auch nicht am Tegernsee oder in Meran.
Über die Frage, ob man überhaupt schreiben kann, wenn die Füsse nicht wahlweise auf 150 Jahre altem Sumpfeichenparkett oder Seidenteppichen aus Persien stehen, will ich erst gar nicht nachdenken, das ist keine schöne Vorstellung. Jedenfalls, ich brauche gar keinen Mindestlohn und keine Pressetermine, um dieses Dasein zu leben, und was sonst ist, geht mich nichts an. Ich kann mich aber nur manchmal wundern über Journalisten – und die wohnen absolut sicher nicht am Tegernsee, solche Einschnitte in unser Sozialsystem wären mir aufgefallen! – die sich bescheiden müssen und dennoch bewusst Ökonomen zu Wort kommen lassen, die sich gegen einen Mindestlohn äussern. Ich verstehe, dass diese Unsachlichkeitsverständigen ihre groben Schätzungshäute nach dem Ende der FDP als politisch relevante Kraft anderweitig zum Markt tragen müssen, aber warum man das verbreitet, wenn man aufgrund der Medienkrise selbst sozial gefährdet ist, verstehe ich nicht.
Ich verstehe übrigens auch die Ökonomen nicht. Letzthin habe ich mal mangels anderer Lektüre in einem Regionalzug von München an den Tegernsee einen Blick in ein vergessenes Focus Money geworfen und was soll ich sagen: Ich glaube, die Ökonomen beziehen daher ihr Fachwissen, weil da auch nichts anderes drin steht, als solche Leute behaupten. Senkt man die Steuern, wird alles gut im Sinne eines Publikums, das man im Hotel Überfahrt in Rottach trifft, erleichtert man Investitionen und baut man Bürokratie ab, können sich die Märkte frei entfalten und der Wohlstand steigt. Wenn er, möchte ich anfügen, nicht gerade durch eine Bankenkrise ruiniert wird, oder durch Kartelle unterlaufen wird, oder Oligarchien fördert, oder Ergebnis von staatlichen Förderzuschüssen oder Steuerbetrügereien ist, oder so wie die New Economy endet oder ganze Schichten von Menschen produziert, die nie aus ihrem traurigen Dasein entkommen werden, wie man das ja auch vom Journalismus und seinem verbilligten Essen in Kantinen kennt, wo das Essen mit dem Schöpflöf
Ich höre schon auf. Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch schon mit Ökonomen an etwas besseren Buffets stand, die von der Bayerischen Staatsregierung bezahlt wurden, und ich denke mir einfach, wer dort so begierig zulangt, der schreibt seine Thesen eventuell auch bei Focus Money ab. Also jedenfalls nichts genaues weiss man nicht und wenn diese Ökonomen jetzt Modelle zur Bestätigung von Focus Money konstruieren und dann zum Schluss kommen, dass hohe Mindestlöhne irgendwie gar nicht gut sind, im Gegensatz zum Verbleib von Menschen in Zwangskantinen ohne Zweitwohnsitz und auch nur die Chance, jemals genug Räume zu haben, um 40 verschiedene Service unterzubringen, dann sage ich auf meinem Sofa: Das ist Theorie. Mit solchen Theorien hat sich die FDP aus dem Bundestag geworfen und Focus Money geht es auch nicht mehr so gut. Diese Theorie ist gefährlich! Was wir brauchen, ist eine praktische Überprüfung der Frage: Wie gut ist es ohne Mindestlohn? Dazu müsste man mal eine Untersuchung machen, gross, umfassend und am besten mit Leuten, die nicht schon an das mögliche Elend gewöhnt sind, sondern unvoreingenommen an die Sache rangehen. Leute, die bislang nichts Falsches in einer Welt ohne allgemein gültigen Mindestlohn sehen. Wer könnte besser als sie dann erkennen, wie das wirklich ist?
Nun lesen wir ja in letzter Zeit desöfteren vom schlimmen Schicksal all der FDP-Mandats-, Amts- und Kofferträger, die nunmehr ohne Arbeit sind und dass es sich hier um die Grössenordnung eines mittelständischen Unternehmens – ohne Gewinn-, aber eventuell mit Bereicherungs- und Teppichtransportabsicht – gehandelt hat. Auf der einen Seite also die Theorie, die geprüft werden soll, auf der anderen ein paar hundert Menschen, die unvoreingenommen und unbeeinflusst von linksradikaler Propaganda das Leben ohne Regulierung befürworten, und momentan schwer vermittelbar sind, weil ich sie garantiert hier keine Gastbeiträge schreiben lasse und Hauspersonal haben wir auch schon und überhaupt, so ein schamlos mövenpickender Politikbetriebler ist halt niemand, den man hier zum Bedienen der Touristen abstellen kann, weil beste Manieren braucht man da schon.
Also, so gesehen sind sie für normale Berufe wahrscheinlich genauso unfähig und unqualifiziert wie ich (wobei ich Radreparatur, Klempnerei, Stukkateur, Silberputzer und Bergführer ausnehmen möchte, irgendwas Anständiges muss man können) und alle anderen sozialen Härtefälle. Handheben im Bundestag ist keine Erfahrung beim Dachdecken, bei der Lagerverwaltung, bei der Reinigung von weissen Westen, und so dürften sich unsere Probanden nahtlos in die Heerscharen all jener Mindergeeigneten einfügen, die dieses Schicksal nun wirklich mit ihnen teilen, mit allen individuellen Nach- und gesamtgesellschaftlichen Vorteilen. Sagen wir mal, ein Jahr sollten befreundete Unternehmen diese Angehörigen des mittelständischen FDP-Betriebs aufnehmen und falls komplett Unvermittelbare dabei sind: Bald kommt der Winter, dann wird es kalt, und weil dort sicher keiner spätrömische Dekadenz mag, werden sie mit Freuden und Schneeschaufel für den reibungslosen Lauf der Berliner Verkehrsbetriebe sorgen. Jeder wird gebraucht, jeder der arbeiten will findet auch seinen Platz, nur den flächendeckenden und wirklich auskömmlichen Mindestlohn, den finden sie nicht aber das wollten sie ja auch nicht.
Nun weiss ich natürlich, dass so ein geringes Einkommen schwerlich ausreicht, wenn man zwei Wohnungen mieten muss, und mögen sie auch nur im Slum Berlin und anderen unglücklichen Regionen des Landes sein. Dann muss man sich eben anpassen, aber mit so einer Beschäftigung bekommt man sicher auch einen Blick für das Wesentliche und lernt, sich eigenverantwortlich zu entscheiden. Verkochte Nudeln gibt es dann eben nicht mehr vom Lobbyisten, man kann die Zubereitung aber von Berliner Hipstern lernen. Auch Thilo Sarrazin hat früher gute Ratschläge gehabt, wie man aus wenig viel machen kann. Das könnte auch nötig sein, denn ganz ehrlich: Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Freimarktfreund in dieser Lage dann versuchen wird, sein Gehalt mit verrufenen staatlichen Leistungen aufzustocken. Auch Schwarzarbeit ist nicht erlaubt. Im Gegenteil, ich bin mir absolut sicher, dass das einzige Bestreben sein wird, die Richtigkeit der Politik der letzten Jahre zu beweisen, was ja auch nötig sein wird, falls man noch einmal von einem Souverän gewählt werden möchte, der lieber Darmgripp dem real gelebten Mövenpick-Liberalismus ein wenig kritisch gegenüber steht.
Ein Jahr ist gar nicht so lang, das ist gerade mal von Rodelsaison zu Rodelsaison und am Ende können sie dann berichten, wie das so ist, wenn man ohne Mindestlohn dazu beiträgt, dass Regulierungswut den Lauf der freien Märkte nicht hemmt. Ich bin mir sicher, dass diese Leute mir jetzt begeistert zustimmen und die Idee ihrer eigenen machen werden, denn sie ist schnell umsetzbar, kostet den Staat nichts, setzt auf Eigenverantwortung und Leistung und wenn es einer von denen in einem Pflegeberuf tatsächlich schafft, sich beim Bettenausräumen im Kreise der ausgebeuteten Osteuropäerinnen Gleichheit mit Deutschen wie mir zu erarbeiten, dann findet das meine vollste Anerkennung. Vielleicht sehen wir ja 600 mal blühende Landschaften, saubere Gehwege, funktionierende Schienen, gute Frisuren und perfekt ausgelieferte Pakete bei Subunternehmen. Und jede Menge dankbare, glückliche Menschen, die uns bewiesen haben, wie schön das Leben ohne Mindestlohn und verbindliche Flächentarife ist.
Nicht jedem ist es natürlich erlaubt, Korinth oder den Yachtclub Tegernsee anzulaufen, aber wenn es den Betreffenden nach diesem Jahr nicht geringfügiger, aber gering entlohnter Tätigkeit wirklich besser geht, oder wenigstens nicht signifikant schlechter, und die Lebenserwartung nicht allzu viel gesunken ist, und auch der Griff zu Alkohol und Zigarette nicht vermehrt auftritt, kann man auch weiterhin respektieren, dass Ökonomen das aufsagen, was Focus Money vorschreibt. Ich bin da gar nicht so. Eigentlich ist es mir sogar egal, aber ich bin nun mal ein Mann der Praxis und deshalb: Probiert es aus! Hört auf, vor den Redaktionen zu antichambrieren und zu jammern, dass Ihr kein Geld mehr habt. Leistung wird sich auch für Euch lohnen, für Eure Chefs und natürlich auch für uns, die wir dann wissen, wie das so ist, wenn freie Märkte freie Liberale formen, wie es ihnen allen gemeinsam gefällt. Nur schäbige Zyniker – pfui über sie! – würden sagen, dass die FDP dann den Mindestlohn bekommen hat, den sie verdient hat.
HINWEIS:
Für Kommentare gibt es als Mindestlohn ein reibungslos funktionierendes Kommentarblog, wo es wie geschmiert läuft.