Ein Gastbeitrag in einem asketischen Abstinenzlerblog vom Weinexperten Christoph Raffelt:
Fährt man die Strada Provenciale 68 durch den südöstlichen Teil Siziliens, befindet man sich auf der wahrscheinlich ältesten Weinroute der Insel. Sie schlängelt sich durch das hügelige Gebiet des Weltkulturerbe des Val di Noto, vobei an den reichen Barockstädten Ragusa und Vittoria. Man kann diesen Weg wählen, um jene Winzerin zu besuchen, die einen ihrer Weine nach eben dieser Route benannt hat: Arianna Occhipinti. Sie gehört zu der kleinen Gruppe von Winzerinnen und Winzern, die den Weinbau auf Sizilien gerade auf eine neue Stufe heben. Sie gilt als ihr schönstes Gesicht, und ihr charaktervoll neuer, schlanker frischer und biologisch erzeugte Wein wird ihr aus den Händen gerissen.
Die Tradition des Weinbaus beginnt mit der Kolonialisierung der Insel durch griechische Seefahrer aus dem östlichen Mittelmeergebiet, die ihre eigene Trinkkultur in die neue Heimat brachten. Folglich stammten die wichtigsten ursprünglichen Rebsorten aus Griechenland und Kleinasien, und haben sich dann auf Sizilien weiterentwickelt. Der Qualitätsweinbau beginnt allerdings erst in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts. Vorher wurde überwiegend Massenware für den englischen Markt erzeugt: seelenloser Wein, der vor allem in die Produktion von Süßwein wanderte, dem Marsala, benannt nach der gleichnamigen Stadt im äußersten Westen der Insel. Ein wenig erstaunlich ist das schon, wird Kultur und vor allem Esskultur auf Sizilien doch sehr geschätzt, und die Auswahl an frischen Lebensmitteln und Zutaten ist geradezu unvergleichlich.
Nur der Wein blieb immer einfach, und es gab lange Zeit praktisch niemanden, der sich mit den Möglichkeiten, die die heimischen Rebsorten boten, ernsthaft auseinandergesetzt hätte. Das allerdings änderte sich Ende der Achtziger, als Diego Planeta, seines Zeichens Präsident der Winzergenossenschaft von Settesoli nahe der griechischen Ruinen von Agrigent, seine Genossen überzeugen konnte, sich verstärkt den heimischen Rebsorten zu widmen und im Weinberg wie im Keller mehr auf Klasse statt auf Masse zu setzen. Grecanico ist eine dieser Sorten, die im Namen auf das Ursprungsland verweist. Nero d’Avola, der Schwarze aus Avola, ist eine weitere Rebsorte, mit der der Weinbau der Insel Schwung aufgenommen hat und die Winzer von Settesoli erfolgreich wurden. Mit dem Erfolg kam dann auch das Geld. Nicht zuletzt durch die Hilfe von EU-Strukturfonds wurde diese strukturschwache und von Mafiaumtriebe ausgezehrte Region gefördert. Zu den Vorreitern gehören die Planetas, diesmal drei Cousins des Pioniers Diego. Dann kam Cusumano, und wenn man Donnafugata und Feudo Arancio dazunimmt, hat man auch schon fast die komplette Gruppe derer, die ausgerechnet im Armenhaus Italiens mit großen Kellereien und moderner Technik den sizilianischen Weinbau ins 21. Jahrhundert gehievt haben.
Diese großen Betriebe haben dabei immer auf autochthone und international bekannte Sorten zugleich gesetzt und so ziemlich alles, was sie produzieren, ist klar und sauber gemacht. Das ist Weinbau auf gekonntem und hohem Niveau, das höchstens noch von den Conti d’Almerita übertroffen wird, einer adeligen Weinbaufamilie, die mittlerweile fünf Weingüter auf Sizilien ihr Eigen nennt. Was diese Weine erfolgreich gemacht hat, ist ihr internationaler Stil, der niemandem so richtig weh tut, und einen hier und da durchaus ins Schwärmen geraten lassen kann, vor allem wenn man mal einen gereiften Rosso del Conte von d’Almerita ins Glas bekommt oder einen Süßwein, den Donnafugata auf der kleinen Insel Pantelleria auf halbem Weg zwischen Sizilien und Tunesien produziert hat.
Dieser Stil wird genau dann zum Problem, wenn man im Wein etwas mehr von Sizilien erfahren will. Denn wenn man den sehr eigenen Charakter typischer sizilianischer Rebsorten tatsächlich kennen lernen will, sollte man sich zumindest drei Namen merken: Frank Cornelissen, Salvo Foti und Giusto Occhipinti, der Onkel der oben erwähnte Arianna. Giusto war 1980 zusammen mit Giambattista Cilia und Cirino Strano der jüngste Weingutsgründer Italiens. Die drei waren um die 20, als sie die Chance hatten, bei Vittoria im Süden Siziliens einen Weinberg zu übernehmen. Mit ihrem Weingut COS haben sie fast ausschließlich mit regionalen Rebsorten zwei Jahrzehnte experimentiert, bis sie den Stil gefunden hatten, der heute viele begeistert.
Das wirklich Erstaunliche ist, dass bei COS sehr viel mit Amphoren gearbeitet, wird und dass die Weine, die im heißen Süden der Insel wachsen, praktisch nie mehr als 12,5 % aufweisen. Das Ergebnis der intensiven Weinbergsarbeit und dem mittlerweile gekonnte Umgang mit Tongefäßen, Zementwannen und gebrauchtem Holz sind zugleich fruchtige und komplexe Weine, die dabei immer leicht und beschwingt wirken. Ein gutes Bespiel für diesen Stil ist der Cerasuolo di Vittoria, der einzige Wein der gesamten Insel, der Italiens höchste Qualitätsstufe DOCG erhalten hat. Dieser Wein besteht zur Hälfte aus Nero d’Avola und zur anderen Hälfte aus Frappato. Bei Giustos Nichte ist es der SP68, der genau diese Rebsortencuvée enthält und ähnlich begeistert. Ein dritter auch in Deutschland anbietender Erzeuger dieses exzellenten Essensbegleiters ist Manenti. Dieses kleine Weingut wird von Salvo Foti betreut. Er ist Spezialist für die sogenannte Albarello-Erziehung: Das ist die traditionelle Anbauform auf Sizilien, bei der die Rebstöcke wie Büsche gepflanzt werden und entsprechend geschnitten und „erzogen“ werden müssen.
Bemerkenswert ist Salvo Fotis Engagement jedoch vor allem bei der Winzervereinigung I Vigneri, die man vor allem an der immer gleichen Burgunderflaschenform mit geprägter Buschrebe erkennt. Hier spielt Foti sein ganzen Können aus, zum einen bei den Weinen der Tenuta di Castellaro, die auf der kleinen westlich gelegenen Insel Lipardi Weine aus so seltenen Sorten wie Malvasia di Lipardi oder Corintho erzeugen, zum anderen in den alten terrassierten Steillagen an den Hängen des Ätna. Hier, wo der immer wieder Feuer speiende, alles dominierende Vulkan für eine ungewöhnliche Fruchtbarkeit der Landschaft sorgt, finden sich bis zu 250 Jahre alte Rebbüsche, eingefasst von alten Trockenmauern. Der Weinbau, der lange Zeit brachlag, zieht sich bis in knapp 1.000 Meter Höhe. Die Schwankung von Tag- und Nachttemperaturen ist selten so extrem wie hier. Diese äußeren Umstände und die mühevolle Bearbeitung der Rebstöcke haben einen wirtschaftlich erfolgreichen Weinbau lange Zeit fast unmöglich gemacht.
Dies funktioniert erst wieder, seit es Weinliebhaber gibt, die solch ungewöhnliche Weine schätzen und bereit sind, dafür zu zahlen. Auch hier beschäftigen sich die Winzer mit Rebsorten, die man praktisch ausschließlich vor Ort findet und die sich dort den extremen Klimabedingungen angepasst haben. Die Rotweine beeindrucken mit einem Wechselspiel aus Kirschen und dunklen Früchten, in die sich viele Kräuter und Gewürze mischen: Nelke, Zimt, Orangenschalen, Rosmarin, Thymian oder Lavendel. Faszinierend ist die tiefgründige Mineralität, die sich in den roten genauso wie in den weißen Weinen findet. Diese haben mit dem, was wir sonst unter Weißwein kennen, wenig zu tun. In den Weinen findet sich vergleichsweise wenig Frucht , stattdessen dominieren Rauch und Stein, Trockenkräuter, Karamell und Orangenschale. Gerade die Weißweine der I Custodi delle Vigne dell’Etna, der Bewahrer der Weingärten des Ätna und des Winzers Ciro Bondi sollte man unbedingt einmal probieren. Diese Weine sind so markant und charaktervoll, so expressiv und auch seltsam, dass man sie über mehrere Tage hinweg ergründen kann und das auch sollte, weil sie sich von Tag zu Tag verändern.
Neben Salvo Foti verdient zumindest eine weitere prägende Gestalt unter den Winzern des Ätna erwähnt werden. Es ist der Belgier Frank Cornelissen, der im Norden des Ätna ganz ähnlich arbeitet: natürliche, aufwendige Weinbergsarbeit im Albarello-Anbau, die Trauben werden noch mit den Füßen gestampft, der Saft fließt in alte Zisternen und ausgebaut wird in Amphoren. Schwefel wird hier nicht zugesetzt und es wird nicht geschönt. Es sind lebendige Charakterköpfe, die den Reichtum dieser Mittelmeerinsel auf eine ganz eigene Weise widerspiegeln.