Vorbemerkung Don Alphonso: Die Damen der Ü70-Strandparties auf Teneriffa, wo ich gerade urlaube, machen es sich mit dem Beachbody leicht: Sie haben einen Körper und gehen zum Strand. Medien stellen dagegen ganz andere Ansprüche, und was davon zu halten ist, schreibt meine Gastautorin Mareike “Ohaimareiki” Ernst:
Die Modeindustrie hat Essstörungen und eine unnötig kritische Betrachtung des eigenen Körpers nicht erfunden, aber sie trägt dazu bei, dass der persönliche Kampf dagegen sehr schwierig ist. Wir selbst allerdings auch, denn wir sind ihr nicht blind unterworfen, im Gegenteil. Deutlich wird dies auch durch Modeblogs, die heute als ernsthafte Konkurrenz der großen Modezeitschriften zu sehen und ihnen in vielen Belangen sogar überlegen sind. Die jeweiligen Autoren können für ihre Leser dabei verschiedenste Funktionen haben, von der Brancheninsiderin bis zur besten Freundin. Aus welchen Gründen auch immer man verfolgt, was sie schreiben: Blogger machen unsere Medienlandschaft bunter, bringen uns ihre Themen näher und können uns dadurch auf eine sehr persönliche Weise erreichen. Es ist demnach nicht vermessen zu sagen, dass sie eine besondere Macht haben, derer sie sich allerdings kaum bewusst sind, wenn es nicht gerade darum geht, etwas zu verkaufen.
Zu behaupten, die bösen, bösen Medien und die noch bösere Modeindustrie seien schuld an der hohen Zahl Jugendlicher, die heutzutage an Essstörungen erkranken und/oder ihren eigenen Körper ablehnen, ist eine gefährliche Verknappung des Problems. Für diese schwerwiegenden psychischen Erkrankungen gibt es weitaus mehr auslösende und aufrechterhaltende Faktoren als in diesem Artikel beschrieben werden können und nicht einmal eine ausufernde Aufzählung ebendieser würde den verschiedenen Einzelfällen gerecht werden. Was in seiner Offensichtlichkeit aber festgehalten werden muss: In diesem öffentlichen Klima ist es leicht, den eigenen Körper zu verachten. Und schwer, sich nicht mit den gegenwärtigen Schönheitsidealen zu vergleichen und festzustellen, dass die meisten von uns diesen Vergleich nur verlieren können. Sich selbst Essen vorzuenthalten und sich mit Sport zu quälen, auf den man eigentlich keine Lust hat, wird nicht nur gesellschaftlich honoriert, sondern ist auch eine gut laufende Verkaufsmasche, nicht nur von entsprechenden (vor allem an Frauen gerichteten) Magazinen, die diese Auffassung selbst weiter befeuern, sondern assoziierten Produkten wie fett- und zuckerreduzierten Nahrungsmitteln, Diätpillen, Sportprogrammen usw. usf.
Die letzten Donnerstag angelaufene neunte Staffel Germany’s next Topmodel ist dabei in ihrer Plumpheit und gleichzeitigen Perfidie wie gewohnt exemplarisch. Selbst wenn man die unsägliche Plakatkampagne (mit dem Titel “Show yourself”, der je nach Motiv auf Heidi Klums Brüste, Bauch oder Beine bezogen zu sein scheint) erfolgreich verdrängt hat, so geriert sich die Sendung dennoch als schamloser Fleischbeschau, in der einerseits die Körper zum Großteil noch minderjähriger Mädchen schonungslos kritisiert werden, andererseits aber wiederholt betont wird, wie wichtig gesunde Ernährung sei (zur Illustration dieser Stellungnahme wird den schmalen Mädchen schnell je eine Orange in die Hand gedrückt). Dazu wird sehr forciert der Versuch unternommen darzustellen, wie komplett normal sich “die Heidi” ernähre, und eigens ein mehrere Minuten langes Segment gedreht, in dem das Model einen Döner (“mit ganz vielen Zwiebeln!”) bestellt und diesen, wie wir Zuschauer glauben sollen, genussvoll verzehrt. Sie ist wie wir, so die Botschaft, und doch so viel besser – denn sie ist der Star mit dem unrealistisch perfekt(gephotoshoppt)en Körper, aber sie würde niemals irgendetwas Ungesundes tun, um zu diesem Körper zu gelangen, das wäre verwerflich. So etwas tut man nicht. Und die zu dünnen Mädchen schickt sie ja auch immer sofort weg. Selbstverständlich! So selbstverständlich, dass man diese Aktionen jede Staffel wieder zeigen muss, begleitet vom kuhäugig vorgetragenen Besorgnisgeseier der Jury.
Hier bildet sich ein Spannungsfeld heraus, das in seiner Tragikomik sehr faszinierend wäre, wäre es dabei nicht so abgrundtief traurig. Denn einerseits wird suggeriert, es gebe ein Ideal, nach dem wir alle streben (sollten) und wenn wir ihm nicht entsprechen, dann sei es unser Fehler. Wir sind wahlweise zu schwach, zu faul, zu wasauchimmer (“nicht daran interessiert” ist hier keine gültige Option). Der verbissene Kampf, dieses Ideal zu erreichen, wird hingegen im Privaten ausgefochten. Ein bedeutsamer Symptomkomplex von Essstörungen ist der soziale Rückzug, das Umgehen von Situationen, in denen von anderen wahrgenommen wird, was und wie viel man isst, das Verheimlichen der tatsächlichen Nahrungsaufnahme und/oder wie man sich der Kalorien wieder entledigt, das Alleinsein mit der Abscheu gegenüber dem eigenen Körper, der Scham, den Depressionen. Das schmerzt, ist gefährlich und nichts, womit man allein gelassen werden sollte.
Psychologische Fachliteratur weist im Zusammenhang mit Essstörungen oft auf bestimmte Risikogruppen hin, beispielsweise Sportler, deren Körpergewicht aus verschiedenen Gründen wichtig für ihre sportliche Performanz ist (so wie bei Skispringern oder Tänzern).
Bei Modebloggern ist zwar egal, wie hoch sie springen können, aber auch sie werden im Hinblick auf ihre Figur beurteilt, nicht nur, weil Outfitposts einen wichtiger Teil vieler Blogs ausmachen. Die Autoren zeigen Fotos ihrer Kleidung und damit auch ihren Körper, der von den Lesern selbstverständlich wahrgenommen und – man ahnt es – kommentiert wird, zum Teil in Form einer vergleichsweise unschuldigen Frage nach der getragenen Kleidergröße, oft aber auch als komplett von der gezeigten Kleidung unabhängige Kritik, je nachdem, ob der Körperumfang der Autorin dem anonymen Mob als zu gering, viel zu viel oder gerade so genehm erscheint.
In vielen Beiträgen taucht bald ein selbstkritischer Bezug aufs eigene Gewicht auf, vielleicht, damit die antizipierte Kritik nicht mehr so schmerzt.
Dabei ist die Wahrnehmung, dass die eigenen Fotos eventuell nicht den Sehgewohnheiten der Leserschaft entsprechen, nichts, was man sich selbst vorzuwerfen hat oder dessen man sich schämen müsste. Was nicht bedeuten soll, dass Blogger ihre Selbstzweifel unter den Teppich kehren müssen. Sondern die Chance ergreifen, ebendiese Sehgewohnheiten zu hinterfragen. Und was anderen, fremden Leuten überhaupt das Recht gibt, einen Körper zu beurteilen, der nicht ihrer ist.
Man könnte sich fragen, was die großen Modeblogs dieses Landes aus dieser Möglichkeit machen. Nun, Journelles, eines der bekanntesten deutschen Modeblogs, zunächst ein merkwürdiges Konglomerat unreflektierter Aussagen, für die man eine 15jährige nicht verurteilen würde, von erwachsenen Frauen, die ein Blog mit dieser Reichweite befüllen, allerdings enttäuscht sein darf.
Es mag vermessen sein, Leute dafür zu kritisieren, dass sie nicht das geschrieben haben, was man gerne von ihnen lesen würde. Andererseits sind Blogger dem Leser näher als Heidi Klum es je sein wird, selbst wenn sie sich ab jetzt täglich beim inszenierten Dönerkauf begleiten ließe.
Das Problem sind nicht die geäußerten negativen Gedanken oder dass man manchmal dumme Dinge tut und diese auch noch gut findet (Originalzitat aus dem verlinkten Artikel: “Mit grünen Smoothies habe ich mich auch schon gedetoxt. Ich war glücklich und etwas ausgehungert. Super Look!”), einknickt unter dem Druck und sich dem vermeintlichen Diktat beugt, überhaupt nicht, sondern vielmehr, dass der Druck da ist und selbst erfolgreiche Frauen, die auf vieles stolz sein können, ihn so stark spüren und ihm nachgeben.
Aber man kommentiert nicht die Absurdität, dass Raubbau am eigenen Körper heutzutage unter “Lifestyle” läuft und wir selbst unsere Körper der Mode zu unterwerfen versuchen, nein, das kann man schon gar nicht mehr (“Viele schreien auf, viele fordern: akzeptiert doch ein paar Pfunde zu viel. Gerne, aber schöner macht es nicht.”). Man taggt den Artikel stattdessen mit “DETOX, DIÄT, EAT CLEAN, GESPRÄCHSSTOFF, GREEN, SMOOTHIE, TEATOX, VEGAN” und baut einen Header aus Fotos von Models und besonders hübschen Grünteedosen.
Damit gibt man einem alten Problem nur eine neue Verpackung. Dabei war schon an den früher so gefürchteten Pro-Ana-Blogs nicht die Darstellung des Verhungerns an sich das gefährliche Element, sondern die Glorifizierung ernstzunehmender psychischer Störungen bei kompletter Negation der Gefahren, bar jeglicher Reflexionsfähigkeit, die in vielen Fällen dem jungen Alter der Autorinnen und vielleicht auch der relativen Frische ihrer Erkrankung zuzuschreiben war. Die Realität einer vielleicht tödlich verlaufenden Krankheit, die in jedem Fall ein großes Loch ins eigene Leben und Selbstwertgefühl frisst, verschwand unter Glitzer. Erste wissenschaftliche Artikel über diese Form von Blogs gab es schon 2003, aber es scheint nicht so, als wären wir heute wesentlich weiter.
Wir sollten die Öffentlichkeit des Internets nutzen und über das sprechen, was uns bewegt und besorgt, und wir sollten auch im Privaten zu unseren zwiespältigen Gefühlen stehen dürfen, dazu, was diese Welt mit uns macht, und uns nicht schämen, uns Rückendeckung zu holen im Kampf gegen unrealistische Ideale und dafür, den Mut aufzubringen, wir selbst zu sein, egal ob wir aussehen wie die Frauen auf den Werbeplakaten oder nicht.
Und es ist zum Heulen, dass Blogger, die ich als Leserin näher an mich heranlasse als ein einzelnes blödes Klum-Plakat an der Bushaltestelle oder Fotostrecken in Frauenzeitschriften (die ich nicht mehr kaufe), nicht merken, dass sie für mich schon längst viel wichtiger sind, wichtiger sein können, wenn sie sich denn trauen.
Aber vielleicht geht das auch zu tief, es berührt unser Selbstverständnis und wie wir mit bedrohlichen Situationen, Ängsten und anderen negativen Gefühlen umgehen und was es heißt, Raum für sich zu beanspruchen in einer Welt, die uns diesen möglicherweise nicht einfach so zugesteht, wenn wir nicht in die vorgefertigten Schablonen passen. Da ist es natürlich einfacher, über Lippenstift zu schreiben, selbst wenn dabei der Magen knurrt.