Die müssen sich verrechnet haben.
Also das muss man ganz klar sagen, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat doch überhaupt keine Ahnung. Oder es kann nicht rechnen. Jedenfalls verwahre ich mich hier ausdrücklich gegen die Unterstellung, dass man mit einem Nettovermögen von 217000 Euro schon zu den 10% Vermögendsten des Landes gehört. Die haben mindestens einen Nuller vergessen.
Ich mein, dass die Lage der Deutschen ansonsten wirklich übel ist, weiss ich auch. Als ich nach Teneriffa geflogen bin, war diese Zeitschrift Focus am Stand ausgelegt und fragte, wie man 50.000 anlegen sollte. Das ist wirklich eine schwere Frage, denn diese Summe ist nichts Halbes und nichts Ganzes, dafür bekommt man keine relevante Immobilie, und wenn man keine relevante Immobilie hat, bringt es auch nichts, ein paar Basissilberkannen und eine kleine Gemäldegalerie zu erwerben, das muss schon Hand in Hand gehen. Ich weiss nicht, was der Focus empfohlen hat – die aktuellen Modenachfolger von Internet- und Windkraft-Aktien, nehme ich an – aber mein Rat an die finanziell geknechteten Massen wäre bei solchen Summen: Gründung einer Partei für die Weltrevolution zur Beendigung dieses Elends.
Weil es natürlich überhaupt nicht so ist, wie das DIW behauptet. Nur mal ein Beispiel. Schauen Sie, draussen bei meinen Eltern im Westviertel wurden gerade die letzten kleinen Häuser abgerissen, um sie durch etwas noch Bescheideneres zu ersetzen: Ein Haus mit mehreren Wohnungen nämlich. Und Gartenanteilen. Das bedeutet, dass man heute nicht mehr eine Villa kaufen muss, um in den Genuss einer guten Adresse zu kommen, sondern auch ganz klein einsteigen kann. Westviertel für Arme, gewissermassen, und Sie können sich ja vorstellen, wie begeistert alle sind, dass uns eine Immobilienfirma nun diesen raumoptimierten Klotz hinstellt und Nachbarn, die gezwungen sind, auf den Schnitt einer Wohnung zu achten, weil sie wirklich jedes Zimmer brauchen. Für sich selbst, nicht für die Katzen. Aber auch die brauchen, um hier mitspielen zu können, pro Person diese 217.000 Euro und noch etwas mehr, nur um dann am Ende keine Villa zu haben. Und das soll Oberschicht sein?
Gut, mir ist natürlich bewusst, dass die Rechnung des DIW alle Erwachsenen berücksichtigt. Sollten die Eltern dem Kinde zum Studium keine Wohnung in einer guten Stadt kaufen, ist es natürlich so gut wie unmöglich, mit zarten 19 Jahren schon zu dieser angeblichen Spitze aufzuschliessen. Aber selbst dann ist da nur diese Wohnung, und in Teneriffa sah ich die Folgen: Da waren fast nur alte Leute und ich war der einzige unter 50 Jahren, der über zwei Wochen in diesem Hotel sichtbar geworden ist. Es gibt auch junge Leute dort, manche spielen Gitarre auf der Strasse und andere kaufen daneben reduzierte Sonnenbrillen, aber die wohnen offensichtlich irgendwo, wo es billiger ist. Diese noch besitzlose Jugend wirkt sich auf eine derartige Statistik negativ aus, und natürlich auch auf das Hotel, in dessen Bar dann in der Nacht Gruppen auftreten, die wie Abba aussehen und auch deren Lieder spielen, sehr zum Gaudium der finanziellen Super Trooper, die damit ihre Jugend verbinden.
Aber selbst dann ist da noch die bittere Erkenntnis, dass dieses Vermögen in Euro – und bei den britischen Gästen noch schlimmer, in britischen Peseten – berechnet wird, was langfristig betrachtet in etwa so viel Stabilität wie der Teide hat, der Vulkan, der sich über Teneriffa erhebt. Es ist eine ganz schreckliche Vorstellung, dass bei diesen 217.000 auch noch sehr volatile Vermögensanteile dabei sein könnten, man erinnere sich da etwa an Zypern, die gerade die Privatisierungen stoppen, weil die Welt gerade in der Ukraine andere Probleme hat: Eigentlich müsste man da noch einen Risikoabschlag einpreisen, und ein gewisses Notpolster herausrechnen – es kann ja immer mal sein, dass die Waschmaschine kaputt geht, eine Öllieferung kommt oder eines dieser französischen Pastelle wie jenes, das mich gerade dazu zwingt, noch schnell im Februar einen Beitrag zu verfassen. Ich würde es lieber so sagen: Wer diese 217.000 jederzeit flüssig hat, und zwar verteilt zur Streuung des gesamtwirtschaftlichen Risikos, dem geht es gut. Aber wenn die Zahlen des DIW stimmen, dann geht es der Mehrheit der Minderheit eher nur so mittel. Und ich finde es auch richtig, dass die Rentenansprüche da nicht eingerechnet werden: Das ist nämlich auch nicht recht viel besser als die Ansprüche auf Genussscheine von Windkraftanlagen oder Profite aus Lehman-Zertifikaten, oder Bitcoins auf einem Mt.Gox-Konto. Es gibt so viel Werbung für Altersvorsorge: Wäre die Rente sicher, bräuchten wir das nicht.
Wie auch immer: Ich hätte zum Beispiel erwartet, dass man in dieser Klasse eine kleine Fluchtmöglichkeit vor den Sorgen des Alltags hat. Das ist so eine grundlegende Jugenderfahrung bei uns. Also bei mir war es jedenfalls so, dass ich eine Wohnung in München hatte und eine kleine, winzig kleine Dachwohnung daheim, aber immerhin mit 20 m² Dachterrasse und zwei Zimmerchen und das war schon ganz angenehm bei der Organisation des Lebens, man hat immer etwas, wohin man gehen kann, wenn es woanders langweilig ist. Das ist so eine Erfahrung, die man eigentlich voraussetzt, diese Abwesenheit von Zwang, immer am gleichen Ort zu sein – nicht umsonst wehren sich ja auch die Asylbewerber gegen die Residenzpflicht, und sie haben vollkommen recht, eine Zweitresidenz macht das Leben einfach schöner. Aber das DIW hantiert jetzt mit diesen brandgefährlichen, elitenzersetzenden Zahlen und behauptet indirekt: Das ist bei vielen finanziell gar nicht möglich. Das ist üble Nachrede, ja meinen die, wir seien auf der Brennsuppn doheagschwumma? Ich mein, mir ist schon klar, dass nur 15000 in der Nähe des Tegernsees wohnen und 82 Millionen nicht, aber es in dieser Härte vorgerechnet zu bekommen, das tut mir weh.
Wie man das lösen soll, weiss ich natürlich auch nicht, sollte sich das DIW nicht doch verrechnet haben (schaut bitte, bitte nochmal nach, ja? Habt Ihr auch Auslandskonten und die Scheine unter dem Teppich und den Basen der Statuen berücksichtigt?). Auf gar keinen Fall will ich jemandem mit 217000 seine Freude kleinreden, es an die Spitze geschafft zu haben, ich hätte dieses Land einfach nur gerne etwas, naja, vermögender. Und zwar bitte ohne Umverteilung, denn natürlich sehe ich auch die andere erschreckende Zahl von 83.000 Euro, die der Deutsche im Durchschnitt haben soll. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass jeder normale Millionär 12 Deutsche ohne Vermögen auf der anderen Seite nur sieht, wenn er sich diese Zahlen mal durchdenkt. Vom Durchschnitt kann sich einer viel und 12 nichts leisten, so ist das mathematisch. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Es ist einfach nicht schön.
Vermutlich kommt dann bald wieder ein Bericht der Bundesregierung, der erzählt, dass es mit der Ungleichheit gar nicht so schlimm ist und man ja auch sehen muss, was der Staat einfach so an seine Bürger verschenkt, Sicherheit, saubere Strassen in Süddeutschland. massive Blumenbeete in Kurorten und die theoretische Möglichkeit, dass in Berlin nach einem Jahr die Matratzen auf den Gehwegen ausgetauscht werden. Das ist sicher richtig, aber eine breitere Oberschicht wäre einfach angenehm, allein schon bei der Partnerwahl und für die Freizeitgestaltung. Was wir brauchen, ist mehr sozialer Ausgleich für die Ärmsten der Reichen, das ist gut für uns und sicher auch nicht schlecht für Teneriffa, wo viele gerade unverkäufliche Ferienimmobilien auf jene warten, für die wir am Tegernsee keinen Platz mehr haben.
Sozial ist, was Reichtum schafft. Das DIW sollte deshalb genauer rechnen und nachschauen. Es gibt ja auch noch Luxemburg. Das haben sie auch übersehen.
HINWEIS:
Nicht übersehen sollte man auch das gefällige, problemlos arbeitende Kommentarblog.