Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Vatertag, nüchtern betrachtet

Man sollte besser "Nochvatertag" sagen: Im Zeitalter von Scheidung und Patchworkfamilien reichen schon nichtige Anlässe aus, um die moderne Beziehungskultur in Zweifel zu ziehen.

Oh Mensch tritt ein, die Sorgen lass, schon rollt der Wirt ein neues Fass
Inschrift im Hof des Roten Adler in Kaltern.

Stellen wir uns – zum Glück nur theoretisch – vor, ich wäre heute verheiratet und hätte mein Leben zudem mit Kindern und Karriere zugebracht, wobei Letztere zur Finanzierung der Ersteren herhalten müste. Und nun würde ich Frau und teuren, verzogenen Bratzen Lebewohl sagen – Zweiteren, sofern ich sie überhaupt telefonisch erreiche – und ein paar Tage nach Südtirol fahren, mit einem Freund, um in diesem fortgeschrittenen Alter Pässe und Berge zu erklimmen, wie jenen Penegal und den Mendelpass, die sich wolkenbekrönt vor meinem Hotelzimmer in Kaltern erheben. Hinter mir steht ein sündhaft teures Rennrad, dessen phantastisches Leichtgewicht gar nicht zur körpereigenen und mit einem Leiberl mit absurden Weltmeisterstreifen versehenen Erdenschwere passt, die mich beim Weg nach oben zurückhalten wollen wird.

Es ist leicht vorhersehbar, was man und besonders die Freundinnen der zurückgelassenen Gattin sagen würde: Dass sie sich nichts denken soll, immerhin ist es nur ein Rad, das ich besteige, und nicht die Sekretärin ober die Praktikantin. Dass ich sicher wiederkomme und nicht mit ihrer Yogalehrerin durchbrenne. Dass ich meinen Körper noch natürlich und günstig in Form bringe und sie doch froh sein kann, dass somit genug Geld da ist, damit sie in 10 Jahren, wie das heute üblich wird, aus der angeblich ananasartigen Furchenlandschaft ihres Gesichts wieder einen vorzeigbaren Pfirsich-Melba machen lassen kann, der übercremt und sahnesüss dem Publikum gefallen kann, wenn sich noch jemand mit Photoshop an das Promobild setzt, und der Frisör sich so reinhängt, wie ich das am Penegal tun werde. Kurz, man würde sie beruhigen und meinen, das sei nur eine ganz milde Form der Lebenszweifel, die einen verheirateten Mann in der Lebensmitte zu überkommen belieben.

Denn natürlich kennt jede die grauenvollen Geschichten, die in diesem Alter Männer sonst ihren Frauen antun. Obskure Freizeitaktivitäten auf familienkassenruinierenden Geräten sind da noch das kleinste Übel. Oft genug finden die Männer, dass sie nun genug für die Arterhaltung getan haben, und brennen mit einer Jüngeren durch. Manchmal gründen sie noch einmal Firmen, die nicht laufen, oder wechseln den Beruf und immer, wirklich immer, sind das egomane Handlungen, mit denen sie ihre eigene Person in den Mittelpunkt stellen. Kläglich ist ihr Bild in den Medien anzuschauen, und dieses Schreckgespenst wird gern gezeigt, um Frauen beizubringen, was sie denn sonst noch so alles tun sollten, um den Kerl auf Linie zu bringen.

Bei Frauen ist das natürlich anders. Frauen wollen natürlich keine überteuerten Rennräder und keine jüngeren Lover – Tucholsky sagte einmal sehr weise über sich, er bekäme jede, die er wollte, weil er nur die wollte, die er bekäme, und das nehmen sie sich zu Herzen und nehmen lieber gar nichts, wie ich das ja auch mache. Dafür geht das Engagement dann gern in einen Aktivismus, der wenig kostet und viele Möglichkeiten bringt, sich selbst als gut und richtig darzustellen. Ja Schatz, müsste ich dann sagen und Du hast ja Recht Schatz. Grinsen müsste ich trotzdem in der Einfahrt meines Hotels, wo geschrieben steht „Alter Wein und junge Weiber sind die besten Zeitvertreiber“. Mehr vielleicht als ich es jetzt tue, wo ich doch gar keinen Alkohol trinke und nur zum Radeln hier bin – Südtirol ist zwar das Land, in dem man sich immer dazusetzen und lustige Lieder singen kann, aber es gibt natürlich Grenzen, und im Kern sind die Leute hier recht sittenstreng. Man kann sich mit ihnen die Zeit vertreiben, aber nicht die ehelichen Defizite.

Aber das braucht es auch gar nicht. Denn die wahre Gefahren sind, soweit ich das von den in meinem Alter sehr üblichen Scheidungen mitbekomme, gar nicht die g’schlamperten Verhältnisse oder die Seitensprünge. Oder was sonst immer gern imaginiert wird von jenen Damen, die sich Feministinnen nennen und das eigentümliche Bild des Mannes als immer bereiten Wüstlings im Sinne der victorianischen Epoche haben, ganz so, als lebten wir noch in einem Gesellschaftsroman und nicht in einer überkorrekten Sowohl-Alsauch-Kolumne, die von einer ZEIT-Lektorin abgesegnet wurde. Es könnte, so mag es mir scheinen, eher etwas das Trennende werden, was ich hier am Berg wirklich finde: Die Ruhe. Die Begrenzung auf ein ganz einfaches Leben frei von all den Belastungen, die ein komplexes Konstrukt aus Familie, Karriere, Planung und Vorsorge mit sich bringt. Jeder weiss, dass eine andere Frau auch wieder neue Probleme nach sich ziehen kann, aber so ein Urlaub mit geringen Mitteln und einfachen Zielen wie Ankommen, Essen, Schauen und Weiterfahren könnte mehr das sein, was jene wirklich brauchen, die insgeheim einfach die Schnauze voll haben und gern im Strahl kotzen würden, wenn die nächste Freundin der Gattin ein noch besseres Familienleitbild postuliert.

Natürlich wäre der Wüstling, der Don Giovanni, mit einer anderen, einer Zerlina, insgesamt betrachtet eine schönere Erklärung, wenn es dann auseinander geht. Denn dass jemand versucht, sich zu optimieren, ist allgemein als natürlicher Trieb anerkannt bei Mann und Frau, es passt wieder ganz gut in diese Epoche des Wachstums. Und dann ist da auch noch das beruhigende Gefühl, dass die Gründe woanders zu suchen sind, dass andere mehr geboten haben, hinterhältiger waren, was auch immer – die Gründe jedenfalls werden so externalisiert, wie das heute auch bei Bankenzusammenbrüchen, Softwarefehlern, den Erfolgen der AfD-Honks in Bayern und dem Versagen der Piraten üblich ist. Die Berufung auf externe Gründe ist systemkonform und macht es leichter, nicht bei sich selbst zu suchen, denn wenn da wirklich gar kein alter Wein und kein junges Weib wäre, dann müssten die Gründe in der Beziehung selbst liegen. Wenn schon so etwas Banales wie eine Fahrt den Berg hinauf so eine Entscheidung auslöst, so eine Nichtigkeit, ist es schlimm, sehr schlimm.

Dabei ist es nicht „Nichts“. Es ist sehr viel, gerade in unserer Zeit der konsequenten Überforderung. So ein Pass ist ein einziges, begrenztes Ziel, er ist zumeist machbar, und man sieht an den Strassenpfosten, an den Serpentinen und den Schildern, dass man es langsam erreicht. Man kann auch mal absteigen und warten. Wo ist der Spass darin, sich so zu schinden, fragen mich vor allem Frauen und die Antwort ist, dass es hart ist, heiss und einen an körperliche Grenzen bringt. Aber jeder Pass, das habe ich gelernt, ist irgendwann vorbei und oben ist immer eine Bank und eine Hütte, durch deren Fenster die Schlutzkrapfen gereicht werden, und danach bin ich zufrieden. Wenn ich aber höre, wie die Beziehungen der Moderne im Moment so laufen, dann werde ich den Eindruck nicht los, dass sich nach jeder Steigung der Beziehung gleich eine neue Rampe aufbaut. Und letztlich verlieren sie den Glauben, jemals oben anzukommen und einfach nur dasitzen zu können. Mir geht das am Pass auch immer so, jeden Meter möchte ich umdrehen, aber ich weiss: Er wird sein Ende haben. Und deshalb gebe ich nicht auf. Aber wir leben nun mal auch in einer Realität, in der Frauen bei Twitter fragen, ob sie einen Terrassenbelag von 1936 entfernen lassen sollen, weil ihn die Nazis gelegt haben – wahrscheinlioch würden sie auch die Sprenung des Doms von Siena fordern. Da ist sie dann, die nächste irre Rampe in der Lebensoptimierung: Schatz, der Terrassenboden, das kann so nicht bleiben, habe wir gerade mal 25000 rumliegen?

Am dritten Tag hat es geregnet, und wir sind an den Gardasee gefahren, hinein in die Sonne, ins Licht. Erst am Abend kam der Regen über den See hoch nach Torbole, und auf einer Bank am Ufer sass ein altes Paar und hat einfach zugeschaut, lange und bewegungslos, wie der Wolkenschleier Malcesine, Limone und Tempesta einhüllte. Auch das ist, wie so eine Passauffahrt, nichts von Bedeutung. Es passiert nichts, es ist keine Sensation und es gibt keinen verwertbaren Gewinn, und doch ist dieses Nichts in meinem Augen sehr viel mehr als all die kaputten, kranken Beziehungen meines Umfelds. Eine Freundin hat die letzten Tage mal gesagt, ihre Hoffnung wäre, der Feminismus würde nicht eine höhere Quote an Frauen in die Wirtschaft an wichtige Positionen bringen, sondern vor allem Frauen, die die Wirtschaft menschlicher machen. Ich würde das gerne glauben, aber meine Erfahrung ist eine andere, und wenn ich Recht habe und die Nazisteinbeklagerinnen und runderneuerten Melbas Recht bekommen, wird das Bild am See der Alten, Zufriedenen, Zerfurchten und Gemeinsamen allenfalls die Hoffnung bleiben, und die Entfremdung mitsamt ihrem hohen Preis die Normalität.

HINWEIS:

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