Einleitung: Von dieser Überschrift darf ich, Don Alphonso, mich schneller angesprochen, als mir offen gesagt lieb ist, denn die Zeit eilt und eben war ich doch erst noch 22 und hatte ausser noch 8 Semestern feierrn und ausgehen eher wenig im Kopf – schon gar keine Gedanken über Altersvorsorge, Generationengerechtigkeit und Schuldenstände. Und wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, denke ich auch heute und im Moment lieber an meine nächste Bergtour als an die Rente oder das was davon übrig bleiben sollte. Zum Glück ist die junge Generation zumindest in Person von Katharina Nocun ganz anders und im Gegensatz zu mir bei halbem Alter auch sehr erwachsen. Sie war politische Geschäftsführerin bei den Piraten, und betreut heute neben der Snowden-Kampagne bei Campact auch noch fünf Kälber und war so freundlich, in einem Gastbeitrag ein paar unangenehme Dinge so zu erklärt, dass auch ich sie nachvollziehen kann:
Wenn man an der S-Bahnhaltestelle Hamburg Dammtor aussteigt und auf die Uni zugeht, kann man es gar nicht übersehen. Links neben einem altehrwürdigen Bildungspalast aus vergangener Zeit steht eine große silberne Installation. Das eine passt nicht zum anderen. Und deshalb fällt es auf.
2011 wurde die Vermögens- und Schuldenuhr aufgestellt. Sie zeigt die wachsende Verschuldung der Stadt Hamburg und gleichzeitig das steigende Vermögen der reichsten zehn Prozent der Hamburger. Die Zahlen driften im Sekundentakt immer weiter aus einander. Auf dem digitalen Anzeigefeld rattern rote Zahlen unaufhaltsam. Die Summen sind gigantisch.
Wenn man einmal alle Feel-Good-Literatur über meine Generation außen vor lässt, bleibt eine beängstigende Tatsache: Seit 1945 war unsere Gesellschaft nie so ungleich wie heute. Nie zuvor war die Schere zwischen Arm und Reich so groß. Die heutigen Rentner erleben, verglichen mit dem was kommen wird, ein letztes goldenes Zeitalter des Sozialstaats. Ihren Kindern hinterlassen die Alt-68 einen Schuldenberg inmitten des entfesselten Turbokapitalismus. Aufgewachsen in der Überflussgesellschaft nagt eine ganz neue Sorge an uns: Wir könnten die erste Generation sein der es nicht besser gehen wird als ihren Eltern. Dabei ist genau das, was sich alle Eltern für ihre Kinder wünschen.
Neben dem großen Audimax am Campus der Uni Hamburg hatte sich vor einigen Jahren jemand einen Spaß daraus gemacht, ein Loch zu buddeln. Darüber trohnte ein Schild, auf dem in großen Lettern stand: „Haushaltsloch“. Ich weiß nicht, wann es jemand wieder zuschüttete. Fakt ist: Das echte Haushaltsloch ist immer noch da. Die öffentlichen Schulden sind zwar 2013 erstmals seit 1950 absolut um 30,3 Milliarden gesunken. Dieses Wunder verdanken wir jedoch nicht einer langfristigen Strategie, sondern einmaligen Sondereffekten in staatlichen Nebenhaushalten. Der Schuldenberg hat die Marke von 2 Billionen Euro in Folge diverser Bankenrettungen bereits vor geraumer Zeit überschritten. Im Haushalt für 2013 wurden fast 33 Milliarden Euro allein für Zinszahlungen reserviert. Das ist der drittgrößte Haushaltsposten – bei einem historisch niedrigen Zinssatz und guter Wirtschaftslage wohlgemerkt. Natürlich sind das nur Zahlen, und Geld ist nur Papier. Aber es gibt wenige Möglichkeiten, sich für einen Staat schnell und unkompliziert zu entschulden, die nicht in einem zeitweiligen Wirtschaftskollaps münden.
Von Jahr zu Jahr sinkt der Handlungsspielraum. Der Bundestag verhält sich wie ein Gast, der jeden Abend in die Bar kommt und einen Whisky nach dem anderen anschreiben lässt. Die Kinder würden später einmal Manager werden, wird in Richtung Bar gelallt. Richtig viel verdienen werden sie, die Welt bereisen und dementsprechend später die Rechnung zahlen. Das Problem ist nur, dass die wenigsten von uns Manager werden. Geschweige denn luxuriöse Gehaltszahlungen erwarten. Denn unser Alltag ist die Krise. Der Subprime-Crash zermalmte jedes Gefühl der Sicherheit. Nichts hätte eindrucksvoller zeigen können, wie zerbrechlich die trügerische Sicherheit ist, in der wir leben. Danach kam die Euro-Krise.
Vor der mit Landesmitteln alimentierten HSH-Norbank kampierte 2011 Occupy Hamburg. Es herrschte Aufbruchstimmung. Nur ohne Aufbruch. Denn während die einen abends den Besetzern lauschten, paukten die anderen fleißig, um in Regelstudienzeit fertig zu werden. Immer auf der Jagd nach dem nächsten Schein, dem nächsten Credit Point, dem nächsten Praktikum oder damit beschäftigt in einem Callcenter die Miete zu verdienen. Aber die meisten schauten wahrscheinlich eher amerikanische Serien im Stream, und haben innerlich längst kapituliert.
Zu Zeiten Rudi Dutschkes war es einfach, zur Revolution aufzurufen. Egal aus welcher politischen Ecke man kam, so waren die Fronten doch klar. Was der Russe für die einen war, gab Springer für die anderen her. Die politischen Manifeste der Studentenbewegungen triefen von ideologischem Pathos, der vielen Autoren heute wahrscheinlich schlichtweg peinlich wäre. Unvergessen bleiben die Bilder von „Ho Ho Ho Chi Minh!“ rufenden deutschen Studenten.
Wer in die heutige Zeit hineingeboren wird, für den stellt sich die Lage komplizierter dar. Wir haben Ideologien an uns vorbeiziehen und ihre Führer alt, träge und etabliert werden sehen. Der Joschka Fischer von damals wäre gegen den rot-grünen Außenminister in tadellosem Zweireiher auf die Barrikaden gegangen. Nach der Einführung von HartzIV und dem Krieg im Kosovo wäre mit großer Sicherheit der eine oder andere Stein geworfen worden. Wir haben gesehen, wie Sozialdemokraten Sozialabbau salonfähig machten und die Union den Atomausstieg endgültig besiegelte. Wir glauben alles mögliche, aber keine Wahlversprechen.
Wir hegen keinen grundsätzlichen Groll gegen den Kapitalismus, aber wir lieben ihn nicht. Wer in einer Zeit aufwächst, in der ständig von Wettbewerbsdruck, Globalisierungszwängen und Alternativlosigkeit die Rede ist, der lernt schnell, dass die Wirtschaft nicht dafür da ist, um uns dienen, sondern dass wir Bereitschaft mitbringen sollen, unsere Arbeitskraft in den Dienst der Wirtschaft zu stellen. Wenn behauptet wird, dass Mindestlöhne schlecht für die Wirtschaft sind, werden schließlich auch zuallererst die Mindestlöhne infrage gestellt. Nicht die Wirtschaft. Oder gar das Menschenbild, das hinter solchen Fragen steht. Zwänge machen pragmatisch. 2009 gingen mehr Menschen als während der Unruhen von 68 auf die Strasse, um gegen Bildungsgebühren auf die Straße, statt sich an Weltrevolutionen zu versuchen. Die Welt ist zu komplex für den Glauben an das eine perfekte politische System. Alles ordnet sich einer erdrückenden Alternativlosigkeit unter.
Mehr als die Hälfte der Wähler ist älter als 50. Menschen in meinem Alter sind nicht mehr die Zielgruppe für die Parteien. Eine große Reform des Rentensystem wäre in Anbetracht der Lage politischer Selbstmord. Gespart wird hingegen gerne bei langfristigen Investitionen wie Bildung und Infrastruktur. Über neue Einnahmen zu reden wäre schließlich ein politisches Risiko. Der Schuldenberg wächst so immer weiter und gibt jeder Nachfolgeregierung ein um wenige Millimeter enger geschnürtes Korsett aus Zinsverpflichtungen mit. Die Reichen werden sicherlich reich erben, die Armen erben zumindest ihren Anteil an den kollektiven Schulden. Doch wer denkt, die Politik ignoriere die Demographie bei Haushaltsplänen im Fünfjahrestakt, der irrt. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und nach der Wahl gibt es stets mehr ältere potentielle Wähler. Die Babyboomer marschieren auf die Rente zu. Und wo die Babyboomer sind, da ist die Mehrheit. Da ist die neue Mitte.
2031 geht dieser geburtenstärkste Jahrgang in Rente. Zeit ist unser kostbarster Besitz, wenn es um die Frage geht, wie dieser Konflikt entschärft werden kann. Denn die Zeit wird zunehmend knapp. Im Raum stehen viele Vorschläge. Beispielsweise eine große Rentenreform, bei der alle in einen Topf einzahlen und vom Manager auf die Krankenschwester umverteilt wird. Doch an den Pensionen der Beamten zu rütteln, gilt in den Volksparteien als politischer Selbstmord. Ein Zukunftsbeirat wäre denkbar, der Gesetzesvorhaben auf ihre Folgen für unsere Kinder hin prüft. Doch wer die Rente mit 63 ohne sozial gerechte Gegenfinanzierung beschließt, wird sich wohl kaum einen derartigen Bremsklotz für die eigene Politik ans Bein binden wollen. Alles was unsere Gesellschaft bräuchte, wäre nur ein wenig Mut. Und die Bereitschaft sich des eigenen Zukunftsatheismus zu entledigen.
Keiner traut sich die Wahrheit auszusprechen, doch eigentlich wissen es alle. All jene, die politische Ämter mit Wahlgeschenken erkaufen, deren Finanzierungsmodell nicht über die eigene politische Karriere hinausreicht. Alle, die den Schuldenberg mit politischem Flickwerk weiter in die Höhe treiben, statt langfristig stabile Systeme zu schaffen. Politiker, die Nachhaltigkeit vor allem als eigene Daseinsvorsorge verstehen. Hier wird ohne Not der soziale Sprengstoff der Zukunft angerührt. Dabei wollen wir doch eigentlich alle, dass es unsere Kindern einmal besser haben.