Vorbemerkung: Thema dieses Blogs sind die Reste der westdeutschen Oligarchie nach der Eroberung des Landes durch die DDR vor 25 Jahren. Diese Oligarchie wird durch Anstand, Regeln, Ethik und Ausplünderung durch fast gewaltsame Umverteilung in ihren Möglichkeiten beschnitten – aber wie wäre es, wenn all dies nicht gelten würde und Geld in grenzenlosen Mengen vorhanden wäre? Das Worst Case Szenario – geschmacklos, neureich und und weit im Osten liegend – hat Katrin Rönicke in der Ukraine besucht:
Kiew versinkt in dichtem Nebel, als einer dieser kleinen Busse, wie sie in Gelb und Blau durch die Stadt und hinaus aufs Land fahren, sich nach Meschihirija aufmacht. Die Fahrt dauert eine gute halbe Stunde, dann kommen die 20 Journalisten, die im Bus saßen, vor einem Tor an, das auf das Gelände der Residenz des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch führt. Links vom Eingang ist ein Schild aufgestellt, das darüber aufklärt, dass man von den Hunden keine Fotos machen darf. Janukowitsch hatte einige Hunde, aber man wird uns nicht zu ihnen lassen, denn angeblich ist es zu gefährlich.
Das Gelände ist 1.400 Hektar groß. Es gibt einen eigenen Zoo, eigene Straßen (ob es auch eine eigene Straßenverkehrsordnung gibt, frage ich mich), diverse Häuser, die verschiedene Zwecke erfüllen:
Da ist die kleine Villa, in die Janukowitsch Journalisten zu Partys einlud. Das Bankett dort soll großartig gewesen sein. Man kann es nur von der Ferne sehen, es ist eingezäunt und nicht Teil der öffentlich zugänglichen Fläche. Da ist die Gebäude-Anlage für die Hunde, die wir nicht betreten sollen. Und eine riesige Halle mit einer Art Tourbus und einem runden Grill-Boot. In der Halle fegt eine Frau die Spinnweben und den Staub von Tischen und Stühlen. Sie ist ansonsten fast leer, auf Fotos aus der Zeit, als die Menschen dieses ukrainische Neverland frisch für sich erobert hatten und ihre Erlebnisse dort auf twitter teilten, sind Boote und Jachten zu sehen. Anna Babinets, die uns für Yanukovychleaks hier herumführt, erzählt, wie sie nach seiner Flucht im Februar etwa 25.000 Seiten verschiedener Dokumente aus dem See gefischt und auf dem Boden der riesigen Halle getrocknet haben. Sie und mehrere freiwillige Kollegen, darunter auch Kateryna Kapliuk, haben diese Dokumente in tagelanger Arbeit gelesen, sortiert und schließlich im Netz veröffentlicht. Sie sind Zeugen der korrupten Machenschaften, die es dem Präsidenten erst ermöglichten, sich sein Neverland zu erschaffen: Es waren nicht die Geschäfte, wie bei anderen Oligarchen des Landes, die ihm diesen Reichtum einbrachten. Streng genommen war er niemals ein Oligarch. Es war die Korruption, es waren Transferleistungen für eine bestimmte Politik, die Kapliuk zufolge von verschiedenen Investoren, deren Namen nicht herauszubekommen sind, auf ein Bankkoto der Bank gingen, die Janukowitschs Sohn gehörte.
All das ist ein gutes halbes Jahr her. Heute ist das Gelände eine Art Volkspark für gestresste Kiewer Großstadtbewohner geworden. Am Wochenende muss hier die Hölle los sein: Die Leute schnallen sich die Inline-Skates um und sausen die Straßen entlang, sie trainieren mit ihren Rennrädern, sie flannieren mit Kinderwagen, sie baden im See und lassen Hochzeitsfotos schießen, in weiß und dick geschminkt. Neben der pompösen Galeone liegt ein kleines Büdchen. Der Betreiber ist der vielleicht langsamste Büdchenbetreiber der Welt, er verkauft Kaffee, Snacks, Kola und Limo in Dosen und ein ausgesuchtes Sortiment an „Souvenirs“, die meisten nicht ohne bissige Satire in Richtung Russland und Putin.
Unweit der Galeone und des Büdchens putzt sich ein schwarzer Schwan das Gefieder, inmitten eines großen Teichs. Ein Weg führt zu Janukowitschs Gästehaus, das weniger opulent daherkommt, als man vermuten könnte. Es wirkt, als habe er die Journalisten besser beherbergt. Drinnen führt ein in militärischen Klamotten gekleideter Herr durch die Räume. Er spricht leider kein Englisch, nur Russisch oder Ukrainisch, was ich leider immer noch nicht unterscheiden kann. Er lästert über die etwa 100 Flüchtlinge aus dem Osten, die in einer weiter oben gelegenen Unterkunft untergebracht sind und sich seiner Meinung nach nicht benehmen können. So ist der Lauf der Geschichte: Stellvertretend für die Zivilgesellschaft, so denkt er, bewacht er Haus und Grund des verschwenderischen und korrupten Janukowitschs, seine ganze Sorge gilt dem Erhalt dieses Geländes als Erinnerungsort, als Museum und doch hat er für jene, die auch als eine Folge der verfehlten Politik der letzten Jahre – Jahrzehnte vermutlich – aus ihrer Heimat vertrieben wurden kein gutes Wort übrig. Es fehlt ihm schlicht die Empathie.
Unser letztes Ziel ist das Haus Janukowitschs selbst. Der Weg dahin führt vorbei an einem riesigen Golfplatz, entlang einer Anlage rund um den Hubschrauberlandeplatz des Ex-Präsidenten, die heute vom ukrainischen Militär genutzt wird und durch einen liebevoll angelegten Japanischen Garten in dessen Mitte es liegt: Durch und durch aus Holz, es könnte Lärche sein oder Eibe, riesig und tatsächlich sehr schön. Würde ich mir jemals ein Haus leisten können und könnte es so aussehen, wie ich will, und nicht, wie mein Geldbeutel will, na klar: Es wäre aus Holz. Durch und durch. Überhaupt: Was würde man sich selbst erlauben, wenn man könnte, wie man wollte? Wenn man einfach nur wollen müsste und das können sich schon irgendwie ergibt?
Man muss es schon zugeben: Es überkommt einen eine Art kindlicher Übermut, der Junge am Springbrunnen vor dem Haus strahlt genau dieses Gefühl aus, der kleine, lachende, dickliche Janukowitsch, man will springen und lacht ständig laut auf, einfach aufgrund des Wahnsinns drumherum. #wahnsinn wird so auch das hashtag, das die Zeit-Journalistin Maike Dülffer diesem Ausflug auf twitter zuordnet. Wir betreten ein etwas abseits gelegenes Gebäude, das, wie sich offenbart, eine Bowlingbahn beherbergt. Blaue Plastiktüten müssen über die Schuhe gezogen werden, das kostbare Parkett verlangt es so. Unter der Bowlingbahn, im Keller, liegt ein Boxring, drumherum verschiedene Gerätschaften zum Muskelaufbau, über dem Boxring eine gläserne Decke, kugelförmig, erinnert mich spontan an die Kuppel des Berliner Reichstag. Könnte Zufall sein. Oder aber auch gerade nicht. Von diesem Gebäude aus führt ein unterirdischer Tunnel (!) hinüber in die eigentliche Residenz des Fürsten. Was wir bisher gesehen hatten, sollte sich dort als lachhaft herausstellen, denn selten war so viel Gold, Prunk und Größenwahn. Der Mann hat nen Knall – aber irgendwie ist es auch geil. Während ich die Bilder zuhause bearbeite, kommt meine Tochter (4) vorbei und fragt mich, ob in diesem Haus Pippi Langstrumpf wohnt.
Wo anfangen? Wir kommen im Kellergeschoss des Hauses an. Spontan muss ich denken, dass dies der irrste Holzboden ist, den ich jemals in meinem Leben sah – aber ich weiß ja auch noch nicht, was noch alles kommt. Wir laufen zum Fahrstuhl und wieder offenbaren sich Möglichkeiten, von denen unsereins, Arbeiterkind aus der ehemaligen DDR, sich nie hätte träumen lassen: Es ist doch bloß ein Fahrstuhl – Herrgott! Aber nein: Bis ins kleinste Detail, bis in die letzte Ecke muss geprasst und verschnörkelt, verziert und geprunkt werden. Wir treten zwei Stockwerke höher aus der Tür und werden optisch von einem Kronleuchter erschlagen, den man am liebsten sofort dem Hausherrn dieses Blogs zeigen möchte! Hallo?! Geht’s noch? Der Kronleuchter ist so monströs groß, dass die Höhe eines Stockwerkes für ihn nicht ausreicht. Er baumelt im Schoße der leicht gewendelten Treppe bis in das untere Stockwerk. Man möchte ihn gerne einmal nachts erleben, wenn es duster ringsherum geworden ist. Weiter geht es in einen kleinen Raum, der eine Privatkapelle verbirgt, denn Janukowitsch war, wie es sich für einen ordentlichen Russlandfreund gehört, natürlich religiös und auch einer wie er muss ja diese Religiosität ausleben, aber das geht wohl schlecht zwischen all dem Pöbel in der öffentlichen Kirche. Bestimmt hatte er auch einen privaten Priester, raune ich dem Journalisten neben mir noch zu, bis ich mich in Gedanken für diese Annahme schelte und erkenne, dass er natürlich selbst ein Abgesandter Gottes gewesen sein wird. So Wie dieser Tebartz-van Elst eingerichtet war er ja schon. Und heiligsprechen kann man sich im Zweifel bestimmt auch selbst.
Meine persönlichen Highlights als Heidin werden jedoch das Bett und der Billardtisch sein. Das Bett im lichtdurchfluteten und dennoch sehr warmen Schlafzimmer ist der Knaller. Wir schmeißen uns drauf, strecken uns aus, recken uns und machen Selfies (ja, wir sind alle erwachsene Journalisten!). Es ist das bequemste Bett, auf dem ich jemals lag, es ist perfekt, kuschelig und doch genau hart genug. Wenn man morgens verkatert von der letzten Wodkadurchzechten Nacht auf den Balkon und sein Reich betrachtet, wie es grün und bunt vor einem liegt, ist die Welt wohl gleich viel besser. Dann ruft man schnell Ivan an und lädt ihn zu einem Wodkafrühshoppen mit kleiner Billardpartie ein. Der goldene oder vergoldetete Billardtisch (ich bin blind für diese Details der Aristokratie) ist der perfekte Ort, um mal so richtig schön mit den Kumpels beim Kippchen einen zu zwitschern und politisch-strategische Rahmenentscheidungen zu besiegeln. Danach ein Bankett an der Rittertafel, die sich im Kellergeschoss befindet, vermutlich historische Ritterrüstungen erwecken den Eindruck, dabei zuzuschauen und aufzupassen, dass keine bösen Maidan-Revoluzzer die Deals und Absprachen zwischen Wirtschaft und Politik stören. Was ich hier vor allem lerne ist, dass man sich den Spruch, Geld sei doch nicht alles, getrost in die Haare schmieren kann.
Lange habe ich das nicht glauben können. Selbst Strandspaziergänge am Tegernsee haben mich nicht veranlasst, meine bescheidene, fast spartanische Einstellung zu Geld zu ändern. Lange erachtete ich den Großteil der Luxusgüter als überflüssig, Staubfänger oder Angeberei. Aber das war ja auch alles ein viel zu kleiner Rahmen! Janukowitschs Residenz zeigt den Tegernseern, wo der Hammer hängt und ich will jetzt auch so ein Bett.