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Was darf ich Ihnen bringen?
Ja, also, die Muscheln für die Tochter. Als Vorspeise. Auf die Muscheln haben sie sich geeinigt, als die Tochter zuerst nur Fisch wollte, aber auf der Tageskarte standen so schöne andere Speisen. Kindchen, haben sie gesagt, das musst du probieren. Nicht gesagt haben sie „denn leider muss unser Schatz morgen wieder mit den Keimen und Bakterien der Unikantine kämpfen“, aber gedacht haben sie es, und sie deshalb genötigt, auch eine Vorspeise zu nehmen. Und bei den Dolce sind sie sich noch nicht sicher, je nach Lust und Laune, erst einmal den Wein. Einen guten Wein zu einem schönen Wochenende am See, das sich unter einer dramatischen Wolkenformation dem Ende zuneigt. Morgen wird die Tochter wieder allein über dem Bachelor leiden, die Eltern werden einsam die S-Klasse aus der Hotelgarage steuern, aber heute wird noch einmal richtig gefeiert.
Und geredet. Über die Probleme, die so anstehen. Zum Beispiel ist sich die Tochter nicht sicher, wie das alles weitergehen soll. Für die ersten Jahre hat die Wohnung wohl ausgereicht, aber inzwischen merkt sie die Nachteile, die lange Fahrerei mit der U-Bahn, die Lage weit draussen, und ausserdem steigen Mieten und Nebenkosten, besonders in München. Das sei alles sehr trist. Für die Eltern, die dem Aussehen nach in einem der besseren Häuser in Tegernsee logieren, ist das ein schmerzensreicher Dolch im Herz. Natürlich kann die Tochter, das steht ausser Frage, daheim allen Platz der Welt haben, aber die Zustände in München sind nun einmal eng, und ausserdem wollen Eltern immer, dass ihre Kinder es besser haben. Diese Tochter hat es nicht besser und auch, als die Muscheln kommen, bessert sich ihre Lage kaum: Die Aussicht auf ein dunkles Loch im Münchner Westen während des Winters ist nicht wirklich schön. „Es einmal besser haben“ sieht anders aus, und schon der Start ins eigene Leben ist schwierig.
Es könnte schlimmer sein, denn wenn sie etwas braucht, kommen die Eltern und finanzieren ein Wochenende an einem der oberbayerischen Seen. Sie werden immer da sein, wenn die Tochter in Bedrängnis ist und, so wie sie Anteil nehmen, auch dann, wenn es vielleicht gar nicht nötig wäre. Allgemein wird das, was sich am Nebentisch zwischen Muschelbergen und Schwertfisch in Hilfsangeboten ergeht, in den Medien als „Helikoptereltern“ geschmäht – die bittere Folge der Ein-Kind-Familie mit verwöhntem Nachwuchs und Eltern, die vom elitären Kindergarten bis zum Auslandsaufenthalt in Oxford immer auf des Beste für das Kind achten. Mit dem Ergebnis, dass die Kinder vollkommen verhätschelt und nie wirklich selbstständig werden, weil immer jemand da ist, der für einen das Leben in den Griff bekommt.
Denn das Fahrrad wird geklaut, da muss ein neues her. Ver der Prüfung wird die Ernährung auf Rockstar und Snickers umgestellt, das ist ein Alarmsignal und so wird das Kind zum Essen ausgeführt, damit es auch mal wieder auf andere Gedanken kommt. Papierkram macht der Vater und die Mutter beschäftigt sich mit der Fauna und Flora in Bad und Küche. Es gibt tausende von Anekdoten über lebensunfähige Kinder, die schon am Glascontainer scheitern und deren Kühlschrank randvoll mit verwesten Dingen ist, deren Beseitigung einen HAZMAT-Anzug empfehlenswert macht. Unter den vom Schreibtisch gewischten Ordnern findet sich auf dem korrekten stratigraphischen Niveau auch die zu Weihnachten so sehr gewünschte, dann aber verschwundene Straussenledertasche wieder. Und sollte sie doch verborgen bleiben, wird das Umzugsunternehmen Papa sie am Ende finden – es sei denn, man beschliesst, dass man die ganze Einrichtung einfach an den nächsten Mieter verschenkt, weil man keine Probleme haben will, und das Kind ohnehin alles neu bekommt.
So macht man sich lustig und verweist darauf, dass es früher ganz anders war und Kinder natürlich allein klar kommen mussten, ohne dass die Eltern jede Woche Kriseninterventionseinsätze durchführten. Das ist richtig. Ich kenne das von mir selbst und von meiner Alterskohorte. Unsere Eltern waren Helikoptereltern mehr im Sinne des Vietnamkriegs, sie flogen uns ein, warfen uns an der Landezone hinaus und schrbbschrbbschrbbten weiter in die Toskana. Ein Mobiltelephon, um sie dort zu erreichen und zu einem Sondereinsatz aufzufordern, gab es auch nicht, geschweige denn Internet. Das muss man sich mal vorstellen, wir waren wirklich mutterseelenallein ganz auf uns gestellt, drei Wochen lang und wirklich niemand war da, uns zu helfen – in unseren schicken Eigentumswohnungen exakt zwischen der Universität und der Feiermeile in jeweils 200 Meter Entfernung. Schliesslich warfen unsere Eltern niemanden einfach im Dschungel des Studiums aus dem Hubschrauber. Es gab eine sorgsam geplante, gekaufte, voll selbstfinanzierte und ausgestattete Basis, und dort lernte man im Umgang mit anderen schnell den skrupellosen Einsatz von Klassismus, wenn sie fragten, wieviel Miete man hier in dieser Traumlage bezahlte – Miete? Was ist das, Miete?
Ich habe diese Wohnung auch heute noch, und heute wird sie vermietet. Dadurch lerne ich diese viel geschmähten Helikoptereltern – „Arzt sucht für seine Tochter“ – kennen, die eigentlich, dem Gefühl nach, auch gern kaufen würden. Bei uns war das noch eine einfache Entscheidung: Das Studium dauerte minimal sechs Jahre, man blieb, wo man angefangen hatte, und dass es wirklich so sein würde, dafür sorgte auch die Annehmlichkeit der gekauften Wohnung. Es waren klare, geordnete Verhältnisse vom ersten Tag an. Das machten alle so. Es gab höchstens ein Erasmussemester, die meisten gingen nach München und kamen dann wieder, um die Praxis, Firma oder Karriere der Eltern zu übernehmen, oder wenigstens zu heiraten und eine Familie zu gründen. Schon damals wirkten solche Wohnungen abnorm teuer, und sie lohnten sich nur, wenn man sich dadurch jahrelang die Miete sparte. Im ersten Moment begrenzen solche Anschaffungen auch bei Vermögenden deutlich die finanziellen Spielräume, und würden heutige Eltern exakt jene Wohnungen kaufen, die meine Eltern erworben hätten, müssten sie mehr als eine halbe Million auf den Tisch legen. In einem Land, in dem der Reichtum bei eher bescheidenen 220.000 Euro Vermögen pro Person beginnen soll. Das rechnet sich langfristig, denn das Kind hat danach, wenn es bleibt, einen soliden Grundstock und einen sicheren Hafen – aber kurzfristig bleibt da nur selten Spielraum für weitere, üppige Zuwendungen, die per Helikopter eingeflogen werden.
Das war die Welt vor der Bolognareform, und unsere Kreise zogen wir zwischen Donau und Tegernsee. Heute sind längere Aufenthalte im Ausland üblich, dazu Studienortswechsel, Praktika bei globalen Firmen, und das alles in einem enorm verkürzten Studium und nach einem achtstufigen Gymnasium. Bevor unsereins nach – im schlimmsten Fall – Bund oder Zivildienst und all den Feiern übernächtigt nach den Hörsälen für seine Studienpremiere suchte und sie nicht fand, dafür aber ein hübsches Cafe, sind die Studenten heute schon fertig, im Sinne von „haben ihren Nachweis eines Bachelor-Halbstudienganges erworben“. Und gearbeitet wird dort, wo einen der Markt und die Karriereversuche hinwerfen. Da ist so eine Eigentumswohnung nur ein Klotz am Bein, das lohnt sich nicht, da wird dann lieber gemietet, und so bleibt einem dann auch eine grosse Ausgabe erspart. Effektiv ist das immer noch teuer, gerade in München, aber die Kosten engen das Dasein der Vermögenden nicht spürbar ein. Es ist ohne den Kauf einer Wohnung mehr Geld verfügbar, und das wird dann über Jahre verteilt in die Zukunft des Kindes gesteckt, angefangen beim der Zuppa Inglese am Nebentisch bis zur Finanzierung des MBA an der amerikanischen Ostküste. Bei meinen Eltern war der Kauf einer Wohnung noch ein Akt der selbstgewählten Grosszügigkeit, die modernen Eltern dagegen sind Getriebene der Gezwungene der Globalisierung, und müssen sich zudem in Titelgeschichten vorwerfen lassen, sie würden versagen. Ausgerechnet von Leuten übrigens, die Journalisten oder Soziologen, und noch dazu an einer Berliner Universität geworden sind. Oh the irony.
Es ist so wie überall: Die alten, patriarchalen Strukturen werden durch neue Wettbewerbe in Frage gestellt. Ständig kommt jemand mit neuen, laut geplärrten Forderungen an, für die das bisher gewohnte Leben keine adäquate Antwort hat. Wer nicht spurt, sagen sie, riskiert die Zukunft seiner Kinder. Alte Gewissheiten gelten nicht mehr, und weil damit weder Eltern noch Kinder wirklich klar kommen, entsteht dadurch eine Art fortdauernde Schicksalsgemeinschaft der Modernisierungsgegner. Es gibt – gerade in München – Anzeichen dafür, dass es den Mensche reicht, und sie deshalb den Transrapid, die dritte Startbahn, Hochhäuser und Olympia ablehnen. Draussen fährt dafür eine Gondel vorbei. Wir haben jetzt wieder Gondeln am See. Und Gondoliere. Das ist fein. Aber das ändert noch nichts an den komplexen Rahmenbedingungen, mit denen Kinder und Eltern in der Phase zwischen Schule und Beruf konfrontiert sind. Würden sich die Eltern anders verhalten, gäbe es sicher eine Titelgeschichte über die herzlosen Alten, die in der Toskana fast schon das Blut ihrer von Studium und Beruf überlasteten Kinder saufen. Das gehobene Bürgertum definiert nicht mehr die geltende Moral in diesem Land, es wird von den neuen Ideologien vor sich her getrieben. Das mag denen gefallen, die vor 20 Jahren nur ungern meine Gegenfrage – was ist das, Miete? – hörten, aber derartig bedrängt hält man sich eben, so gut es geht, nach Möglichkeit an die natürlichen Verbündeten.
Was so toll daran sein soll, keine Helikoptereltern und dafür gnadenlose, ungeduldige Vermieter zu haben, habe ich übrigens nie verstanden. Man gewöhnt sich schnell an die Vorteile, es tut nicht weh, und hier in Bayern sagt man, dass man lieber von der lebenden als von der toten Hand nimmt.
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