Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Unsere Vollbeschäftigung, Berlins Altersarmut

Wenn du ein Huhn trittst, schlägst und ihm die Federn ausreisst – und dann ein paar Körner hinlegst – wird es dir folgen.
Josef Stalin

Also, wenn ich das mal so sagen darf: Für ein Stück Baklava würde ich jede Pegida sofort in die Tonne treten, Gut, das würde ich so oder so tun, aber wenn wir schon darüber reden, muss ich zugeben: Manchmal habe ich eine perverse Lust auf Baklava. Nicht immer natürlich, aber manchmal. Aber wenn Sie nun vielleicht denken, dass ich in meiner Position und Stellung ein leicht seltsamer Eindruck im türkischen Schnellimbiss eine Strasse weiter bin – nun, was glauben Sie, wie doof man erst ausschaut, wenn man brüllend mit Zigtausend anderen schlecht gekleideten Leuten in Dresden seinen begrenzten Horizont vertritt, statt sich Kulturdenkmäler anzuschauen. Ich habe jedenfalls kein Problem, dort im Schnellimbiss zu erscheinen, denn schnell ist er eigentlich gar nicht. Börek machen sie am Morgen selbst, und das ist echte Kunst, und ich würde das auch gern können. Jedenfalls, letzte Woche hatte ich Lust auf Baklava und als ich da drin stand, parkte vor dem Fenster ein weisser Lieferwagen. Sie kennen das, diese kleinen Schnelltransporter, auf denen normalerweise „Speed Logistics: We sell submissive slaves to your value chain“ steht oder so etwas in der Art. Das liest man nie, es ist halt Werbung – aber hier nicht.

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Das heisst, Werbung ist es schon, aber nicht das Übliche. Es ist nicht Werbung für die Dienstleistung, sondern für Leute, damit sie sich dort melden und arbeiten. Normalerweise ist es eher andersrum, die Arbeitssuchenden müssen zum Amt oder auf Jobportalen suchen, sich bewerben, werden ausgesiebt und auf einen, der die Stelle bekommt, bleiben zehn auf der Strasse. Und hier nun haben wir also ein Unternehmen, das sagt: Werbung wäre ja fein, aber wichtiger wären uns Mitarbeiter.

Solche Schilder gehören bei uns zum Strassenbild. An der Autobahn etwa ist ein riesiges Plakat, das Vorbeifahrende zu shanghaien sucht, sich doch bitte beim grössten der hiesigen Weltmarktführer zu bewerben. Tatsächlich ist der so gross und zahlt so gut, dass alle anderen Firmen massive Personalprobleme haben. Bei uns herrscht seit ein paar Jahren Vollbeschäftigung, die sich nur mit Zuzug von Ausländern aus Spanien, Tunesien, Italien, China und sogar Sachsen bekämpfen lässt, und demonstrieren tun wir gegen die Letzteren trotzdem nicht. Selbst ein florierendes Haustechnikunternehmen ist da vielleicht nicht der attraktivste Arbeitgeber, und so greift es zu Mitteln, die aus Sicht weniger glücklicher Regionen eher ungewöhnlich sind. Die Vollbeschäftigung hier hat den angenehmen Nebeneffekt, dass man Arbeitslosigkeit jenseits von fünfzig Jahren ebenfalls kaum kennt: Diese Stadt an der Donau mag, dafür verbürge ich mich., geistig klein und dumm sein, sofern man Pegida nicht als Vergleich nimmt, aber in der Aussenansicht ist sie gross, erfolgreich und schwimmt im Geld. Für die Jahresgratifikation eines mittleren Angestellten könnten Sie sich hier drei Nannenschüler als Hausdiener halten. Wie viel ist das eigentlich in unterprivilegierten Pegida-Sachsen?

Na egal jedenfalls wo war ich – ach so. Dieses Bild erzählt eine Geschichte des Reichtums und des einfachen Zugangs zu Arbeit, Lohn und Brot aus dem Biobackofen mit heimischem Buchenholz.

Es erzählt aber auch noch eine andere Geschichte: Die der Auslagerung von Aufgaben und Aussonderung von Menschen. Früher nämlich waren die eigenen Fabrikgebäude der besondere Stolz der Unternehmen. Und natürlich übernahmen sie die Wartung selbst. Damit wurden meist ältere, verdiente Mitarbeiter beauftragt, die in der Produktion nicht mehr mithalten konnten, aber die Firma sehr gut und lange kannten. Das war nicht die reine Menschenfreundlichkeit, das Ziel war die Steigerung der Produktivität. Aber immerhin wussten die Mitarbeiter, dass sie in diesem patriarchalischen System einen Platz hatten und den auch behalten würden, wenn sie älter oder krank wurden. Solche Einstellungen mögen der Grund gewesen sein, warum die deutsche Socialdemokratie wurde, wie sie ist. Aber Mitarbeitern liegt nun mal die Beschäftigungssicherheit bis ins hohe Alter näher als die Weltrevolution, so wie dem Siggy Pop die Aussicht auf einen Vorstandsposten näher als das Programm seiner Partei liegen mag.

Das war früher so – heute betrachten Firmen ihre Gebäude oft genug als austauschbare Hülle im globalen Wachstum. Anlagen und Räume werden nach Bedarf gemietet, mitsamt den gewünschten Dienstleistungen. Solche Firmen vollen keine langfristige Verpflichtung, keine Tradition am Ort, sie wollen Förderung, staatliche Infrastruktur, hohe Profite, geringe Kosten und die Möglichkeit, ruckzuck das Geschäft zu verlagern. Für das komplexe Gebäude braucht man spezialisierte Dienstleister, und die stellen bei uns ein.

Und was mit denen ist, die woanders in höherem Alter mit Abfindung auf die Strasse vor dem anonymen Gewerbegebiet gesetzt werden, ist eine andere Sache.  Das fällt nicht auf, und die Gewerbeimmobilienbetreuung ist ein Zukunftsmarkt. Dienstleister für die Fitness der Firmen im globalen Markt. Wird man immer brauchen. Im Gegensatz zu denen, die nicht mehr in das Anforderungsprofil passen. Bei uns fahren solche Lieferwägen durch die Stadt, es werden mehr und mehr, und woanders glauben mehr und mehr junge Leute erst gar nicht mehr an Rente und Altersversorgung, wenn sie zu geringerem Gehalt die Sessel jener einnehmen, die aussortiert wurden, und studieren vielleicht noch Gendertröterei in der Hoffnung, dann als Profibeleidigte staatlich finanziert wie Pegida wegen Benachteiligung zu jammern. So ist das. Woanders.

Aber das Baklava hier ist richtig gut, wirklich, um wieder auf ein schöneres Thema zu kommen.

Möglicherweise wird es hier in Zukunft solche kürzeren Beiträge auch öfters geben, und Ihre Meinung würde mich natürlich auch interessieren.