Nudus ara, sere nudus, hiemps ignava colono
Vergil
Stellen Sie sich vor, Sie wären reich. Steinreich. Reich genug, um sich ein Grundstück in der feinsten Lage der teuersten Stadt leisten zu können, hundert Meter lang und fünfzig Meter breit, direkt an der Isar und zentral gelegen. Und reich genug, ein Haus neben dem nächsten hinzustellen, sieben Stockwerke hoch und nur mit den besten Materialien. Eingänge aus schwarzem Marmor, vier Meter hohe Decken, Flügeltüren, dickes Parkett, getäfelte Wände. Sie schaffen es einem Architekten an, und der baut das für Sie. Einen ganzen Strassenzug. Und dann kommt der Architekt und fragt Sie, was Sie als Kunst am Bau haben möchten.
Nun, sagen Sie und schenken sich einen Cognac ein, lehnen sich zurük in Ihren Sessel und schauen mokant lächelnd himmelwärts, mein lieber Herr Baumeister, Sie werden so freundlich sein, über das Portal zwei splitterfasernackt posierende Knaben zu machen, vielleicht 4 Jahre alt, die den Hintern zusammen kneifen, den Penis vorzeigen, und dicke, wurstartige Girlanden schleppen.
Knaben mit dicken Dingern, ist notiert.
Und dann, sagen Sie, im Treppenaufgang, wo es dann etwas privater wird, hätte ich gern noch mehr nackte Knaben. Prall, mit Babyspeck, auf jedem Stockwerk einen, neckisch, gell, man soll ja was zum Anschauen haben, wenn man nach oben geht. Ganz einfach, viele nackte Knaben. Bitte die beste Ausführung, es darf ruhig was kosten. Bleiglas, verziert.
Wenn Sie das vor einem Jahrhundert gesagt hätten, hätte sich niemand etwas dabei gedacht und es exakt so wie gewünscht gebaut – und so steht es übrigens auch tatsächlich an der Isar. Würden Sie das aber heute verlangen, kämen Ihre Verwandten zum Schluss, dass Sie neben einer untragbaren Vorliebe auch noch einen krankhaften Exhibitionismus haben – man würde Sie in ein Sanatorium in die Schweiz verfrachten und entmündigen lassen, bevor solche Motive einen Skandal verursachen und Sie das Geld Ihrer Erben anderweitig schmälern. Schliesslich haben wir nach Jahren der Panikmeldungen, dem Fall Edathy und der Nichtberücksichtigung des Umstandes, dass Kindesmissbrauch ursächlich weniger im Internet denn in Familien und in der Realität stattfindet, ein verschäftes Gesetz, und das besagt.
§ 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften
(1) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer
1. eine kinderpornographische Schrift verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; kinderpornographisch ist eine pornographische Schrift (§ 11 Absatz 3), wenn sie zum Gegenstand hat:
b) die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder
c) die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes.
Nun.
Das war übrigens noch bei weitem nicht alles. Die Darstellungen im Treppenhaus können in einer Zeit wie der unseren, die voll von möglichen erotischen Anspielungen ist, auch, sagen wir mal, eine weitere Bedeutungsebene bekommen. Der Krieg etwa ist ein Kind, das eine Lanze hält und es gehört gar nicht viel dazu, an dieser Stelle tatsächlich an die Ephebenliebe der klassischen Antike zu denken. Der Schmutz ist hier im Kleide des Denkmalschutzes und der allegorischen Anspielung, aber jeder würde heute wohl zurückschaudern, ginge es darum, sein Haus so zu verzieren.
Auch der Friede, der mit der Palme wedelt, ist nicht nur nackt, sondern auch anspielungsreich und ich möchte betonen, dass ich dieses Haus, diese Treppen hier seit fast einer Dekade kenne und nie den Eindruck hatte, jemand würde sich an diesen Darstellungen irgendwie erregen. Sei es nun sexuell oder moralisch. Die meisten finden das einfach nett. Hübsch. Man gewährt der Vergangenheit ganz selbstverständlich eine gewisse Toleranz, bekommt aber auf der anderen Seite Zustände, wenn es im Kindergarten einen männlichen Erzieher gibt. Oder die Kinder etwas komisches im Internet machen könnten. Wie definiert man eigentlich „unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung“ in einem Treppenaufgang, wo lauter nackte Kinder auch mal Tiere halten?
Da ist nun mal das alte Europa, das beste alte Europa unter dem Prinzregenten in Bayern, als München leuchtete, im klaren Konflikt mit unseren heutigen Moralvorstellungen, da wir nun empfindsamer sind und die Problematik besser verstehen und eben keine nackten Kinder über die Hauseingänge setzen. Wir wissen zudem, wie die Graubereiche des Gesetzes im Zweifelsfall gegen uns ausgelegt werden können, und bremsen uns lieber präventiv ein. Kurz, wir benehmen uns wie ein katholischer Kardinal der Spätrenaissance, dem die Lutheraner mit ihrer Entsagung den Spass ruiniert haben und der nun keine nackten Frauen mehr an den Wänden haben will, keine griechischen Götter beim Beischlaf und keine Unzucht – und deshalb einen der schlechteren Maler namens Daniele da Volterra im Rahmen von Sitte und Anstand beauftragt, da doch ein paar Stoffe vor die allzu kompromittierenden Stellen zu pinseln. Und danach noch mindestens eine heilige Cäcilie und eine Kreuzabnahme daneben. Frechere Maler, wie etwa Agostino Carracci, dessen pornographische Kupferstiche teilweise auch nach unserem Verständnis eindeutig strafbar wären, bekamen dagegen damals ebenfalls Ärger mit der Obrigkeit.
Nun haben wir also in besseren Kreisen derartige Häuser und gleichzeitig neue Gesetze. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn wir uns auch solche Hosenmaler, solche Braghettoni für unser puritanisch-awares und von Safe Spaces geprägtes Zeitalter beschaffen würden, auf dass kein empört schnell Hochsteigender ein Trauma bekommt und schon wieder einen Psychiater braucht. Allenthalben liest man bei uns, in Berlin gingen Galerien pleite, während kunstsinnige Uniabsolventen dort keine Arbeit finden und dann den Strukturen des Kunst- und Literaturbetriebs mit ihren verfehlten Vorstellungen auf der Tasche liegen: Eine Hose werden sie hoffentlich noch pinseln können. Oder etwas Medienkunst davor hängen, was man leicht wieder entfernen kann, wenn die allgemeine Empörung wieder nachgelassen hat. Besorgte Eltern besetzen hierzulande obendrein die Plätze und fordern weniger Sexualkunde an den Schulen, und im grünen Kalifat Kreuzberg geht man gegen angeblich sexistische Werbung vor: Wir leben in aufregenden Zeiten und können auch nicht mehr den Prinzregenten bitten, dieses Gschwerrl von der Gendamerie von der Strasse putzen zu lassen, wenn es uns nicht passende Vorstellungen hat. Doch, so ein paar Berliner Hosenmedienkunstmaler könnten wir hier schon brauchen. Es gibt solche Darstellungen ja auch in der Fraunhofer Strasse. Und auch als Kunst gerahmt in der Alten und Neuen Pinakothek. Die Kupferstichsammlung hat auch Carracci, fällt mir ein.
Und dann all die Barockkirchen – überall hängt hier was rum, wird etwas hergezeigt und wolllüstig gespielt. Es gibt viel zu tun bei uns in Bayern, um das Land auf den ethischen Standard von Gesetz und Jugendschutz zu bringen. So entlasten wir dann auch Berlin von ihrer Kreativzene, und wer weiss, vielleicht wird dort dann auch weniger gemalt, geschrieben und die Leute mit Modeblogs belästigt. Und wenn dann überall Hosen sind, beschäftigen wir sie als Putzpraktikanten weiter. Das ist in Zeiten des Mindestlohns immerhin noch nicht verboten und unser gutes Recht, und da lernen sie dann auch was für ihr Leben. Dahinten sehe ich noch Staub auf dem Jeff Koons, sagen wir, sinken in die Sessel und schenken uns noch einen Cognac ein.