Schreiben Sie: Eierlikör ist so gesund wie Spinat
Heinz Erhard
Natürlich war der letzte kalte Krieg eine scheussliche Angelegenheit.
Zumal er auch nur in Europa kalt war; in Südamerika, Asien und Afrika war er brandheiss und von einer Intensität, die unsere neuen Konflikte in der Ukraine und in Syrien in den Schatten stellt. Es gab Natodoppelbeschlüsse und eine Bundeswehr, die gut erzogene Söhne bekam und genervte Wracks mit Alkohol- und Zigarettenproblem ausspuckte, es gab wenig erbauliche innenpolitische Schlachten – man erinnere sich an den Spruch „Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder“ – und die RAF und, zumindest in Italien, auch Gladio.
Trotzdem gilt die zweite Hälfte des kalten Krieges, also von der Studentenbewegung bis zum Untergang des Ostblocks, als goldene Zeit des alten Westens der Bundesrepublik. Nie war es besser. Die Inflation war hoch und die Lohnsteigerungen waren höher, die Arbeitslosigkeit war niedrig und die Rente vorerst noch sicher, es gab Dieter Hildebrandt statt Comedy und die dicke Biene Maja und den faulen Willy statt verhungerte Topmodelle im TV: Es war caprisonnenklar, die Kinder würden es noch besser haben. Es gab keine Generation Praktikum für Studienabgänger, sondern die Wahl zwischen vielen Möglichkeiten, und davor jede Menge Urlaub-, Demo- und Partysemester. Die Städte bauten Freibäder und Hallenbäder, statt sie vergammeln zu lassen und zu schliessen. Wer anpacken wollte, wurde gebraucht. Die TV-Werbung für Zigaretten zeigten Männer, die in der Wüste meilenweit für eine Fluppe marschierten, statt sich metrosexuell zu machen, und für das Öl griffen schmutzige Männer auf Bohrinseln nach dicken Rohren und knallten sie in das nasse Meer.
Vom Osten bekam man nicht so viel mit, nachdem die Amerikaner ihre Restlasten in Vietnam abgeschrieben hatten. Es gab den senilen Breschnew und für meinen privaten Geschmack wurde uns in der Schule zu oft ein wenig stilsicherer Lech Walesa von einer Gewerkschaft Solidarnoscz vorgestellt. Kinder waren einfach da, liefen irgendwie mit und hatten zu Tisch den Mund zu halten, wenn Erwachsene redeten, und keinem wäre es damals eingefallen, mit Mitte Dreissig öffentlich darüber zu sprechen, man hätte sein Leben nicht im Griff. Der Atomtod war immer um die Ecke, und vielleicht war diese Zeit deshalb trotz aller reaktionärer Reste so lustig, wurschtig und lebensfroh. Zumindest bei denen, die es sich leisten konnten, ihre Kinder im Winter an einer Skipiste auszusetzen und sie dann unbeaufsichtigt den Rest des Tages die Knochen in Waldschneisen riskieren zu lassen, bis es dann am Abend Fleischberge vom offenen Kamin und Rohrnudeln gab: Wenn die Bombe kommt, ist es eh egal.
Mir ist aus Gesprächen mit Kindern aus weniger begüterten Familien bewusst, dass ihre Jugend und das Leben ihrer Eltern deutlich weniger erbaulich waren. Nicht überall waren die Villen gross und die Gärten üppig, und auch die Blocks und Hochhäuser, die woanders gebaut wurden, mussten wohl Bewohner gehabt haben, die nicht neben dem See lebten. Und wer meint, es hätte damals mehr soziale Gerechtigkeit gegeben, den verweise ich gerne auf die bayerischen Übertrittszahlen zu den Gymnasien: Da wurde so lange und so brutal gesiebt, bis wirklich nur noch die Kinder der alten Akademiker und der Funktionselite übrig blieb. Der letzte Kalte Krieg und die damit verbundene Gesellschaft hatten auch ihre Schattenseiten und Opfer, und auch Profiteure in der Rüstungswirtschaft, Atomkraft und Infrastruktur, für deren krasse Fehlentscheidungen wir auch heute noch, im nächsten Kalten Krieg, zahlen müssen. Es war nicht alles in Eierlikör.
Aber der Eierlikör ist wieder im Kommen, in diesem kleinen Hofladen am Tegernsee, in dem alles wie früher ist, denn die heisse Oma entwickelt sich dort zum Renner. Die heisse Oma besteht aus einem Stamperl Eierlikör, das in ein Haferl heisser Milch von den hofeigenen Kühen gekippt wird. Wie früher halt, und da sitzen wir dann und reden über die – aus heutiger Sicht unfassbaren – alkoholischen, nikotinhaltigen und sexistischen Verhaltensweisen, derer wir in unserer Kindheit ansichtig wurden, in einer Mischung aus leichter Abscheu und doch recht sanfter Melancholie. Der Kuchen ist auch hausgemacht, wie bei Oma, und es gibt selbstgestrickte Mützen. Man kann sie sogar in der passenden Grösse und Farbe bestellen. Und selbstgemachte Marmelade. Es hat etwas von einem Museum, hier zu sitzen und über jene Zeiten zu reden, als es nur nach oben ging, die Autos stets grösser wurden und das Brot noch aus der Bäckerei kam, und nicht von der Lieferkette. Woanders wird in diesem neuen kalten Krieg darüber geredet, ob man neben tödlichen Anschlägen nicht auch Essen mit Drohnen liefern soll. Hier sitzt man auf Schaffellen und kommt – trotz besserer Erfahrung – nach der zweiten heissen Oma zum Schluss, dass der letzte kalte Krieg weitaus lustiger war. Erst daheim lese ich dann, dass Boris Nemzow in Moskau ermordet wurde. Und die USA in Afghanistan für den unschuldigen Toten im Schnitt 3426 Dollar „Entschädigung“ bezahlen.
Mein Gefühl sagt mir, dass alle Beteiligten des letzten Weltkriegs im Westen durchaus wussten, wie man einen Kalten Krieg zu einem Publikumserfolg machen konnte, und sich daher nicht nur beim Bau von Atombomben Mühe gaben, sondern auch bei der Unterhaltung derer, die im Zweifelsfall bei der Erhitzung jenes Krieges als erste bei der Kernschmelze verdampft wären. Für die Betroffenen war das eine Art Pakt mit dem Teufel, ein gutes Leben mit schönen Erwartungen, solange keiner auf die Idee kommt, auf einen roten Knopf zu drücken. Unzweifelhaft hätte es natürlich auch noch viele andere betroffen. Aber gerade in Deutschland ist man in der Hinsicht beim Teufelspakt etwas verwöhnt, und würde sich vielleicht etwas mehr erwarten als eine Führungsrolle im einem krisengeplagten Europa, das wie die direkte Fortsetzung der teuren Rechnung für die Abwicklung der DDR aussieht. Es fehlt hier irgendwie der Eierlikörbonus und die Garantie, dass alles prima wird, sofern es nicht ganz furchtbar zum Ende der Welt kommt. Die Ukraine braucht mehr Geld vom Westen, der gerade auch keines hat, sofern er es nicht von Draghi drucken lässt, und ich bin hoffentlich nicht unverschämt, wenn ich sage: Wir sind da vom letzten Kalten Krieg Besseres gewöhnt. Es reicht nicht, von einem Ende der Gaslieferung bedroht zu werden. Man hätte gern mehr Profit als nur etwas billigeres Benzin.
Höhere Löhne und in der Folge höhere Mieten sind für unsereins natürlich ein Anfang, und wenn dank des Konsumklimas der Wert der Immobilien jener steigt, die sie schon haben, ist das selbstredend auch nett. Aber Putin sieht noch reichlich gesund aus, und in den USA scharren die Republikaner bereits mit den Hufen. Der neue Kalte Krieg könnte sich also noch eine Dekade hinziehen, und dann haben wir auch noch all die Probleme in der arabischen Welt – so gesehen würde ich erwarten, dass wir nicht schon zur Kriegsrethorik zurückkehren, nur wenn uns mal ein demokratisch gewählter, griechischer Finanzminister nicht gefällt. Angemessen schiene es mir, wir würden Gründe liefern, dass es sich lohnt, auch diesmal auf der richtigen Seite zu sein, wenn dieselbe schon die NSA und den BND auf Daten hetzt und gleich reihenweise versagt, wenn es darum geht, längst bekannte Attentäter aufzuhalten. Oder wenn die richtige Seite nicht in der Lage ist, haltende Abkommen zu schliessen. Das mag alles die Schattenseite der politischen Alternativlosigkeit sein, aber ein wenig bessere Laune und schönere Aussichten könnten helfen, auch mehr Anlässe zur Verteidigung des Erreichten gegen die rote Gefahr zu sehen.
Heisse Oma, Eierlikör mit heisser Milch, das macht dick, leicht alkoholisiert, gesund und warm und in genau diesem Zustand hat Oma auch den kalten Krieg im Zustand ständiger Vermögenszuwächse überstanden. Das war das Rezept und bei allen negativen Folgen – es war erfolgreich an der Heimatfront. Mehr Leistungszwang und Druck und Überstunden sind nicht Ausdruck von Blattgold auf bleiernen Zeiten, und, das darf ich von den Gestaden des Tegernsees als einhellige Meinung verbreiten, tragen nicht dazu bei, das System zu schätzen, das es zu verteidigen gilt. Schlage also vor, dass wir mit jedem Kilometer, die der Russe vorwärts marschiert, Erbschaftssteuern und Mehrwertsteuern senken, und beim drohenden Sieg der Republikaner eine Generalamnestie für jede Art von Schweizer Steuervorkommnis verkünden, das halt so in der guten, alten Zeit üblich gewesen ist. Ich denke doch sehr, dass sich die Elite dann wieder mehr an europäischen Werten denn an Bankmitarbeitern in Singapur orientieren wird, und wie schon beim letzten Mal ihr patriotisches Heil in den Vorteilen der Situation suchen und finden wird.