Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das erotische Potential der Dampfnudel

„Some women like’em skinny
With long fingers too
But a fat man that mambos
Has so much to offer you“
Robert Lucas, Big Man Mambo

Kürzlich war ich in Österreich. Nicht alle Menschen mögen Österreich, aber man muss bei näherer Betrachtung einräumen, dass nicht alles, was von dort kommt, zwangsläufig schlecht ist: Zwar hat man dort die Zwangs Pflichtuntersuchung meinesgleichen schon länger gesetzlich festgeschrieben und weigert sich behördenseitig beharrlich, die dafür unrechtmäßig von den dortigen Kolleginnen eingezogene Gebühren zurückzuzahlen, aber die Bergkulisse ist wirklich sehr schön, ich habe außerdem eine Schwäche für den schnöseligen Dialekt insbesondere der Wiener, Mozart kann ich mir mit Genuss anhören, und Mehlspeisen gibt es dort in hervorragender Qualität. Für mich ist das wunderbar, denn als eine auf annähernd allen Ebenen lasterhafte Person esse ich natürlich gerne, oft und reichlich. Dankenswerterweise bin ich mit einem Stoffwechsel gesegnet, der es mir erlaubt, Kohlehydrate in unglaublichen Mengen aufzunehmen, ohne gleich völlig aus der Form zu gehen.

Und obwohl ich in der nicht unangenehmen Situation bin, meine Wirkung auf die Männerwelt sowohl unmittelbar als auch regelmäßig reflektiert zu bekommen, ist es so, dass ich mich ab einer gewissen Körperfülle nicht mehr wirklich komfortabel fühle. Manche Kundschaft beklagt zwar im Frühjahr den schleichenden Verlust meines Winterspecks, aber es gibt eine Grenze, ab der fühle ich mich ganz subjektiv zu fett, obgleich ich ganz und gar nicht der Meinung bin, weibliche Attraktivität ließe sich daran festmachen, wie weit die Knochen hervorstehen. Allerdings bin ich auch nicht ansatzweise knochig. Ich laufe nicht einmal Gefahr, das in absehbarer Zukunft zu werden. Schon gar nicht nach einem Aufenthalt in Österreich. Zu Präventionszwecken habe ich sicherheitshalber aber handgeschöpfte Schokolade aus einem kleinen Familienbetrieb in nicht unerheblichen Mengen importiert. Man kann ja nie wissen.

Nachdem ich mittlerweile auf rein vegetarische Kost zurückgreife, halte ich mehr oder weniger eine konsequente Kohlehydrat-Fett-Diät. Nichts gegen Gemüse, das mag ich natürlich auch, aber zum Veganer tauge ich nicht. Ich liebe Käse, üppige Sahnesoßen auf Bergen von Nudeln, und stellen Sie sich mal eine anständige Carbonara ohne Eigelb vor. Was anderen der Schweinsbraten oder die gebratene Ente, sind mir die hausgemachte Pasta und die handgefertigten Pralinen oder eine dicke, fette Dampfnudel. Mit in Butter geröstetem Mohn bestreut und anbei eine obszöne Menge Zwetschgenkompott. Ich kann mich einer solchen Mahlzeit mit allergrößter Hingabe zuwenden, werde dafür aber ausnehmend unleidlich, wenn ich hungrig bin. Ich habe allergrößtes Verständnis für Menschen mit Futterneid. Mir ist obendrein nicht fremd, was andere am Fleischessen finden, ich mochte meine Steaks früher „für eine Frau ungewöhnlich blutig“ und kenne die Regung, meine Zähne in jemandes Hals schlagen zu wollen, durchaus aus anderen Zusammenhängen.

Mir ist es aber mittlerweile arg um die Viecher, ich muss zugeben, in dieser Hinsicht zart besaitet zu sein. Trotzdem kann man aber als Fleischesser mit mir seinen Spaß haben. Wie ich bei meinem ersten Gastspiel hier ja angedeutet habe, liegt es mir fern, andrerleuts Essgewohnheiten auf penetrant-unangemessene Weise zu thematisieren, denn ich muss meinen Mitmenschen nicht eine Sache madig machen, nur weil sie mir nicht ins Konzept passt.

Ich habe mich bei besagtem Österreichaufenthalt kürzlich sogar überwunden, von der Käsekrainer meiner Begleitung ein Stück zu kosten, weil ich wenig so fürchte, wie jegliche Art dogmatischer Verblendung. Allerdings, mir war nach der Kostprobe eine halbe Stunde elend, und ich musste die Bilder von steckdosennasigen zartrosa Ferkelchen aktiv verdrängen. Vor Jahren hatte ich so eines mal auf dem Arm, und mit der Zeit hat sich meine Perspektive auf Spanferkel und dergleichen doch verändert. Dabei roch besagte Käsekrainer wirklich sehr appetitlich, so wie für meine Nase auch Brathähnchen und Speck hervorragend duften. Ich kann halt nur nicht mit Genuss reinbeißen. Um ehrlich zu sein, ich mag Fleischprodukte mittlerweile nicht mal mehr gerne anfassen. Ich rate ja zwecks Meinungsbildung gern mal dazu, sich ein eigenes Bild zu machen, und so, wie ich jedem, der sich eine Meinung über Prostitution bilden möchte, zum unverbindlichen Besuch eines Bordells inklusive Plausch mit den Mitarbeitern raten kann, empfehle ich aus den gleichen Gründen den Besuch eines Schlachthauses, ebenfalls inklusive Mitarbeiterpläuschchen. Aber das nur am Rande.

Eine Art von Speck, bei der es mir in Sachen Kontaktvermeidung völlig anders geht, ist allerdings der männliche Bauchspeck. Ich habe da eine Schwäche, Sie können mich anschauen, wie sie wollen. Ich mag Männer mit ein bisschen Bauch. Am allerliebsten: Gut gekleidete Männer mit einem gerüttelt Maß an Kinderstube und ein bisschen mehr Bauch.

Nicht nur, dass ein paar Extrapfund eine gewisse Genussfähigkeit ausstrahlen, und das eine Eigenschaft ist, die ich sehr schätze. Ich fühle mich darüber hinaus Menschen, denen man ansieht, dass sie gerne essen, auf eine basale Art und Weise verbunden. Askese und Selbstkasteiung liegen mir fern. Das ist ein bisschen wie bei Leuten, die über schmutzige Witze lachen können, die sind in aller Regel auch nicht so verkehrt. Schmallippige Ernsthaftigkeit mit hervorstehenden Jochbeinen lässt bei mir die Alarmglocken schellen, ich kann dafür nichts, ich wurde so erzogen. Vor meinem geistigen Auge erscheinen dann das Fräulein Rottenmeier oder der Lehrer Lämpel, während mich ein schier unbezwingbarer Fluchtreflex ergreift.

Sich auch und gerade mit etwas Hüftgold selbstsicher und mit einer zufriedenen Attitüde zu bewegen, finde ich persönlich ausnehmend sexy. Neulich beispielsweise besuchte ich ein Konzert, obwohl Menschenansammlungen nicht wirklich mein Ding sind. Ich mache so etwas aber trotzdem, wenn mir die Musik sehr zusagt, und in diesem speziellen Fall auch, weil ich mich für tanzende, dicke Männer mit außergewöhnlichen Stimmen sehr begeistern kann. Und für inbrünstig vorgetragene Liebeslieder. Nichts gegen in feinsinniger und gendersensibler Sprache verfasste, intersektionale und unglaublich reflektierte Anti-Fatshaming-Kampagnen, aber mich überzeugen Menschen, die breit grinsend und schwitzend das ein oder andere Kilo Lebensfreude schütteln viel mehr, als knatschig vorgetragene Appelle, was ich jetzt bitte alles attraktiv zu finden habe, und was nicht.

Dabei lasse ich mich eigentlich gerne mitreißen. Nur eben bevorzugt von freundlichen, zugänglichen Menschen. Miesepetrig sein, das kann ich selbst ganz hervorragend, da muss ich nur eine Runde ÖPNV fahren oder auf eine radikalfeministische Diskussionsveranstaltung zum Thema Prostitution gehen – optimal wirkt die Kombination aus beidem – und schon habe ich so viel Welthass in mir, dass es für eine mittlere Kleinstadt völlig ausreicht. Ich träume dann auf dem Heimweg manchmal von einem Dasein als Eremitin. Auf den Aleuten. Hinter Natodraht.

Aber eine Tafel Schokolade – ich hatte kürzlich eine mit Pistazienmarzipan und weißem Mohn –  ist in der Lage, mich trotz solchen Unbills recht schnell wieder mit der Welt zu versöhnen.

Ich habe allergrößten Respekt vor Menschen, die einen Marathon laufen können, regelmäßig Sport machen, auf Berge klettern oder was auch immer. Wirklich. Aber ich bin, was körperliche Betätigung angeht, eher träge. Ich muss mich überwinden, regelrecht zwingen, und der Versuchung, mich einfach vom Laufband rollen zu lassen, bei jedem einzelnen Schritt heldenhaft widerstehen. Im Freien laufe ich schon gar nicht mehr, da ist schließlich Wetter, und das kann ich in den meisten Fällen nicht leiden. Und Pollen, ich sage Ihnen, fliegen da draußen momentan auch herum, deswegen möchte ich dort auch nicht sein, um in bunten Wurstpellen durch die Gegend zu zockeln. Es ist nämlich, ich muss es an dieser Stelle gestehen, auch wenn es vielleicht dem Bild der betörenden Femme Fatale abträglich ist, nicht so, dass ich mit unglaublich langen, also zum Laufen ausgelegten Beinen gesegnet bin. Wenn ich jogge, begleitet mich im Geiste immer die Vision eines widerwillig schnaubenden dicken Ponies im Schütteltrab. Geborene Athleten schauen definitiv anders aus.

Sie sehen, ich bin also nicht nur genusssüchtig, kurzbeinig und manchmal boshaft, obendrein bin ich auch noch faul und, zwar meist nur gruppenbezogen, was aber bei genauerer Betrachtung schon wieder ein Übel für sich ist, misanthrop. Witzigerweise sind trotzdem gar nicht so wenige Menschen bereit, für meine geneigte Gesellschaft zu bezahlen. Wobei es das Geld sicher beiden Seiten leichter macht, über gewisse Inkompatibilitäten, die sich nicht selten auf den ersten Blick schon erkennen lassen, hinweg zu sehen, und sich auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren. Ich will da nichts schönreden. Bezahlte Zuneigung ist auch die Kunst des Weglassens, zum Beispiel von Projektionen, überzogenen Erwartungshaltungen und dem Anspruch, dass der Andere verantwortlich wäre für das eigene umfassende Lebensglück. Das Einzige, was wirklich muss, sind Kondome, Vorkasse und grundlegender Anstand. Aber so ist es ist halt auf seine Art ein ehrliches Geschäft, und das ist etwas, das ich schätze. So, wie (nicht nur) ich mir eine aufgeräumte Wohnung wünsche, habe ich auch eine Vorliebe für einen aufgeräumten Emotionshaushalt. Ich sehe zwar immer nur Ausschnitte vom Chaos anderer Leute, aber schon das hilft, dass ich sehr milde auf meinen eigenen Saustall schauen kann.

Vielleicht mag ich deswegen auch etwas umfangreichere, gut gekleidete Männer. Auf eine Weise sagen so ein paar überflüssige BMI-Punkte schließlich: „Schau her, ich lasse es mir gerne gut gehen, ich bin den körperlichen Genüssen nicht grundsätzlich abgeneigt und pfeife ehrlich gesagt darauf, was mir die Schönheitsindustrie erzählt.“ Ich finde das so viel angenehmer, als Zeromachos in taillierten Hemden, die jeden Spaß an der Körperlichkeit verneinen und ihre eigenen Komplexe auf ihre Mitmenschen projizieren. Lieber ein rausgefuttertes Alphamännchen mit Herzensbildung, als einen verkopften High-Potential mit Profilneurose.

Entsprechend wirken beispielsweise die Selbstdarstellungen vieler Männer auf diversen Partnerschafts- und Datingportalen auf mich eher befremdlich. Nach dem, was dort zu lesen ist, habe ich es beim Internetdating unter Privatleuten fast ausnahmslos mit hochgebildeten, blitzgescheiten und ebenso sportlichen wie potenten Männern zu tun, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen und von ausschließlich reinsten Absichten geleitet, in der Hoffnung, eine weibliche Seelenverwandte zum Bergwandern zu finden, angelegentlich einen Blick auf dieses ihrer eigentlich unwürdige Portal werfen.

Nun.

Wir werden uns das mal ansehen.