“I’ve been looking so long at these pictures of you
That I almost believe that they’re real”
The Cure, Disintegration
Wenn ich die Frontkamera meines Smartphones nutze, um geschwind zu überprüfen, ob ich einigermaßen öffentlichkeitstauglich aussehe, erschrecke ich manchmal. Man sieht ja selten wirklich gut aus, wenn man aus einem komischen Winkel, womöglich in wenig schmeichelhaftem Neonlicht, spontan in die Kamera schaut. Deshalb mag ich keine Selfies. Wenn nicht mal ich das sehen möchte, warum sollte ich dann andere damit belästigen? Das ist ein bisschen, wie mit kurzen Hosen, oder auch mit Socken in Sandalen. Kann man machen, ist aber Geschmackssache.
Entsprechend hat mich auch der Hashtag #FacesOfProstitution nicht weiter interessiert. Ich weiß ja, wie Sexarbeitende aussehen, ich sehe das allmorgendlich im Spiegel, und war gerade neulich mit einer lieben Kollegin Pizza essen. Ich kenne die Geschichten, die Diversität, und weiß um vieles, das Sexarbeit jenseits der üblichen Klischees ausmacht. #FacesOfProstitution wendet sich eher an Leute, die eben diese Klischees von Sexarbeit im Kopf haben.
Man findet unter diesem Hashtag, ich habe die Bildersuche von Twitter bemüht, zahlreiche Selfies von sehr unterschiedlichen Personen, die der Sexarbeit nachgehen und recht entspannt aussehen. Obwohl, oder weil sie Sexarbeit machen. Losgetreten hat das Ganze eine Sexarbeiterin, die sich auf Twitter Tilly Lawless nennt und offensichtlich auch nicht glücklich mit der Art ist, in der Sexarbeitende in den Medien gerne mal als Opfer dargestellt werden. Oder als Lobbyisten der sogenannten Zuhälterindustrie, für den Fall, dass sie sich getrauen, aufzusprechen. Ganz selten begegnet mir ein Text, der Sexarbeit als – zugegeben, nicht ganz gewöhnliche – Arbeit begreift und die in diesem Bereich Tätigen nicht als Freaks abstempelt.
Die Süddeutsche Zeitung hat jedenfalls #FacesOfProstitution aufgegriffen, der Text ist weder sonderlich lang, noch böse, nur der im letzte Absatz ließ mich die Stirn kraus ziehen: Nicht über Sexarbeit zu twittern sei auch eine Entscheidung, die Millionen träfen, und dafür gebe es wohl Gründe. Ich möchte der Autorin da uneingeschränkt zustimmen, aber aus einer etwas anderen Perspektive und allgemeiner. Denn ginge es nur um Twitter, bräuchten wir gar nicht diskutieren, dann hätten wir nämlich kein Problem. Es gibt allerdings für Sexarbeitende sehr viele, sehr gute Gründe, sich grundsätzlich nicht öffentlich zu äußern.
„Trau´, schau, wem“ gilt in unserer Branche nicht nur im Umgang mit Kundschaft und Betreibern, sondern insgesamt und allumfassend und anscheinend auch im Umgang mit Medien. Ich kann mir schon vorstellen, dass so ein rotlichtig illustrierter, sensationsheischender Artikel öfter gelesen wird, als einer, der sich mit der komplizierten und zugegebenermaßen in weiten Teilen recht unerotischen Materie auseinandersetzt, wo denn in welchem Bereich der Sexarbeit welche Probleme auftreten und weshalb, und wie eigentlich sinnvolle Lösungsansätze dazu aussehen könnten.
Ich nehme an, Leuten ihr geschlossenes Weltbild zu bestätigen und das mit ein paar anregenden Fotos von nackten Hintern in zwielichtigen Etablissements zu garnieren, ist relativ schnell gemacht und verkauft sich einigermaßen zuverlässig. Im Endeffekt mache ich, wenn das Selbstbewusstsein eines recht einfach gestrickten Kunden mit auswendig aufgesagten Plattitüden aufpoliere und dabei Strapse trage, auch nichts anderes. Ist halt die Frage, ob das gute oder schöne Arbeit ist und ob es womöglich auch besser geht.
Jedenfalls, ich lehne gewisse Kundschaft aus gutem Grund ab, und ich würde auch mit einigen Leuten nicht über Prostitution reden, damit sie später darüber schreiben. Es gibt eine Grenze, und zwar die des guten Geschmacks. Es ekelt mich an, wenn mein Berufsstand einerseits fetischisiert und andererseits marginalisiert wird. Es mag schwer vorstellbar sein, aber auch unsereins schätzt eine gewisse Normalität und gesittete Umgangsformen. Das Maß an moralischer Überheblichkeit, das notwendig ist, um von Sexarbeitenden zu verlangen, sie sollten doch mal Gesicht zeigen, um mit ihren Argumenten gegen die Stigmatisierung, die sie von der Möglichkeit, aktiv an der Diskussion teilzunehmen ausschließt, ernstgenommen zu werden, ist marie-antoinettesk. (Ja, ich weiß, Rousseau. Aber das hätte doch niemand erkannt.) Man muss damit rechnen, dass alles, was man als Sexarbeitende sagt, früher oder später gegen einen verwendet wird. Und mit viel spärlich verhüllter Haut illustriert.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe natürlich gar nichts gegen kontroverse Berichterstattung einzuwenden. Man kann, ja man soll sogar bitte, unterschiedlicher Meinung sein, wenn man eine konstruktive Diskussion führen möchte. In den extremen Positionen liegt selten das rechte Maß, und jede Ideologie oder Weltanschauung darf sich wegen mir gern ein hübsches Stück weit der Vernunft unterordnen. Die Prostitution ist weder ein glamouröses Wellnessevent auf der Insel der Glückseligen, noch ein unbedingt auszumerzender Sündenpfuhl. Sexarbeitende sind weder Helden, noch Opfer, sondern in aller Regel einfach Menschen, die ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, und sich aus den mannigfaltigsten Gründen für diese Option entschieden haben. Dass Betroffene im Einzelfall nicht wild darauf sind, ihre Geschichten zu erzählen, erst recht, wenn es Leidensgeschichten sind, liegt möglicherweise daran, dass sie nicht identifizierbar sein wollen um sich beispielsweise vor Beschämung jedweder Art zu schützen. Denn der respektvolle Umgang mit Sexarbeitenden kann ruhig flächendeckend noch ein bisschen geübt werden.
Nur werden so die Geschichten leider beliebig, sie werden von Dritten erzählt, es gibt keine Bilder und keine Sensationen. Es ist letztlich unser Privatleben. Es geht niemanden etwas an, warum sich jemand im Einzelfall ausgerechnet für Sexarbeit entscheidet. Es geht aber eine Gesellschaft etwas an, ob eine Berufsgruppe, und sei sie noch so unliebsam, benachteiligt, in ihren Grundrechten eingeschränkt und vom Diskurs ausgeschlossen wird. Ich würde mir Berichterstattung wünschen, die genau da ansetzt, und sich nicht damit zufrieden gibt, altgediente Klischees von allmählich aus der Zeit Gefallenen zu reproduzieren.
Über die Arbeitsbedingungen zu reden, halte ich für dringend nötig. Und zwar vornehmlich mit Betroffenen und mit Experten, und nicht unbedingt mit denen, die am lautesten schreien. Wenn es sich aufgrund ihres Betroffenseins Menschen nicht leisten können, ihre Position zu vertreten, dann könnte man ja als Journalist einfach mal ihren Positionen trotzdem Gehör verschaffen. Und zwar gerne bis zu dem Punkt, an dem ihre Stimme wirklich vernommen wird. Dass die abwertenden geschmacklosen Äußerungen einer Ordensschwester in der Diskussion um Sexarbeit in Deutschland eher gehört werden, als die Stimmen der Prostituierten, die sich trotz aller Widrigkeiten zu dem Thema äußern, finde ich gelinde gesagt kurios. Natürlich ist die Perspektive derer, die in der Beratung arbeiten, wertvoll. Aber es gibt mehr als eine Beratungsstelle, und inwiefern es der Meinungsbildung der geneigten Leser dienlich ist, immer wieder das gleiche Netzwerk zu Wort kommen zu lassen, diese Frage ist doch bei den Sexarbeitenden wie auch den Beratenden gleichermaßen angebracht. Selbstverständlich müssen die Bedürfnisse gerade derer, die sich nicht selbst zu Wort melden können, unbedingt berücksichtigt werden. Das gilt unbestritten besonders für migrantische Sexarbeiterinnen, die allein schon die deutsche Sprache nicht in ausreichendem Maß beherrschen. Das gilt aber auch für die, die schweigen, weil sie Angst haben, das Sorgerecht für die Kinder zu verlieren, die Wohnung gekündigt zu bekommen oder die Chance auf eine berufliche Umorientierung zu verspielen.
Ich höre von Frauen, die heimlich arbeiten, niemanden in Kenntnis setzen, wo und wann und dass sie überhaupt der Sexarbeit nachgehen. Offiziell sind sie als Tänzerin, Modell, Masseurin tätig, keine Statistik erfasst sie. Weil sie mehr Angst davor haben, als Hure gebrandmarkt zu werden, als vor dem, was ihnen ein Kunde antun könnte. Und diese Frauen sollen Gesicht zeigen und für ihre Anliegen Position beziehen? Sich beim Gesundheitsamt anmelden und womöglich einem Datenaustausch zwischen den jeweils nur teilweise und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich zuständigen Behörden zustimmen? Während sie in einer rechtlichen Grauzone zwischen unausgegorenem Bundesgesetz und flächendeckenden Berufsausübungsverboten in Form regionaler Verordnungen manövrieren? Und wer aus der Praxis heraus anmerkt, dass derlei Ansinnen eventuell an der Realität vorbeigehen, darf sich als Zuhälterlobbyist beschimpfen lassen? Entschuldigung, ich finde das an Zynismus nicht zu überbieten. Mir ist wichtig, dass die Leute legal und somit sicher arbeiten können. Damit diese Rechnung aufgeht, muss die Legalität aber mehr Schutz bieten, als die Illegalität. Ob die aktuelle Berichterstattung zu einer sachlichen Diskussion beiträgt, die geeignet ist, solche Zustände herbeizuführen, halte ich für hinterfragenswert. Deswegen gibt es von mir leider weder ein Tegernseelfie noch ein #FaceOfProstitution.