Seit wann haben hier Mietsleute etwas zu sagen?
Mein Urgrossvater
So kann man das natürlich auch sagen: „Friedrichs lebt mit ihrem Partner und zwei Kindern in Berlin-Kreuzberg.“
Ich persönlich weiss nicht, ob die Autorin Julia Friedrichs wirklich zu nur so mittelprächtigen Bedingungen von McKinsey genommen worden wäre, wie sie es in ihrem bekannt gewordenen Buch „Gestatten: Elite“ behauptet. Ich habe das Buch damals gelesen und fand es, höflich gesagt, wenig passend zu dem, was ich in meiner Zeit in der New Economy vom Beratungsgeschäft so mitbekommen habe – da ist vor allem der Umstand, dass sich der Elitenbegriff der angehenden Powerpointschubser so gar nicht mit jenem Leben verträgt, den man landläufig für elitär hält. Berater sind Leute, die über eine Senatorcard twittern, die Elite in diesem Land dagegen twittert nicht und hat es auch nicht nötig, ein Meilenkonto anzuschauen. Es gibt kluge Berater und dumme und verdammt viele, die mit 40 ausgebrannt und arbeitslos sind und das geschickt vertuschen. Es gibt keinen Kausalzusammenhang von Elite und Beratern, den Flaschensammlern der Globalisierung.
Ich weiss also nicht, ob der mitleidheischende Sozialpornoaspekt, dessen Publikation sich durch die Biographie von Frau Friedrichs zieht, dem erhofften Bucherfolg bei den sozial Bewegten geschuldet ist – sowas verkauft sich nun mal oft, wenn es himmelschreiende Ungerechtigkeiten anprangert, oder wie jetzt, ein „Tabu-Thema“. Momentan wirbt sich Frau Friedrichs durch die Zeitungen und TV und behauptet, irgendwann hätte sie gemerkt, dass manche Freunde sich teure Wohnungen in Berlin hätten leisten können und andere nicht, und die ersteren hätten geerbt und das sei voll fies und demnächst steht sie dazu in der Süddeutschen Zeitung mit Peer Steinbrück, einem Mann, der beträchtliche Einnahmen dem Umstand verdankte, dass er für Unternehmen gut bezahlte Vorträge hielt. Als SPD-Politiker jedoch meint er, man müsste die Erbschaftssteuer für Nichtunternehmensbesitzer erhöhen, um die Einnahmen zu steigern – um sie dann etwa für Integration und Bildung auszugeben. Sie sagen immer „Integration“ und „Bildung“, und am Ende jammert der Generalinspekteur der Bundeswehr, und dann kaufen sie den nächsten abstürzenden Transportflieger, neue Radome für die NSA-Abteilung BND und schlechte Knarren.
Übrigens war Kaiser Wilhelm der II. der letzte – nach unseren heutigen Vorstellungen – demokratische deutsche Politiker der Steinbrückschen Obrigkeits-SPD, der eine Steuer für einen ehrlichen Zweck einführen liess; das war 1902 die Schaumweinsteuer und es war klar, dass diese Gewinne zur Bildung der kaiserlichen Kriegsmarine und zur Integration in das Grossmachtstreben dienten. Aber damals, mit Verlaub, war Berlin auch noch eine Weltstadt, die sich mit Paris und London messen konnte, und nicht nach Wien der zweite Dienstboteneingang zum Balkan. Nur so kann ich mir erklären, was für Leute die Friedrichs und der Steinbrück kennen, und was sie überhaupt vom Erben wissen. Denn was hat Erben mit Wohnungsbesitz zu tun?
Ich zum Beispiel kenne wirklich niemanden, absolut niemanden, der dem obskuren Friedrichs-Szenario der Berliner Wohnungskäufer mit Nachlass entspricht. Mal NRW-Abitur-tauglich ehrlich: Wer ist bitte so arm, dass er erst über den Umweg des Grabes seiner Eltern eine Wohnung in dieser A-Lage der Bildungsferne kaufen kann? Wenn halbwegs klar ist, dass sich der Nachwuchs irgendwo in einer akzeptablen Region ab Grunewald niederlassen will, bekommt er bei den vermögenden Schichten von den quicklebendigen Eltern eine Wohnung oder bei genehmer Verheiratung ein Haus, deren alte Bewohner weggentrifiziert wurden. Das ist in der sogenannten Elite nicht eine Entwicklung der neueren Zeit. Das war bei uns schon immer so. Man kennt das nicht anders. So entstehen Traditionen und das Gute an denen ist: Diese Leute brauchen keine Sonderausgaben für Integration und Bildung. Die entstehen dabei einfach so. Das ist kein „Tabu-Thema“: Das ist prima.
Ich finde, dass das gerecht ist. Ich möchte zum Erhalt dieser wirklich sozialen Norm, an die sich andere selbst integrieren sollen, wirklich alles haben, was meine Vorfahren erarbeitet haben. Jeden einzelnen Groschen, jeden Stein, die ganze Geschichte und das einzig richtige Bewusstsein. Ich möchte nicht, dass Frau Friedrichs bewirken kann, dass das nicht mehr als richtig gilt, oder auf welche Art und Weise auch immer etwas davon abbekommt. Oder ihre Kinder. Oder sonst jemand in Berlin. Ich gehe ja auch nicht zu denen und klaue ihre alten Matratzen von der Strasse, Die Bewohner dieser Gegend dürfen gern bei Zalando bestellen und ihre gestreckten Drogen weiter im Görlitzer Park kaufen, und damit dafür sorgen, dass die Integration der Dealer nicht voran kommt: Nur nicht mit dem bitte, was mein Clan zusammengetragen hat.
Und ich will auch nicht Nebenverdiener Steinbrück oder sonst einen Politiker als zwischengeschalteten Profiteur. Ich möchte das alles behalten, und niemand in meiner Familie würde sich wünschen, dass einer von denen etwas bekommt. „sSach zsammhoidn“ ist das erste Familienmotto der besseren Kreise. Es geht wirklich nicht darum, dass ich mehr habe, sondern darum, dass andere davon nichts bekommen. Ich möchte nicht wegen eines asozialen Zwangs weniger besitzen, der bislang zurecht arbeitslose Soziologen einstellt, um Kindern anderer Leute zu erklären, dass sie ein Recht auf mehr hätten.
Denn eine Veränderung der Erbschaftssteuer mit dem Ziel, unser Vermögen über andere Leute auszukippen, hätte einen fatalen Effekt. Niemand würde sich abrackern und Vermögen zusammentragen, wenn am Ende die staatlichen Steinbrückplünderer kommen und den Friedrichs genderneutrale Spielplätze für Kreuzberg schenkten. Stellung, Ansehen, Tradition und Familie sind nun mal durch all die Jahrhunderte eine starke Triebfeder gewesen, das Vermögen zielgerichtet zu bewahren. Das war eine Tugend, alles andere galt bei der Elite als verdammenswert.
Wer meint, jetzt für so eine Haltung Strafsteuern eintreiben zu müssen, sollte bitte auch gleich sagen, was für eine Elite er gern in diesem Land hätte: In diesem Fall geht das dann wohl eher in Richtung der Neureichen aus China und Russland, die dem Hier und Jetzt die volle Aufmerksamkeit schenken, bevor sie in Ungnade bei ihren sozialdemokratischen Herrschern fallen. Asozial, geschichtsvergessen, vorteilsfixiert und skrupellos: Das sind Verhaltensschemata, die sich erfolgreich der Erbschaftssteuer entziehen können. Und es ist eine Aufforderung an Reiche und Gebildete, keine Kinder mehr zu bekommen und das Geld lieber selbst durchzubringen: Darauf wird dann wieder geklagt, dass speziell wir Besserstehende uns asozial verhalten und zu wenig Nachwuchs zeugen. Das ist nicht fair, aber deshalb schreibe ich noch lange keine rührseligen Bücher, auf denen hinten steht „lebt an der Donau, am Tegernsee und in Mantua und hat eine Leidenschaft für die Mille Miglia“, und beantrage auch nicht den Titel der Hedwig Courts-Mahler des sozialen Ausgleichs. Weil es nicht nur um Geld geht, sondern vor allem um Status.
Erben, das darf ich hier als Vertreter ordentlicher Verhältnisse fern von Berlin-Reichstag und Kreuzberg ausgerechnet zu einer Zeitung sagen, die das „Süddeutsch“ in ihrem Titel verrät, macht keinen Spass. Man übernimmt etwas aufgrund des Todes von Menschen, denen man verpflichtet ist. Es ist bezeichnend, dass die Unterschichten hier von einer Autorin angesprochen werden, die den Kauf von Immobilien nach der Erbschaft beklagt – das ist ein durchaus angemessenes Verhalten zum Umgang mit Verantwortung und Vermögen. Zweihundert Quadratmeter Wohnfläche pro Person sehen nur von unten wie Verschwendung aus, von Oben braucht mal Platz für die die im Erbschein nicht erwähnten, weil vermutlich wertlosen Bilder. In dieser Form ist man von Generation zu Generation ein famoses Vorbild des bürgerschaftlichen Engagements vom Konzertverein bis zum Einbau von staatlich geförderten Denkmalschutzfenstern in den Palazzo, und kann jeden Staat erfreuen. Ein fast kostenfreier Selbstläufer.
Ich bin ja gerade noch, bis sich das Wetter im Norden bessert, in Mantua und habe mir hier die Hochzeitszeitschrift „Sposa White“ gekauft. Da sind dann die ganzen Schlösser zu sehen, die die anständigen Paare zur Feier mieten möchten. Das strahlt alles Tradition und Jahrhunderte altes Vermögen aus. Damit kann man einen Staat machen. Das verkauft sich gut als Zeitung, als Lebensmodell und sorgt auch dafür, dass sich die Eltern später einmal selbst um Integration und Bildung ihrer Kinder kümmern, und um die Grand Tour nach Italien zur Mille Miglia, die wie jeder Palazzo und jedes Deckenfresko beweist, dass so ein Spektakel Arm und Reich gleichermassen zufrieden stellt, und zur Herzensbildung beiträgt, ohne dass man dafür einen Steinbrück bräuchte.
Was einen Steinbrück braucht, nun, drei Buchstaben: SPD. Deren Mitglieder haben gesehen, was es mit dem Mann zu erben gibt.