„Well, if you want to say yes, say yes
And if you want to say no, say no
‘Cos there’s a million ways to go
You know that there are“
Yusuf Islam (ehemals Cat Stevens), If you want to sing out
Das oben zitierte Lied stammt aus einem meiner Lieblingsfilme. Ohne eine große Cineastin zu sein: Einige Filme mag ich sehr, und „Harold and Maude“ gehört definitiv dazu. Long Story told short, der blutjunge Harold verliebt sich in die fast achtzigjährige Maude, sie erwidert seine Gefühle und die beiden verbringen einige hochromantische Tage, bis Maude an ihrem achtzigsten Geburtstag selbstbestimmt und geplant aus dem Leben scheidet.
Der Film bricht mit dem ein oder anderen Tabu, er ist kritisch, eine Aufforderung zur sanftmütigen Revolte, zur Übernahme der Verantwortung für das eigene Lebensglück, wie schräg, steil oder verwunden der Pfad auch sein mag, auf dem es zu erreichen ist. Er ist damit auch eine Aufforderung, sich anzustrengen, wenngleich ausnehmend nicht in der neokapitalistisch auf monetären Erfolg und Selbstausbeutung ausgerichteten Art und Weise, die meine Generation vielleicht mit Anstrengung assoziiert. Es geht weder um die perfekte Ehe, noch die perfekte Karriere, noch den perfekten Körper. Es geht um leuchtende Augen und schlagende Herzen und um das Weiterleben nach der persönlichen Katastrophe. Nicht um den sinnlosen Versuch, diese zu vermeiden. Es knallt immer. Irgendwann. Es werden Fehler gemacht, es passieren hässliche Dinge, die Frage ist nur eben, wie man damit umzugehen gedenkt.
Was mich fasziniert und inspiriert, ist die ungebrochene Freundlichkeit, mit der Maude ihre Kritik anbringt. Bei aller Radikalität, über ihre Lippen kommt kein Vorwurf, es gibt keine Anspruchshaltung, dass ihr Weltbild vom Gegenüber übernommen werden müsste. Ich sitze da mit einer Schüssel Pralinen vor dem Fernseher und applaudiere still. Ich würde mir ein bisschen mehr maude-a-like Umgangsformen wünschen, etwas mehr Charme, etwas mehr Understatement, dafür ein bisschen weniger Hetze und Polemik bei gleichzeitig behutsamerer Wortwahl. Man darf schon ein bisschen aufpassen, was man sagt. Kritik respektvoll zum Ausdruck zu bringen ist eine selten gepflegte Kunst, die ich persönlich schon schätze.
Wissen Sie, man kann beispielsweise für oder gegen die Ehe für alle sein, sie in die Nähe von „Inzucht“ zu rücken, ein Wort, dass ich noch aus meinen Kindertagen im stramm rechtskonservativen Millieu unkompliziert gestrickter Bausparerfamilien kenne, und einfach geschmacklos ist. Wenngleich nicht verwunderlich, ich habe mich ja schon mit den Äußerungen der Urheberin dieses unglücklichen Vergleiches zu meinem Berufsstand auseinandergesetzt. Und mei, daad I do sogn, mi wundats ibarahaupts ned. Das ist eben, was dabei raus kommt, wenn man nicht bereit ist, sich damit abzufinden, dass anderen Leuten andere Sachen gefallen, als einem selbst. Und nicht begriffen hat, dass die eigene Freiheit halt auch nur so groß ist, wie die desjenigen, der genau die gegenteilige Meinung vertritt.
Der Punkt, an dem ein fruchtbarer Dialog möglich wird, ist eben der, an dem ich dem Gegenüber Luft lasse, um aufzusprechen, sich möglichst frei zu bewegen, zu tun, was er oder sie für richtig hält. Dabei muss man sich nicht jeden Blödsinn sagen lassen, dafür hat ja auch kein Mensch wirklich Zeit und Nerven. Ab und zu ist Ignoranz das Mittel der Wahl.
Der Gegenseite den Mund zu verbieten wird allerdings in der Regel nicht zum gewünschten Effekt führen, deswegen plädiere ich dafür, die Verantwortung für das eigene Lebensglück auch an dieser Stelle zu übernehmen, und aus sinnlosen Diskussionen auszusteigen. Weswegen ich beispielsweise mit Leuten, die nicht in der Lage sind, meinen Beruf und das illegale Treiben von Menschenhändlern auseinander zu halten, nicht mehr so gerne diskutiere. Ich werde da einfach zu schnell unfreundlicher, als ich eigentlich sein möchte. Im Grunde meines Herzens weiß ich nämlich Meinungsvielfalt sehr zu schätzen. Deswegen feire ich auch intern jeden Vertreter eines konservativen Ortsverbandes, der sich in meinem Boudoir einfindet und beim spätestens dritten Besuch die Parteimitgliedschaft gesteht. Was nicht heißt, dass ich diese Parteien besonders mag. Aber mich graust fast vor nichts, und ich freue mich, dass ich an der Bruchstelle zwischen gesellschaftlicher Erwartungshaltung und persönlichen Bedürfnissen im Schein der roten Lampe zu Einsichten kommen darf, die meinem Seelenfrieden sehr förderlich sind.
Ab und an muss man sich aber aus der Komfortzone begeben, und so habe ich mich am Wochenende an die frische Luft, genau gesagt ins Bergland, nach Garmisch gewagt, und mir diesen G7-Protest mal live angeschaut. Erstens hat es mich interessiert, zweitens war das Wetter schön, und drittens wollte ich mal wissen, wie es denn bei so einer Personenkontrolle zugeht. Es ist nämlich so, dass ich seit nunmehr bald zwanzig Jahren einen Führerschein besitze und mich auch ansonsten gelegentlich im öffentlichen Raum bewege, aber mit einem derart harmlosen Erscheinungsbild gesegnet bin, dass ich im Leben noch keine Personen- oder Verkehrskontrolle (jaja, Wortwitz) erlebt habe. Also habe ich die Haare zusammengebunden, mich in einen schwarzen Jumpsuit gepackt, schwarzer Rucksack, Sonnenbrille. Sollte linksautonom genug aussehen, dachte ich, und auf nach Garmisch.
Meine Kalkulation war die, dass ich nicht mal den Zug erreichen würde, bevor jemand mich kontrollieren würde. War aber nicht. Ich habe mir eine Banane gekauft, noch eine Zigarette geraucht, versucht, verdächtig auszusehen und mich in den Zug gesetzt und bin nach Garmisch gefahren, unbehelligt. Ebenso unbehelligt bin ich an geschätzten 150 Polizisten vorbei aus dem Bahnhof hinaus marschiert, und das, obwohl ich es nicht mal geschafft habe, freundlich zu lächeln, es war nämlich wirklich alles andere als heimelig und angenehm. Ich mag überzogene Polizeipräsenz nicht so sehr, deshalb arbeite ich ja auch nicht im Puff, obwohl ich eigentlich gerne ab und zu mal eine Woche … egal… Also, raus aus dem Bahnhof, weiter in Richtung Protestcamp. Was gar nicht so einfach war, denn ich habe einen ausnehmend schlechten Orientierungssinn, dazu eine rechts-links-Schwäche, und vor lauter Einsatzfahrzeugen und viel zu warm eingepackten Ordnungshütern wusste ich zunächst nicht, wo ich eigentlich lang wollte.
Linksautonom aussehen, aber das Smartphone mit Apfellogo zücken, um sich von Google den Weg zum Protestcamp weisen zu lassen, das trifft etwa meinen Humor, also mit Knopf im Ohr an Hundertschaften vorbei. Bei völliger Ortsunkenntnis selbstbewusst voranschreiten, als wüsste man genau, wo man hin will, das habe ich in diversen Hotellobbys gelernt, da macht mir so schnell niemand was vor. Hat auch funktioniert, wieder keine Kontrolle, nur Sonnenschein, Bergkulisse und ein Haufen verschwitzter Leute in Uniform. Nach allem, was ich vorab gelesen hatte, von Journalisten, die trotz Akkreditierung nicht in die Stadt durften (gut, einen Helm hatte ich nicht dabei, aber eben auch keinen Zettel, der mich als zu irgend etwas anderem als in der Gegend herumstehen berechtigt ausgewiesen hätte), von hermetischer Abriegelung und befürchteten Krawallen, fand ich die konsequente Nichtbeachtung meiner Person durch die Obrigkeit schon etwas erstaunlich. Zumal man in meinem Berufsstand diesbezüglich eher zur Paranoia zu neigen pflegt. Eine Radfahrerin ist mir fast über die Füße gefahren und wurde daraufhin von einer übellaunigen Polizistin zurechtgewiesen. Das war das aufregendste Ereignis zwischen Bahnhof und Camp.
Das Camp erinnerte mich ein bisschen an die Festivals meiner Jugend, wo man wochenendenweise ohne fließend Wasser auf irgend eines Bauern Wiese diverse Körper- und Geistesfunktionen erforscht hat. Junge Gesichter, ein bisschen Hippiecharme, Volksküche, wilde Frisuren und Batikshirts. Die Wege zwischen den Zelten waren mit rot-weißem Signalband markiert, damit auch ja niemand seine Heringe zu weit im Weg ein- und deswegen ein Genosse hinschlägt. Sehr zivilisiert, nachgerade ordentlich, und zum Abmarsch in Richtung Bahnhofsvorplatz gab es Äpfel und Bananen von der VoKü für alle.
Was es auch gab, war dicker Applaus des gesamten Zuges für den Mann, der die Dixie-Klos entleerte, als sich die Protestierenden in Richtung Auftaktkundgebung in Bewegung zu setzen begannen. In unseren grundlegenden Bedürfnissen sind wir letztlich vereint, allein die Wertschätzung für jene, die uns ihre Erfüllung ermöglichen, variiert, auch im Zusammenhang mit der Erwartungshaltung des sozialen Umfeldes.
Hier war die Wertschätzung jedenfalls groß und fand angemessenen Ausdruck. Wie groß die Wertschätzung ebenfalls anwesender radikalfeministisch linksneurotischer Demonstrant*Innen für mich als Vertreterin des internationalen Hübschlerinnentums gewesen wäre, habe ich dank diverser Diskussionsveranstaltungen antizipieren können und deswegen nicht ausprobiert. Das ist die Form von Diskussion, von der ich oben schrieb, dass ich sie nicht mehr führe. Wenn es sich denn vermeiden lässt. Nichtsdestotrotz muss ich sagen, ich finde es gut, dass Leute auf die Straße gehen, „siamo tutti antifascisti“ und „Bürger, lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein“ rufen und wegen mir auch teilweise für nicht ausreichend reflektierte extreme Ansichten Position beziehen. Einfalt ist ja glücklicherweise nicht verboten, andere Weltanschauungen wissen das auch zu schätzen, und ein Gleichgewicht findet sich schließlich im Ausgleich. Also kann Garmisch als Tal und G7 als Gipfel der Glückseligen schon ein bisschen Widerspruchsgeist vertragen. Zumal die Polizei eh schon herumstand und Geld kostete. So bekamen die Bürger denn auch etwas geboten für ihr Geld. Wenn sich die Prominenz versteckt, zeigt sich eben das Proletariat, man muss die Feste feiern, wie sie fallen.
Deswegen habe ich auf dem Heimweg auch noch ein Pläuschchen mit einer kleinen Gruppe Polizisten gehalten. Meine persönliche Schnittmenge mit deren Meinungsäußerungen empfand ich themenbezogen als überraschend, großklimatisch mag das anders aussehen, aber das war wohlweislich nicht Thema. Kontrolliert wurde ich natürlich wieder nicht, vielleicht war ich zu freundlich. Ich dachte nämlich zwischendrin an Maude, die ein Bäumchen retten will, und stinkfreundlich, aber bestimmt, den Polizisten, der sie hindern möchte, mit einem geklauten Wagen aus der Stadt zu düsen, fassungslos dreinblickend am Straßenrand stehen lässt. Man muss halt Prioritäten setzen. Und die dann freundlich lächelnd mit Zähnen und Klauen verteidigen.