Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Volksverhetzung, Gruppenvergewaltigung und andere sehr deutsche Facebookdebatten

A Ruah is

Dick und faul liegt Prantlhausen auf der Schotterebene, die Sonne scheint und im Süden rutschen die Berge im Staub, damit die Prantlhausener einen schönen Blick haben, wenn sie einmal den Blick von der Prantlhausener Zeitung heben. Die ist dort Staatsorgan und sagt, wie man die Welt zu sehen habe. Seehofer, der das Land aussenrum regiert, sei ein Schlawiner, die SPD und die Grünen, die gemeinerweise vom Bürger gerade erst eine Abfuhr erhielten, seien bei allen Skandalen die beste aller möglichen Welten, und was die CSU von sich gibt, ist immer falsch und schlecht. Die Pantlhausener Zeitung schaut misstrauisch auf alles, was die Polizei so tut, ausser wenn am Ende die niedrigste Kriminalitätsrate aller Weltstädte nach Singapur steht. Das will die Zeitung schon haben, denn schliesslich wollen die Redakteure sicher an der Isar grillen, ohne gleich von Banden erschlagen zu werden. Allzu rigides Aufräumen mag sie aber auch nicht so, denn der Vorschlag kommt von der CSU.

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Die Prantlhausener mögen diese kognitive Dissonanz und stellen sie am Wahltag stets aufs Neue unter Beweis. Lokal wählen sie eher Rotgrünbunt. Aber wenn es um Bayern und Deutschland geht, wählen sie Rabenschwarz. Das liegt daran, dass sie zwar gerne liberal und mit sortiertem Müll und ohne dritte Startbahn leben, aber auch gern sicher sein wollen. Sie wollen, dass es dem Freistaat besser als den anderen Ländern geht, und München natürlich am besten. Dass andere deshalb all die Ausrutscher vom Schlage eines Dobrindt ertragen müssen, ist ihnen egal. Der ist dann in Berlin, das ist weit weg, arm und wenn ich in Prantlhausen sage, wir sollten es an die Russen verschenken, sagen die Prantlhausener: Aber nur als Sklavenkolonie und diesmal ohne Rücknahme. Niemand sagt das lauter als die Zugezogenen, die liberal sind, vegan essen, bei der Lederhose und beim Dirndl auf heimische Qualität achten und nur widerwillig aufs Oktoberfest gehen. Jeden Tag. Und zur Übung auf unsere Waldfeste. Ja, es ist schon ein Vergnügen, in Prantlhausen zu leben, und wenn man am nächsten Morgen die Prantlhausener Zeitung öffnet und einen neuen Beitrag für Flüchtlinge findet, in dem Tipps zur Entlassung von Rassisten gegeben werden, dann ist wieder alles im Lot. Prantlhausen, bei anderen auch als „München“ bekannt, hat seinen moralischen Kompass wiedergefunden, geht natürlich zu „Bellevue Prontldomo“ und wippt mit, wenn Bands vor tausenden Engagierten solidarische Lieder im Sonnenschein singen, während die drei notorisch erfolglosen Restrechtsextremen der Stadt mal wieder versuchen, eine Demo zu machen.

Am Wochenende fahren sie dann in die Berge und kommen natürlich nicht am Neubaugebiet von Holzkirchen vorbei, wo sie sich anschauen könnten, wie sich das Thema „Asyl“ hierzulande entwickelt hat. Holzkirchen gilt manchen, weil dort viel Arbeit ist, als Wirtschaftszentrum des reichen Landkreises Miesbach, und reichen Miesbachern wiederum als finsteres Geheimnis des Oberlandes, weil das die Ecke ist, wo die Menschen mehrheitlich einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen. Es gibt dort auch Blocks und Wohnungsnot, und viele, die aus München hierher verdrängt wurden. Ja, sie müssen sogar mieten. Bis vor Kurzem mussten die besseren Kinder der Holzkirchner sogar nach Tegernsee zum dortigen Gymnasium im Schloss, was illustrieren mag, wie nachgeordnet bei uns in der besten aller für andere unmöglichen Welten Holzkirchen erscheint – eine Art Verlängerung von Prantlhausen. Trotzdem ist auch dort das kleine Glück zuhause. Und in Holzkirchen gibt es seit letztem Jahr ein Containerlager.

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Dort, wo der Ort Richtung Norden wuchert. Das waren noch die guten Zeiten der Asylkrise, da konnte man ein paar Container mieten und auf Bauland stellen, und davon ausgehen, dass sich alles weitere schon finden wird. Die Gemeinde stellte eine Mitarbeiterin ab, es fand sich ein Helferkreis, die Tafel half bei der Beschaffung von Essen, Spenden gingen ein, und so arrangierte man sich. Es sah gut aus, und die Prantlhausener Zeitung hat eine schöne Geschichte verpasst: Denn als bei uns in Gmund eine Unterkunft eingerichtet wurde, kamen Nigerianer aus Holzkirchen mit den Flüchtlingen an, und halfen ihnen ebenfalls bei der Organisation ihres Lebens. Ich privat fand das auch gut, denn es zeigte, dass die Unterstützung der Flüchtlinge keine Einbahnstrasse ist. Das sind die Momente, in denen man merkt: Es könnte gut laufen. Flüchtlinge, die anderen Flüchtlingen die bayerische Hausordnung erklären: Da bleibt jeder Fremdenfeind sprachlos zurück.

Die Flüchtlinge waren in Holzkirchen, die Gemeinde und der Landkreis kümmerten sich um sie, die bayerische Oberland Bahn druckte Fahrpläne in vielen Sprachen, und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kümmerte sich um die Anträge. Vermutlich. Ganz sicher ist das nicht, weil man dort wohl irgendwann mit den Anträgen nicht mehr nach kam. Es wurde Frühling, es wurde Sommer, die Gemeinde bekam neue Flüchtlinge und griff notgedrungen zu einer Turnhalle, der Landkreis stellte mehr und mehr Mitarbeiter ab, aber es schien, als hätte man die Lage im Griff. Schliesslich bekam die Polizei ein neues Gebäude, und das alte Gebäude wollte die Gemeinde zu einer weiteren Unterkunft umbauen, selbst wenn es sich nach gängigen Vorstellungen nicht lohnte. Aber die Not ist gross in Holzkirchen, wo jeder gern wohnt und nichts freisteht. Also richteten sich alle Augen auf das Polizeigebäude.

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Und sechs Augen von Afghanen, so die Betroffene, in einer Nacht Ende Juli auf sie. Eine Gruppenvergewaltigung gab eine junge Frau zu Protokoll, am Bahnhof hätten sie die Asylbewerber, noch keine 20 Jahre alt, verfolgt und zu missbrauchen versucht. Daraufhin nahm die Polizei die Tatverächtigen in Haft.

Von da an ging es rasend schnell. „Asyl Watch Miesbach“ nannte sich die Seite, die offensichtlich von einem oder mehreren Einheimischen bei Facebook ins Leben gerufen wurde. Keine Nazis, sondern um ihre Region besorgte Bürger, die ihre Kommentare durchaus pflegten und allzu derb-rechte Teilnehmer blockierten. Das Ziel war, auf Sicherheitsprobleme im Landkreis hinzuweisen.

Es ging schnell. Es gab die Anzeige einer weiteren versuchten sexuellen Belästigung in Miesbach.

Es gab einen unschönen Konflikt mit deutschen Helfern, die von Flüchtlingen aus dem Containerlager verwiesen wurden.

Und eine Gruppe aus Subsaharastaaten war mit den Containern nicht mehr zufrieden und machte sich auf, um das Polizeigebäude auf eigene Faust zu fordern. Nicht später. Sofort. Sie wollten aus den Containern raus und eine schfriftliche Erklärung des Bürgermeisters, dass sie eine Wohnung bekommen

Natürlich wollte im Oberland niemand eine Art Gerhart-Hauptmann-Schule, aber die Flüchtlinge wussten auch, wie man die Gemeinde im Berliner Stil unter Druck setzt, und veranstalteten ein Protestcamp auf dem Dorfplatz, wo sie im Freien schliefen. Zu dem Zeitpunkt war dann auch die Presse vor Ort, und auf der Asyl Watch Seite wurde heiß diskutiert. Solche Aktionen gab es selten in München und oft in Berlin – und nun also im beschaulichen Holzkirchen.

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Es gibt ein Video mit den Forderungen. Ich kenne das, in meiner Drittheimat Italien sind solche Proteste normal, und die Wünsche sind logisch: Aufenthaltsgenehmigung, Wohnung, Arbeit. Das sagen alle Flüchtlinge, und sie haben recht: Das sind für sie die wichtigsten Punkte. Und natürlich ist ein Jahr Wartezeit auf einen Bescheid für ein deutsches Amt eine Notwendigkeit, aber für einen Flüchtling eine Belastung. Ich kann das einordnen und die Prantlhausener Zeitung sicher auch.

Aber für viele Holzkirchner, das wurde an den Kommentaren bei Facebook überdeutlich, reisst sich die Gemeinde ein Bein aus, damit die Flüchtlinge gut unterkommen, und dann macht eine Gruppe Randale, versucht sich Vorrechte zu sichern, und verlangt in gebrochenem Englisch und mit dem Tonfall Berliner Antifaforderungen Aufenthaltsrechte und Arbeit – das soll Deutschland wissen. Für Holzkirchner, die sich bis zur Unterlippe verschulden müssen, damit sie sich ei kleines Eigenheim leisten können, spricht hier nicht der zukünftige, versprochene Facharbeiter, der später laut Prantlhausener Zeitung die Rente bezahlt. Dem gewöhnlichen Holzkirchner scheint es, als sitzen da auf dem Dorfplatz Leute, deren Integration, Anpassung an deutsche Wertvorstellungen und Weg in den Arbeitsmarkt noch beschwerlich sein dürfte. Man bekommt die Forderungen so unverblümt selten gesagt, wenn deutsche Medien nett über Flüchtlinge schreiben. Und dann ist da noch der Punkt, dass die von Flüchtlingen abgelehnten, teuren Container mittlerweile die Luxusoption sind, im Vergleich zu den Doppelstockbetten in Turnhallen der Schulen, die die Holzkirchner durch ihre Kinder kennen, und deren Sportunterricht absehbar ausfällt. Selbst mit Sympathie und Verständnis für das Anliegen ist der Eindruck nicht optimal und erklärt vielleicht, warum nicht jede Facebook-Äusserung freundlich und wohlgesonnen war. Gut, manches war wirklich derb.

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Die Politik im Landkreis reagierte mit einem Sicherheitsgespräch, den Protestierenden wurde gesagt, dass sie zwar demonstrieren, nicht aber das hier stattfindende Burschenfest behindern dürften, regionale Medienangebote verzeichneten einen Ansturm und

normalerweise würde man denken, jetzt kracht irgendwas, und tatsächlich:

Es meldete sich ein Zeuge bei der Polizei, der die angebliche Vergewaltigung beobachtet und ganz anders erlebt hatte. Im Verhör gab die Betroffene zu, dass sie deutlich übertrieben hatte, und einer der Afghanen nur versucht hatte, sie zu berühren. Eine Kaltfront brachte Regen und das Einsehen bei den Demonstranten, dass sie doch in die Container zurückkehren wollten. Und ein Prantlhausener – es wird spekuliert, er könnte einer von denen sein, die im Lager erklärt haben, wie man Druck auf die Öffentlichkeit macht – stellte dem Vernehmen nach eine Anzeige wegen Volksverhetzung gegen die Asyl-Watch-Betreiber, Schon zuvor hatte man ihnen gedroht, man würde sie bei ihren Arbeitgebern melden. Hier nun fügt sich diese Geschichte im schönen Holzkirchen an die aktuelle Kündigungsbeihilfegeschichte der Prantlhausener Zeitung an, die offen zu so einem Verhalten auffordert. Es ist wieder alles ruhig.

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Oberflächlich.

Aber natürlich haben die Flüchtlinge noch immer nicht ihre neuen Papiere und werden sie vielleicht auch nicht bekommen. Es kommen deutlich mehr Flüchtlinge als erwartet, das ist jetzt schon klar, und man bräuchte hoch motivierte Helfer, engagierte Tafeln, freundliche, aufgeschlossene Bürgermeister und Bürger, die ihren Ärger nicht für sich behalten, weil mit Kündigung gedroht wird, sondern bereit sind, Veränderungen anzunehmen. Es ging ein Jahr gut. Dann folgten zwei tolle Wochen mit der Miniaturausgabe all der übleren Begleiterscheinungen, die in grossen Städten bereits stattgefunden haben. Richtig gut sah dabei keiner aus. A Ruah is, sagt man in Bayern, wenn es still sein soll. Still ist es jetzt. Man sucht still weitere Unterbringungsmöglichkeiten, und still arbeitet das Bundesamt. Vielleicht. Und niemand weiss, was sein wird, wenn Ablehnungen kommen.

In Holzkirchen herrscht Vollbeschäftigung und es könnte schon sein, dass deshalb die Integration besser läuft. Mein Käsehändler zum Beispiel ist Bosnier und während des Krieges hierher geflohen, und hat sich bestens eingefügt – jahrelang dachte ich sogar, er sei Franzose. Es geht. Ob es jetzt gut geht, weniger gut oder krachend scheitert, liegt meines Erachtens nicht an dem, was Facebook zulässt, was getwittert wird oder in der Prantlhausener Zeitung steht. Es geht um das, was Menschen tatsächlich sehen, erleben, und wie sie es aus ihrer Lebenssituation heraus verstehen. Das kann prima laufen. Aber man kann es nicht herbeischreiben oder wegkommentieren, oder von Facebook verbannen und glauben, damit sei das Problem gelöst. Es geht um Menschen, sagen die Aktivisten des Anschwärzens, ganz so, als wären sie und die Flüchtlinge die einzigen Menschen in dieser Krise.