Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Medici und Merkel im Transitzonenvergleich

In ein Amt gewählt zu werden, ist oft schädlich für den Körper und immer nachteilig für die Seele.
Cosimo de Medici

Meine Wohnung bei Siena ist wie kaum eine andere dazu geeignet, um Menschen vom Betreten abzuhalten, indem man sie umbringt, oder wenigstens schwer verletzt. Und selbst, wenn man ihnen kein Haar krümmt, so brauchen sie schon zumindest ein schweres Geschütz des ausgehenden Mittelalters, um sich Zutritt zu verschaffen. Schwarzhandelsübliche Kleinkriegswaffen, aber auch Handgranaten oder Panzerfäuste sehen sich mit einer mehr als einen Meter dicken Konglomeratmauer konfrontiert, während ich – neben einem Spülbecken für dreckige Wäsche – auch noch eine Schiessscharte besitze, durch die ich jeden unerwünschten Eindringling mit Dreckbrühe, der traditionellen Waffe der schreibenden Zunft, übergiessen kann.

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Kurz, ich wohne in einem Palazzo, der in eine Festung eingebaut wurde. Es ist auch nicht irgendeine Festung, sondern eine, an der sich mitunter das Schicksal der Toskana und Italiens entschied. Die Festung heisst Staggia Senese, liegt direkt am wichtigen Fernhandelsweg Via Francigena, und grenzte damals den Herrschaftsbereich von Florenz gegen das Territorium Sienas ab. Egal ob Tuchhändler aus Florenz oder Bankier aus Siena: Für beide war die Strasse lebenswichtig. Um sie und den Einfluss darauf wurde jahrhundertelang gekämpft, und als man sich am Ende des 14. Jahrhunderts einigermassen auf einen Grenzverlauf geeinigt hatte, verbesserten die Sieneser auf einem Berg in der Nähe ihre Festung Monteriggioni. Ein phantastisches Ding, aber noch recht mittelalterlich auf dem Berg und nicht den Anforderungen der Zeit entsprechend. Gerade deshalb ist Monteriggioni aber ein beliebtes Touristenziel. Da sieht man, wie das Mittelalter Burgen baute und am Wandel der Zeit versagte.

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Florenz dagegen war sich nicht zu schade, den bekanntesten Architekten der Stadt und vermutlich auch besten Architekten der damaligen Zeit nach Staggia zu schicken. Filippo Brunelleschi war zwar mit dem sensationellen Unterfangen der Domkuppel von Florenz und der Wiedererfindung antiker Bautechniken mehr als ausgelastet, aber die Grenzsicherung in Staggia war den Florentinern wichtiger. Niemand sagte damals, dass man die Grenzen von Modena über Pisa bis Siena ohnehin nicht schützen könnte und die Bewältigung der Folgen würde man schon schaffen. In Florenz wusste man etwas, das Deutschland mit den kommenden Multimilliardenbelastungen für die durch Staatsversagen herbeigeführte Flüchtlingskrise erst wieder lernen wird: Auf die Aufgabe der äusseren Grenzen folgt immer die Aufgabe des Eigentums der Bürger. Florentiner hatten – ähnlich den Deutschen –  oft genug selbst Nachbarstädte ausgeplündert, und weil sie als Realpolitiker mit Sinn für das Mach- und Behaltbare nicht das gleiche Schicksal erleiden wollten, wandten sie sich eben an den Besten, selbst wenn dadurch das Prestigeprojekt des Domes in Verzug geriet. Also kam Filippo Brunelleschi hierher und beschäftigte sich mit so profanen Dingen wie meiner Mauer und meiner Schiessscharte.

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Kunstsinnige Invasoren konnten sich 40 Jahre nach dem Bau dann auch geehrt fühlen, durch diese sinnreiche und klug angelegte Festung aufgehalten oder gar umgebracht zu werden: 1476 hatten die Medici innerhalb und ausserhalb der eigenen Stadt viele Feinde, und die Sieneser versuchten – allerdings ergebnislos – angesichts der günstigen Gelegenheit die Festung zu erobern. Im Gegenzug waren die Medici von hier aus dann mehrfach nicht nur erfolgreich beim Vertreiben ihrer päpstlich finanzierten Feinde, sie eroberten von hier aus 1553 Monteriggioni und brachten Siena endgültig unter ihre Kontrolle. Natürlich ist meine Mauer nicht so berühmt wie die Kuppel auf dem Dom, aber man muss fraglos zugeben, dass sie zum Ruhme und zur Macht von Florenz mehr beigetragen hat als der kuppelbekrönte Protzbau, den heute die Touristen besuchen.

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Protzbauten mit Kuppel sind seitdem nicht ausgestorben, einen solchen haben wir im grauen Deutschland mit dem Reichstag. Dort jedoch herrscht kein Lorenzo der Prächtige, sondern eine Frau, die zwar heute ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gegen ihre Bürger durchsetzen will, aber zugleich öffentlich schizophreniert sagt, die Grenze des Landes könnte man nicht überwachen, und wir würden den vollkommen unkontrollierten Zustrom irgendwelcher Leute schon schaffen. Egal ob echte Syrer oder ägyptischer Muslimbruder mit falschem syrischen Pass, irakische Kurden, abenteuerlustige Tunesier, reisefreuige Turkmenen, von Schleppern angestiftete Afghanen, Pakistanis, Somalier, die mitunter aus Nigeria stammen und Eritreer, die von der anderen Ecke der Kontinents aus der Elfenbeinküste kommen, echte Asylberechtigte, Passwegwerfer, registrierte Leute mit Asylantrag in Italien oder auch nicht: Erst mal rein in die Erstaufnahmelager, dann weiter in die Kommunenen und dann schauen wir mal, ob wir das schaffen. Das Land wird sich natürlich ändern, das ist dann der Lohn unserer grossen Anstrengung.

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Bevor hier nun einer zum schändlichen Nachdenken kommt, ob er vielleicht gar nicht angestrengt oder verändert werden möchte, kommt jetzt die Systemfrage. Es gibt eben zwei Lösungsvorschläge der Flüchtlingskrise: Florenz und Deutschland, beide waren in ihrer Zeit wichtige Handelsnationen und natürlich von Kommunikation, Zuwanderung und Austausch mit anderen Regionen abhängig. Frau Merkel sagt, dass man die Grenze nicht überwachen kann und Transitzonen wenig bringen. Ich aber sage, dass Staggia Senese genau so eine Transitzone war und eigentlich ganz prächtig funktionierte: Wer hinein wollte, musste sich ausweisen, seine Waren verzollen und sich an die Gesetze halten, Wer aus dem Süden kam, musste sich in Staggia dieser Prüfung unterziehen, wer das nicht wollte, wurde ausgewiesen. Das hat in der Renaissance niemanden gestört: Es war halt so. Es gab in Staggia lediglich zwei und im Vergleich mit Deutschland läppische militärische Konflikte in zwei Jahrhunderten, ansonsten hat es für Frieden und Verlässlichkeit gesorgt: Als eine imposante Begrenzung des Landes, gut eingerichtet, ein Tor für den Zugang nach Florenz für alle, die berechtigt waren. Florenz war eine immens reiche Stadt in ihrer Zeit, da hatte man es gut. Aber man wusste auch, warum man die Tore nicht für die Mörder des Papstes, Sieneser Truppen, vertriebenen Intriganten aus anderen Städten oder gedungener Soldateska öffnete. Staggia bot Schutz denen, die in guter Absicht kamen, und hielt jene draussen, die Unruhe und Probleme gemacht hätten. Übrigens kamen auch die Medici selbst als Migranten aus Mugello nach Florenz und machten dort ihr Glück. Der italienischen Renaissance muss man nichts vom Nutzen der Migration erzählen.

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Recht viel brutaler als die Aufnahme, die Flüchtlinge gerade in Berlin mit dem Kältetod in unbeheizten Zeltstädten bedroht, kann es damals auch in Florenz nicht gewesen sein. Das Staggia Senese der Deutschen ist Bayern, und dort hat es die Landesregierung geschafft, in allen Bezirken winterfeste Unterkünfte zu schaffen, während in Berlin die Grünen unter der Kuppel Frau Merkel beklatschen und andere wochenlang vor dem Lageso stehen – andere, von denen bislang niemand weiss und vermutlich auch in vielen Monaten niemand wissen wird, ob sie Asylstatus bekommen werden, oder in einem langwierigen, teuren Verfahren abgeschoben werden. Oder untertauchen. Oder eine Wohnung gestellt bekommen, für die der private Betreiber zehn mal so viel von Berlin verlangt, als er selbst dafür an das kommunale Unternehmen bezahlt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Kommunen in Deutschland für diese Krise weder die nötigen Mittel noch das nötige Personal haben, während munter jeden Monat weitere 200plusXTausend Menschen ungehindert einreisen.

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Weil wir die Grenzen nicht schützen können, und weil wir das schaffen, sagt Frau Merkel. Entweder spielst du in Staggia nach unseren Regeln oder du fliegst hochkant raus, sagte man in Florenz, und zwar nur in Staggia und nicht da, wo du gerade Lust hast. Man stelle sich vor, Lorenzo der Prächtige hätte es sich anders überlegt, wäre vor den Rat getreten und hätte gesagt: „Liebe Herren – Staggia, das bringt doch angesichts der Weltlage mit den Konflikten der Türken, Mongolen und Berberpiraten nichts. Wir machen das anders. Jeder kann kommen, wir verteilen alle auf alle Gemeinden, die müssen sich dann um die Leute kümmern, und wenn jemand mit Lungentuberkulose oder einem Mordverdacht einfach untertaucht, dann ist das eben so. Wir machen eine übergeordnete, langsame Entscheidungsbehörde, die mit jedem Untertauchen weiter verlangsamt wird, überlassen die eventuelle Rückführung den Regionen, sofern sie das schaffen, und wie die Unterbringung zu machen ist – das müssen die Leute vor Ort selbst wissen. Es wird die Armut im Land vergrössern, weil die Leute keine Arbeit finden, aber wir lassen unsere Panegyriker weiter tapfer über Fachkräfte und spätere Rente jubeln. Angela von Brandenburg-Uckermark macht das nämlich auch so, und wenn alles schief gegangen ist und das Land überrollt wird, dann werden Gesetze verschärft, Leistungen gekürzt, und sie bietet das gesparte Geld dem Sultan in Istanbul als üppige Tributzahlung an und will, dass andere unwillige europäische Fürsten das tun, was sie verlangt. Das ist eine vorzügliche Idee, ganzheitlich und bei den Ursachen ansetzend, und ich finde, wir sollten das auch mal versuchen, statt in Staggia die ganze Abwicklung in einer Transitzone zu konzentrieren und jedem klar zu machen, dass wir zügig entscheiden und nicht gewillt sind, uns auf der Nase herumtanzen zu lassen oder gar riskieren, dass man uns verklagt. So läuft das nämlich heute in der Zeit des Buchdrucks nicht mehr. Wir schaffen das oder er ist nicht mehr mein Land.“

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Und jetzt sitze ich hier hinter meiner dicken Mauer des berühmten Architekten, lese die Nachrichten von Revolten, Verdruss und dem Türkentribut in Deutschland und frage mich, warum das politische Genie Lorenzo nicht selbst auf diese famosen Ideen gekommen ist, und sich lieber darauf verlassen hat, dass man in Staggia schnell und sauber die Migration kontrollierte. Eventuell hatte er auch nur Angst vor einem Aufstand, weil er sich nicht darauf verlassen konnte, dass das rebellische Volk von Florenz seine zukunftsweisenden Pläne und folgenden Problemen so schön vermittelt bekäme, wie das bei uns ARD, Prantlhausener Zeitung, Zeit und andere Medien zum übergeordneten Wohle des Landes und seiner demographischen Probleme tun.

Oder diese ungebildeten, dreckigen Barbaren, dieses Florentiner Pack hatte im Gegensatz zu unseren Asylbefürwortern einfach keine Zuversicht, keinen Blick für das Ganze und keine Willkommenskultur.